zum Hauptinhalt
Die Mauer zwischen Israel und Palästina

© picture alliance / dpa

„Wir sehen uns am Meer“ von Dorit Rabinyan: Überall Zäune

Laut des israelischen Erziehungsministeriums eine "Bedrohung der Identität": Dorit Rabinyans „Wir sehen uns am Meer“ ist ein Politikum, aber leider kein guter Roman.

Dieses Buch ist ein Politikum. Es war in Israel schon für den Schulunterricht vorgesehen, ehe es Anfang dieses Jahres vom israelischen Erziehungsministerium doch wieder von der Lektüreliste gestrichen wurde, weil es als „Bedrohung der Identität“ verstanden werden könnte und gerade jüngere Menschen möglicherweise „Aspekte wie die Bewahrung der Volksidentität und die Folgen einer Assimilation“ nicht mehr mitbedenken würden.

Die als Tochter eines iranisch-jüdischen Paares 1972 in Kfar Saba geborene Schriftstellerin Dorit Rabinyan erzählt nämlich in ihrem 2014 in Israel unter dem Titel „Gader Chaija“ (Lebender Zaun) veröffentlichten und jetzt ins Deutsche übertragenen Roman „Wir sehen uns am Meer“ die Geschichte einer ungewöhnlichen Liebesbeziehung in New York: zwischen der aus Tel Aviv stammenden Übersetzerin Liat und Chilmi, einem palästinensischen Maler. Chilmi wurde in den besetzten Gebieten groß, in Ramallah, als Kind mit sechs weiteren Geschwistern, die in Hebron und Ramallah arbeiten, aber auch in Tunis Film studieren, in Berlin Jura oder in Jordanien leben. „Da hast du dir aber einen vegetarischen Araber aufgegabelt, das ist ja eine westlich orientierte Familie, ihr Lächeln kitzelt meine Lippen, fast schon aschkenasisch ...“, so stellt sich Liat vor, würde ihre in festen bürgerlichen Tel Aviver Zusammenhängen steckende Schwester Iris mit ihr sprechen.

Schwer erträgliche Schmonzette

Liat und Chilmi streifen nach ihrem zufälligen Kennenlernen durch New York, lieben sich vor allem bei ihm in der Wohnung in Brooklyn – und sprechen über ihre Herkunft: über die besetzten Gebiete, die Schwierigkeiten der Menschen, die dort leben, israelische Soldaten, die palästinensische Gefangene hebräische Lieder singen lassen. Und über ihre Zeit als Soldatin, ihr Gelübde mit dem Tanach in der Hand, der hebräischen Bibel. Was Chilmi zu dem Vergleich verleitet: „Ja, nicht wahr, wie bei der Hamas, mit der Kalaschnikow und dem Koran.“ Und weiter: „Ist das nicht das gleiche faschistische Szenarium: Soldaten mit Gewehren und heiligen Büchern?“. Das könne man nicht vergleichen, entgegnet sie, sie wolle sich auch nicht rechtfertigen dafür, dass sie in diesem Konflikt auf der Seite der Stärkeren stehe. Liat bekommt schließlich Probleme mit ihrer Familie, der Umgang mit New Yorker Bekannten wird schwieriger, und klar, der Konflikt steht zwischen den beiden.

Aber ist „Wir sehen uns am Meer“ mehr als ein Politikum? Ein guter Roman? Nein, leider nicht. Mehr eine Liebesschmonzette, in welcher Liat „in Flammen steht“, wenn sie ihn sieht, sie beide „eingesponnen sind in den süßen warmen Atem der Radiatoren“ und so weiter und so schwer erträglich. Der israelisch-palästinensische Konflikt sorgt für die Tragik des Ganzen, auf dass diese Liebe wirklich eine unmögliche bleibe. Wer sich jedoch unverstellter an die gesellschaftspolitischen Bruchstellen des Konflikts begeben möchte, sollte besser zu Romanen wie Lizzie Dorons „Who the Fuck is Kafka“ oder Sayed Kashuas „Zweite Person Singular“ greifen.

Dorit Rabinyan: Wir sehen uns am Meer. Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016. 378 Seiten, 19,90 €.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false