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Kultur: Wir Maulwürfe

Fassen wir also zusammen: Es gibt mehr so genannte V-Leute, genauer: ein bis zwei bis drei Mal soviel, als wir bislang gedacht haben. Hier zu Lande?

Fassen wir also zusammen: Es gibt mehr so genannte V-Leute, genauer: ein bis zwei bis drei Mal soviel, als wir bislang gedacht haben. Hier zu Lande? Weltweit! Wo kommt überhaupt die Spezies her? Als V-Mensch wird man keineswegs angeworben, wie die Öffentlichkeit glauben möchte, sondern geboren, nur wissen Forscher bislang wenig über solche Geburten. Wenn ein V-Mensch das Licht erblickt, steht gewiss nicht "V" drauf, aber irgend was müsste doch stutzig machen ... Sie kennen vielleicht den netten Cartoon von dem ketterauchen Bären im Wartezimmer, dem die Hebamme zuruft "Es ist ein Gummibärchen!", worauf Vati verblüfft fragt "welche Farbe?". Ist Ihnen je aufgefallen, dass Bären gar keine Gummibären zeugen können? So (un)auffällig kommt wohl auch der V-Mann mitten in diese Welt: eine Erkenntnis, die uns momentan, wo wir noch verdauen müssen, dass Schily Stoibers V-Mann war und Michael Glos der V-Mann Angela Merkels, wenig trösten kann. Dass Bin Laden als Bushs V-Mann fungierte, wurde schon früher kolportiert; umstritten bleibt, welche Straftaten er vor bzw. nach seiner "Abschaltung" verbrochen hat. Überraschung erregte indes dieser Tage die Enttarnung Kofi Annans, der den World Trade Center-Stummel als Mahnmal für den wachsenden Zorn der Dritten Welt bezeichnete: Der Uno-Held ist tatsächlich ein V-Mann jenes Uli Wickert, welcher vor Monaten schon die Verbindung des US-Präsidenten mit dem El-Quaida-Chef behauptet hat. (Was beweist, wie die V-Szenen sich überlappen!) Den Mega-Skandal aber schenkte uns, anlässlich ihres 50. Thronjubiläums, die nun aufgeflogene, langjährige V-Frau des Yellow-Press-Tycoons Murdoch: Das ist V-erlässlichkeit! Da dürfen sich unsere An- und Abschalter vom Verfassungsschutz eine Profi-Scheibe von abschneiden.

Ja, ja, V(erschwörungs)-Theorien! Machen das Leben spannend. V-Theorien sind die perfekte postmoderne Religion. Wenn die Welt voller V-Leute ist, wird einerseits jede Illusion eines Sinnsystems für uns, die anderen, komplett zerstört; wo aber kein Zeichen mehr für das steht, was es bedeutet, erahnen wir, andererseits, hinter den Fata-Morgana-Fassaden ein Giga-Täuschungssystem von transzendenter Dimension. Was zum Beispiel bedeutet noch dieses mysteriöse V ? Früher stand es für Victory. Heute, sagen die einen Interpreten, bezeichnet es den "V(erbindungs)-Mann" (mit oder ohne Bezug zur schlagenden Verbindung), während andere Deuter mit diesem Zeichen den "V(ertrauens)-Mann" identifizieren wollen, der losgelöster von der Obrigkeit agiert als sein Stiefbruder, der "verdeckte Ermittler". Solch staatstragendes V-Mann-Vertrauen wiederum steht im Kontrast zum kritischen V-Effekt des Brecht-Theaters, der auf Verfremdung zielt statt auf treuherzige Identifikation: damit der Zuschauer, emotional distanziert, in der Aktion die Lektion erkenne. OK, aber - welche Lektion?

Alles (V)ergängliche ist nur ein Gleichnis: Die Wahrheit hinter den V-Mann-Scharaden wird nicht einsichtiger, wenn wir auch noch über Begriffsverwirrungen stolpern, die darin bestehen, dass sich V-Männer, die dem eindeutig guten Staat gegen Subversionen durch das eindeutig Böse beistehen sollen, wie so genannte Maulwürfe zwischen gleichwertigen Spionagesystemen hin- und herbuddeln. Mit der Wahrheit übrigens, besagt ein alter Wissenschaftler-Scherz, verhalte es sich ungefähr wie mit einer schwarzen Katze im dunklen Zimmer: Sie ist nicht hier, murrt der Rationalist; ich sehe sie, sagt der Metaphysiker; ich hab sie, ruft der Theologe. Heute tritt an die Stelle der Wahrheitssuche die Fahndung nach der schwarzen Katze des Bösen. Ich hab sie, ruft der Politiker, aber es ist ein Maulwurf. Welche Farbe? fragt der Philosoph? Es ist wohl der Maulwurf in uns allen, sagt der Theologe.

Sieht darum der republikanische Rasen so verboten aus? Verdammt, die kann man nicht alle mit dem Spaten erschlagen.

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