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Kultur: Winterreise ins Nirgendwo

Ein Schubert-Marathon mit Christine Schäfer.

Franz Schuberts „Winterreise“, von großen Interpreten vorgetragen und von nicht minder bekannten Exegeten erläutert – natürlich ist da der philharmonische Kammermusiksaal ausverkauft. Vier Stunden dauert dieser Nachmittag, der mit einer Bearbeitung von Normand Forget beginnt, die diese Musik eher zu konzentrieren scheint als sie süffig auszustatten; das Philharmonische Bläserquintett Berlin und der Akkordeonist Joseph Petric bringen spröde und melancholische Farben ein. Das klingt mitunter sogar nach Choral, etwa bei der berühmt vor sich hin irrenden Nummer „Der Wegweiser“. Vor allem aber fasziniert Christoph Prégardien mit seinem ungemein fokussierten Tenor und seiner konzisen Sprechart, kurz, einer sängerisch perfekten Herangehensweise. Gleichviel: Später am Abend wird die Sopranistin Christine Schäfer zeigen, wie die „Winterreise“ tatsächlich erlebt werden kann, als endlose Kette von Mutlosigkeit, Enttäuschung und Einsamkeit, zu der immer noch, hie und da, die Spuren einer töricht aufflackernden Hoffnung gehören.

Davor allerdings wird im Kammermusiksaal noch etwas reflektiert. Schubert, sagt zum Beispiel der Musikwissenschaftler Peter Gülke im Gespräch mit dem Pianisten Alfred Brendel (zwei ältere Herren, die sich gegenseitig ihrer musikalisch-literarischen Bildung versichern, nicht ohne Humor), Schubert also sei mit seinen Liedern in eine Marktlücke gesprungen. Mit Schuberts Gesundheit, sagt wiederum Brendel, sei es herunter-, mit dem Schaffen unterdessen hinaufgegangen.

Inzwischen ist der Abend gekommen, die Reihen haben sich gelichtet. Christine Schäfer und der unvergleichliche Eric Schneider am Klavier treten mit der „Winterreise“ in der Originalfassung auf: Die Balance, die die beiden zwischen technischer Brillanz und Anschaulichkeit zu halten vermögen, spricht bereits aus den Worten „Die Liebe liebt das Wandern“ im ersten Lied, noch deutlicher aus dem „Leiermann“, der psychedelisch gerät, ob der Ruhe, die ihm innewohnt, dem totalen Nirgendwo, mit der diese Reise endet. Christiane Tewinkel

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