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Kultur: „Wir haben Blut gesehen“

Der weißrussische Rockmusiker Ljavon Volski über den Protest in seinem Land

Herr Volski, nach der Wahl am 19. Dezember wurden in Weißrussland rund 700 Menschen festgenommen, darunter fast alle ehemaligen Präsidentschaftskandidaten und zahlreiche Vertreter der Zivilgesellschaft. Wie ist die Atmosphäre in Minsk?

Zunächst einmal: Ich glaube an das weißrussische Volk. Glaube, Hoffnung und Liebe sind zu mir zurückgekommen. Es gibt zahlreiche Solidaritätsaktionen für die Gefangenen. Wir sind näher zusammengerückt. Nach den Wahlen gab es eine starke Depression und sogar eine gewisse Aggression, man spürte das im Supermarkt oder an öffentlichen Or. Die Leute fühlten sich betrogen und verraten.

Aber die halbwegs freien Nischen, die es in den vergangenen Jahren gab, könnten sich nun vollends schließen. Wollen viele Weißrussen das Land verlassen?

Im Gegenteil: Ich weiß von Menschen, die das Land schon vor einiger Zeit verlassen haben und die nun zurückkehren wollen, um Einfluss auf das ausüben zu können, was geschieht. Aber es stimmt natürlich: Jede Repression führt zu einer Welle der Emigration. Belarus leidet seit Jahren darunter, dass die Besten fortgehen. Aber was bleibt Studenten, die ihren Studienplatz verlieren, weil sie an einer Demonstrationen teilgenommen haben, auch anderes übrig.

Ist die Hoffnung auf demokratische Veränderungen in Weißrussland damit passé?

Es gab schon in den vergangenen Jahren keine demokratische Veränderung. Es gab einen Mann, der alle Entscheidungen traf, und genau das wird er auch weiterhin tun. Die Dinge entwickeln sich so, wie er es will. Demokratie ist etwas anderes, sie braucht Gesetz und Gerechtigkeit.

Warum ist das Regime Lukaschenko derart stabil und langlebig?

Diejenigen, die in den ersten Jahren gegen die Machthaber waren, sind heute aufgezehrt oder sie haben sich mit der Situation arrangiert. Die anderen haben das Land verlassen. Viele interessieren sich einfach nicht für Freiheit oder Demokratie. Anfang der Neunziger haben die Menschen noch förmlich darum gebettelt. Heute aber kauft man lieber Autos zu Wucherkrediten. Es scheint, als ob den Menschen das gefällt: dass sie nicht nachdenken, nicht die Initiative ergreifen müssen. Die da oben entscheiden für dich. Du bekommst ein Gehalt, kein großes, aber ein stabiles. Die Menschen fürchten die Veränderung. Es könnte ja alles noch viel schlechter kommen.

Ihre Musik wird als oppositionell gegenüber dem Regime Lukaschenko verstanden. Sehen Sie sich als Teil der Opposition?

Ich bin ein kreativer Mensch und habe keine Angst, über das zu sprechen und zu schreiben, was mich umtreibt. Und ja, ich bin oppositionell – gegenüber Grobheiten, Angst, Heuchelei, Lügen, Agitation, Propaganda, Dummheiten und Hysterie. All das begleitet uns seit über 15 Jahren.

Vor dem 19. Dezember war Politik als Thema in der weißrussischen Kulturbewegung etwas aus der Mode gekommen. Man beschäftigte sich mit unverfänglichen Themen. Können die Ereignisse zu einer Repolitisierung oder gar einer Radikalisierung der Kultur führen?

Zweifellos werden die Menschen radikaler, was ihre Empfindungen und ihre Lebenspläne angeht. Das ist unvermeidbar, weil man das Blut gesehen hat, das geflossen ist. Ein Staat, der so brutal reagiert, muss eine neue Protestwelle erwarten. Deswegen bin ich überrascht, dass der Staat so weit gegangen ist. Jetzt gibt es neue nationale Helden, wie zum Beispiel den Dichter Uladzimir Neklajew, der von Spezialeinheiten übel verprügelt wurde. Es ist abscheulich: Der Staat provoziert. Damit schärft er aber auch das Bewusstsein für das, was in Weißrussland vor sich geht. Wer die Fähigkeit verloren hatte, sich zu widersetzen, ist nun bereit, etwas zu tun.

Das Gespräch führte Ingo Petz.

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