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Kultur: „Wir brauchen die Machtübergabe“

Bagdads Kulturminister Al-Jazairi über Terror und Folter, über Chaos und Fortschritt im Irak

Herr AlJazairi, was sind Ihre Aufgaben als Kulturminister im provisorischen irakischen Regierungsrat?

Die Kultur in meinem Land ist ein Bereich, in dem alles zerstört ist – nach Saddams Kriegen, nach dem Krieg vom vergangenen Jahr, nach den Plünderungen, nach dem zwölfjährigen UN-Embargo gegen den Irak. Es ist eine tragische Realität. Wir müssen die Infrastruktur des kulturellen Lebens, aber auch die seelische Infrastruktur des Landes wieder aufbauen. Fast Dreiviertel der Menschen im Irak sind ohne Arbeit. Die Grundbedingung für intellektuelle Arbeit, die Freiheit, ist erreicht, aber es fehlen die materiellen Voraussetzungen.

Welche Prioritäten gibt es bei Ihren Bemühungen um den Wiederaufbau?

Das Kulturministerium selbst war zerstört und geplündert. Das Irak-Museum und die Nationalbibliothek in Bagdad wurden stark in Mitleidenschaft gezogen. Wir sind weit davon entfernt, all diese gewaltigen Aufgaben aus eigenen Mitteln zu schaffen, daher brauchen wir die Hilfe anderer Nationen, von Sponsoren und internationalen Organisationen.

Wie ist jetzt der Zustand des Irak-Museums, das ja von den Plünderungen und Zerstörungen am schlimmsten betroffen war?

Damit sich diese schreckliche Geschichte nicht wiederholt, müssen wir dort ein modernes Sicherheitssystem einbauen. Wir haben durch die Plünderungen etwa 15000 wertvolle historische Objekte verloren, ein Drittel davon ist wieder da. Viele Stücke wurden außer Landes gebracht, aber wir bekommen von vielen Seiten internationale Hilfe. Aus Jordanien haben wir 700, aus Syrien über 200, aus Frankreich 500, aus den USA rund 1000 Objekte zurückbekommen. Im Irak selbst vermuten unsere Experten noch die Mehrzahl der gestohlenen Kunstschätze. Aber hier können wir erst nachforschen, wenn sich die Lage etwas stabilisiert hat.

Wie würden Sie denn die Sicherheitslage in Bagdad beschreiben?

Das tägliche Leben geht weiter. Die Bilder, die Sie im Fernsehen bekommen, zeigen nicht das wirkliche Leben der Millionen Menschen in den vielen Städten in meinem Land. Natürlich gibt es Anschläge und Morde...

Anfang dieser Woche wurde der Präsident des provisorischen Regierungsrates, Issedin Salim, ermordet. Zehn Menschen starben mit ihm bei dem Attentat. Können Sie selbst sich noch sicher fühlen?

Die Terroristen zielen darauf ab, vor allem in den internationalen Medien großen Aufruhr zu bewirken. Und es tut mir Leid, das zu sagen, aber diese Medien nutzen den Terroristen in gewisser Weise.

Wie darf man das verstehen? Wenn sechs Wochen vor der geplanten Machtübergabe der Ratspräsident ermordet wird, ist das doch keine kleine Meldung .

Wohin Sie auch kommen, überall auf der Welt glauben die Menschen, dass es im Irak rund um die Uhr nur Blutvergießen und Verbrechen gibt. Aber das ist nicht wahr. Die internationalen Fernsehsender zeigen nur das halbe Bild.

Wie berichtet das irakische Fernsehen?

Ein unabhängiges irakisches Fernsehen – ebenso wie der Rundfunk – kann erst nach der Machtübergabe aufgebaut werden. Zurzeit senden bei uns ausländische Sender, und die sind bei der Bevölkerung nicht sehr beliebt.

Welche Wirkung haben die Bilder von Folter und Erniedrigung von Irakern im amerikanischen Gewahrsam auf Sie? Fühlen Sie sich von den USA verraten?

Man hat geglaubt, diese schrecklichen Dinge seien mit dem Fall Saddams vorüber und vergangen. Man empfindet Trauer, Enttäuschung. Aber es gibt auch eine andere Empfindung. Man fragt sich: Warum weinen jetzt so viele über die schlimmen Dinge, die den irakischen Gefangenen von Amerikanern angetan wurden – während so viele Jahre niemand ein Wort gesagt hat über die Folterungen, die Hinrichtungen, all die Grausamkeiten in Saddams Gefängnissen? Wer hat sich früher darum gekümmert, was im Irak geschah? Ich war damals als Oppositionspolitiker damit beschäftigt, Listen von ermordeten Häftlingen herauszugeben – Dokumentationen über die unvorstellbaren Zustände in den Gefängnissen. Es war sehr schwierig, jemanden außerhalb des Landes dafür zu interessieren.

Am 30. Juni wollen die Amerikaner den Irakern die Regierungsgewalt übergeben. Glauben Sie an das Datum, da die Terroranschläge täglich zunehmen?

Es ist womöglich in den nächsten Wochen noch mit einer Zunahme der Gewalt zu rechnen. Denn es ist die letzte Chance der Terroristen, sich gegen die Freiheit zu stellen. Wir arbeiten daran, dass die Machtübergabe eine wirkliche Machtübergabe wird. Was können wir so schon erreichen? Bremer, der amerikanische Verwalter, hat 150000 Soldaten und eigene Prioritäten. Nichts geht ohne seine Zustimmung. Die Übergabe muss kommen: auch für die Amerikaner.

Um einen letzten Rest von Glaubwürdigkeit zu retten?

Die amerikanische Regierung hat es wiederholt versprochen, die Machtübergabe an die Iraker gilt als Notwendigkeit auch innerhalb der USA, und viele andere Länder warten auf diesen Schritt.

Wie lange, schätzen Sie, werden amerikanische und britische Truppen im Irak stationiert bleiben?

Die neue Regierung im Irak wird mit den Alliierten über Stützpunkte und Zeiträume verhandeln. Aber sehen Sie, in Deutschland hat1945 auch niemand gedacht, dass sechzig Jahre später immer noch amerikanische Soldaten im Lande stationiert sein würden.

Der Vergleich mit der deutschen Geschichte ist interessant, aber in Ihrem Land haben Sie nun ausländische Truppen, die aus einem anderen Kultur- und Religionskreis stammen: Ist das nicht Teil des schier unlösbaren Konflikts?

Besatzung ist Besatzung. Kein Land in dieser Welt wird glücklich sein, wenn es von fremden Truppen besetzt ist.

Bundeskanzler Schröder hat vorgeschlagen, dass Truppen aus arabischen Ländern im Irak für Sicherheit sorgen könnten. Dadurch würde der Konflikt gemildert.

Das Beste wären Truppen, die unter dem Kommando der Vereinten Nationen stehen. Das wäre der beste Weg zu Sicherheit und Stabilität. Wir wollen ein demokratisches System aufbauen. Anfang 2005 sollen Wahlen stattfinden.

Herr Al-Jazairi, Sie gehören der kommunistischen Partei an. Wie stark ist der Einfluss der Religion auf die Kultur im Irak?

Unser Land ist ein Land von vielen Pluralitäten: politisch, ethnisch, religiös, kulturell. All diese Kulturen brauchen unsere Unterstützung. Nur Extremismus muss ausgeschlossen werden.

Das Gespräch führte Rüdiger Schaper.

MUFID

AL-JAZAIRI

ist seit September 2003 Kulturminister des provisorischen Regierungsrates des Irak. Er wurde 1939 im Norden des Landes geboren, studierte und arbeitete später als Journalis t in Prag und London. Seit 1962 Mitglied der Kommunistischen Partei des Irak, beteiligte sich von 1982 bis 1988 am bewaffneten Kampf gegen Saddam Hussein in Kurdistan. Er ist Chefredakteur der Zeitung seiner Partei. Nach Berlin kam er auf Einladung des Goethe-Instituts und der Akademie der Künste.

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