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Kultur: Wir haben ihm verziehen! Über Elia Kazan, den „Verräter“

und Freund/Von George Tabori

Ich hatte ihn an seinem Wendepunkt kennengelernt. Elia Kazan inszenierte 1952 am Broadway die Uraufführung meines ersten Theaterstücks „Flight into Egypt“ („Die Flucht nach Ägypten“). Damals war Kazan der beste Regisseur Amerikas. Und einer der mächtigsten Männer Amerikas war der Senator Joe McCarthy, dem mein Freund Arthur Miller später sein Stück „Hexenjagd“ widmete.

Kazan hatte ich in New York zuvor bei den Proben zur Uraufführung von Millers „Tod des Handlungsreisenden“ beobachtet. Er hatte ein intelligentes Temperament, konnte selbst wunderbar vorspielen und soll schon in den Dreißigern im Group Theatre ein toller Schauspieler gewesen sein – bei seinem Debüt in Clifford Odets „Waiting for Lefty“, dem Stück, von dem Beckett, wie eine Legende geht, den Titel für sein „Warten auf Godot“ genommen hat. Doch Kazan, den wir alle immer „Gadge“ nannten, wollte vor allem Regisseur sein. Und das nicht nur am Broadway, sondern auch im Film – fünf Jahre zuvor hatte er ja schon einen Oscar für „Tabu der Gerechten“ erhalten. New York war zur McCarthyZeit eine Art Freihafen für Künstler und Intellektuelle, von denen viele Kommunisten gewesen waren oder als Commies galten. (Wobei sich amerikanische Kommunisten von den europäischen allerdings so unterschieden wie Italiener von Deutschen.)

In New York war Kazan, der damals noch mit einer letzten Trotzkistin verheiratet war, einigermaßen geschützt. Doch für eine Hollywood-Karriere glaubte er mit den McCarthy-Leuten kooperieren zu müssen. „Wenn dein Stück ein Erfolg wird“, sagte er mir kurz vor der Premiere, „vielleicht bleibe ich dann hier.“ In der Nacht nach der Premiere, als alle bis auf Kazans damalige Frau, die eine letzte Trotzkistin war und mein Stück nicht mochte, schon ziemlich betrunken waren, rief unser Presseagent uns direkt von der „New York Times“ auf der Premierenparty an und verlangte Kazan, um von der kommenden Kritik zu berichten. Die beiden redeten ziemlich lang miteinander, die anderen tranken und versuchten sich zu amüsieren; dann drehte Kazan sich zu uns um und senkte den Daumen.

Kazan war schon vorher angespannt und deprimiert. Er habe unter dem ganzen Druck gar nicht gemerkt, dass mein Stück auch eine Komödie sei, er habe den Humor nicht erkannt: „Ich habe dich verraten.“ Zwei Tage später schaltete er dann in der „New York Times“ eine ganzseitige Anzeige, in der er ankündigte, vor dem McCarthy-Ausschuss auszusagen, weil der Kalte Krieg seine politische Einstellung geändert habe und Stalin ein Schwein sei. Da war er für uns nun wirklich: ein Verräter. Irene Selznick, unsere erzkonservative Produzentin, hat auf Kazans „Times“-Seite sogar gekotzt. Tatsächlich hat Kazan in Washington vor dem Ausschuss auch Namen genannt, anders als beispielsweise Arthur Miller. Für Miller und mich war „Gadge“ damit erstmal erledigt. Der Ausschuss aber hatte die berühmten „Namen“ natürlich alle auch ohne Kazan gekannt.

Ich habe mit ihm jahrelang nicht mehr gesprochen, obwohl er in der 95. Straße an der Eastside nur zwei Häuser neben uns wohnte. Bis ich ihn einmal morgens gegen halb neun, als ich meinen Sohn zur Schule gebracht hatte, in der Lexington Avenue traf. Sollte ich an ihm wortlos vorübereilen? Ich sagte ihm: „Um diese Uhrzeit kommst du entweder von einer Geliebten, das ist die bessere Variante. Oder du gehst zu deinem Psychiater.“ Er antwortete: „Ich gehe zu meinem Psychiater.“ Und später hat er mir gesagt, es sei alles ein Irrtum gewesen, die Sache mit McCarthy täte ihm leid: „Ich war der König des New Yorker Theaters“, dann sei er in Washington zur Nutte geworden, weil er halt seine Filme machen wollte.

Nun ist er in New York in der 95. Straße gestorben. Mit 94, fünf Jahre älter als ich. Zuletzt soll er nur noch seinen Hund erkannt haben. Wir haben ihm längst verziehen.

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