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Kultur: „Wir brauchen die großen Namen“

Gipfeltreffen der Orchester: Festspiele-Intendant Joachim Sartorius über das neue Profil des Berliner Musikfestes

Herr Sartorius, am Mittwoch startet das neue „Musikfest Berlin“. Erleben wird da einen klassischen Altweibersommer mit vielen betagten Herren?

Ist die Frage, wer jung, wer alt, wer Weib oder Mann ist, beim Musikfest wirklich relevant? Mir ist wichtig, dass das Concertgebouw Orchester nach elf Jahren wieder in Berlin gastiert, dass Thomas Adès sein Violinkonzert im Rahmen dieses Festivals uraufführen und auch selbst dirigieren wird, dass „Šárka“ von Janácek zum ersten Mal seit dem Krieg hier wieder zu hören ist.

Als Sie die Nachfolge von Ulrich Eckhardt bei den Berliner Festspielen antraten, wollten Sie die traditionellen Festwochen zu einem Festival für Zeitgenössisches umbauen, haben auf avancierte Musiktheaterformen gesetzt und auf extravagante Kammermusik. Dieser Ansatz ließ sich weder beim Publikum noch beim Bund, Ihrem Geldgeber, durchsetzen.

Wir können von den Erwartungen, die an uns gerichtet werden, nicht ganz absehen. Die Festspiele sind vom Bund finanziert und finden in der Hauptstadt statt. Nicht bei allen, aber doch bei einigen Festivals müssen wir auf die „big names“ der internationalen Szene setzen. Wir haben das Interdisziplinäre aufgegeben und richten beim Musikfest Berlin eine klare Botschaft an das Publikum: ein Gipfeltreffen international bedeutender Orchester, mit dem London Philharmonic als Anfangstusch und dem New York Philharmonic als Schlussapotheose. Der Vorverkauf zeigt uns, dass wir eine Marktlücke gefunden haben. Doch wollen wir nicht nur Tourneestation sein, sondern Jahr für Jahr auch eine thematische Linie verfolgen. Diesmal ist es die tschechische Musik, 2006 wird der 80. Geburtstag von György Kurtág eine große Rolle spielen. Ich hoffe, dass wir mit dem Musikfest Berlin immer wieder auch an das heutige Musikschaffen andocken und die Orchester überzeugen können, bei uns neue Werke, auch Uraufführungen zu spielen.

Lockvogel für das Publikum soll der Name des berühmten Orchesters sein – die Überraschung dann die Programme jenseits des Üblichen.

Die großen Orchester bringen Werke ihres Kernrepertoires mit. Wenn von den drei, vier Stücken, die traditionellerweise an einem Abend erklingen, zwei in unser Konzept passen, sind wir zufrieden. Neben den klangvollen Orchesternamen, den berühmten Dirigenten brauchen wir auch ein deutliches inhaltliches Profil. Ich bin gegen sehr offene und daher nichts sagende Festival-Motive wie „Tod und Verklärung“. Wir wollen uns in erster Linie auf Komponistenpersönlichkeiten konzentrieren und sie in ihrem Umfeld aus Anregern, Freunden, Schülern, Enkeln vorstellen. Es gibt viele bedeutende Komponisten mit überschaubarem Werkkorpus, die man komplett vorstellen könnte. Debussy zum Beispiel oder Edgar Varèse oder Olivier Messiaen.

Wie sieht die Zusammenarbeit mit den Berliner Philharmonikern aus?

Das Zusammenspiel ist erfreulich eng und produktiv. Wir treffen uns regelmäßig mit Simon Rattle. Er hat eine phänomenale kombinatorische Intelligenz und steuert viele Anregungen bei. Fest vereinbart ist für 2007 ein großes Projekt mit Debussys „Martyre de Saint Sébastien“, bei dem Rattle die Philharmoniker dirigieren und die Performance-Künstlerin Rebecca Horn zum ersten Mal in ihrem Leben Regie führen und ein Bühnenbild entwerfen wird. Martin Mosebach schreibt ein völlig neues Stück dazu, nur die vertonten Passagen werden aus dem Original von Gabriele D’Annunzio übrig bleiben. Als Aufführungsort ist die zentrale Halle des Hamburger Bahnhofs im Gespräch, damit Frau Horn ihre 20 Meter hohen Installationen auch aufbauen kann. Alternativ denken wir an den Flughafen Tempelhof.

Wenn Sie die Philharmoniker gewinnen wollen, müssen Sie voll bezahlen?

Wir entrichten bei solch zusätzlichen exklusiven Projekten den üblichen Honorarsatz an das Orchester, weil wir die Musiker gewissermaßen einladen, für uns aufzutreten. Im Gegenzug zeigen sich die Philharmoniker in ihrem Haus aber auch sehr gastfreundlich: Für die Musikfest-Konzerte, die in der Philharmonie stattfinden, haben wir bei den Einnahmen eine sehr gute und gerechte Regelung gefunden.

Zum Jahreswechsel trennen Sie sich sowohl von Ihrem bisherigen Musikchef André Hebbelinck als auch vom Leiter der Theatersparte, Markus Luchsinger.

Ich denke, dass im Bereich des künstlerischen Managements Wechsel wichtig sind. Neue Köpfe, neue Kriterien. Ich selbst habe im Schnitt alle sechs, sieben Jahre den Job gewechselt. Herr Luchsinger kehrt auf eigenen Wunsch in die Schweiz zurück. Der Fünfjahresvertrag von Herrn Hebbelinck endet regulär im März 2006.

Wie steht es um Ihr Ziel, eine Ganzjahresbespielung im Haus der Festspiele hinzubekommen?

Es wird Ihnen nicht entgangen sein, dass das Haus der Berliner Festspiele – im Vergleich zu früher – jetzt viel dichter bespielt wird. Gerade haben die Batsheva Dance Company und Forsythe gastiert. Das Internationale Literaturfestival schließt sich ab dem 6. September an, eine große, dichte Feier mit Autoren aus aller Welt. Wir bekommen zahlreiche Anfragen auch von Berliner Veranstaltern und kooperieren gerne, wie mit der Deutschen Oper oder „Tanz im August“, sofern die Produktionen zu unserem Profil passen.

Eine wichtige Programmsäule ist die „Spielzeiteuropa“.

An dem Konzept, von November bis Ende Januar konzentriert drei Monate lang eine Theater- und Tanz-Saison anzubieten, will ich auf jeden Fall festhalten. Diese Wintersaison wird ein Resonanzraum für europäische Themen sein. Wir verhandeln gerade mit Patrice Chéreau über eine exklusive Arbeit für Berlin. William Forsythe wird mit seinen Tänzern wieder Ende Januar bei uns gastieren. Es gibt auch einen Blick auf die Ränder Europas: eine Uraufführung der türkischen Choreografin Aydin Teker und eine Inszenierung von Andrij Zholdak aus der Ukraine.

Das Gespräch führte Frederik Hanssen. Info: www.berlinerfestspiele.de

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