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Kultur: Wir sind alle Indianer Berlin besitzt herausragende ethnologische Sammlungen. Doch wie soll man damit umgehen?

Peter Bolz ist bitter enttäuscht. „Kein Mensch interessiert sich in Berlin für unsere Sammlungen.

Peter Bolz ist bitter enttäuscht. „Kein Mensch interessiert sich in Berlin für unsere Sammlungen. In Kanada könnte ich jede einzelne Maske für eine Million Dollar verkaufen. Hier lagen sie nach dem Zweiten Weltkrieg und der Rückgabe durch Russland sechzig Jahre ausgelagert in Leipzig im Depot, keiner hat danach gefragt. Vielleicht sollte ich Preisschilder an die einzelnen Objekte kleben, um ihren Wert zu dokumentieren. Oder man gibt die Schätze wirklich an ihre Ursprungsländer zurück. Dorthin, wo die Menschen auch etwas damit anfangen können.“

Der Sammlungsleiter für Nordamerikanische Kunst in Dahlem benennt das große Dilemma des Ethnologischen Museums mit seinen über fünf Millionen Objekten, mit seinen einzigartigen, zumeist aber nur der Fachwelt bekannten Sammlungen. Kaum jemand weiß etwas von den Kulturen, für die diese Objekte kostbare Traditionsgüter sind. „Wir haben viel mehr Geschichten, als wir jemals werden erzählen können“, bekennt auch Viola König, die Direktorin des Ethnologischen Museums. Weniger als fünf Prozent der Bestände werden am Schlossplatz gezeigt werden können. Und ob sich die Deutschen im künftigen Humboldt-Forum tatsächlich mehr für die Kultur der Kwakwaka’wakw, der Tlingit, Haida Gwaii oder anderen first nations in Alaska und Kanada interessieren werden, ist längst nicht sicher. Im schlechtesten Fall kommt es tatsächlich so, wie Peter Bolz es prophezeiht: im Erdgeschoss eine Veranstaltungsarena mit Halligalli, und in den Etagen darüber die Museen, die keiner besucht.

Für wie viel Welt interessieren wir uns? Das ist die Frage, die sich im Humboldt-Forum nach seiner Konzeption als Haus der außereuropäischen Kulturen dringlicher denn je stellen wird und die zu Recht Fachleute in aller Welt elektrisiert. Wie viel bekommen wir mit von den Veränderungen der Welt? Und wie viel wollen wir wissen? Die indigenen Kulturen Kanadas und Alaskas, deren Masken und Totempfähle, Zeremonialgewänder und Kanus das Ethnologische Museum in hoher Qualität bewahrt, mögen tatsächlich weit weg von der europäischen Wahrnehmung sein, nicht viel anders als die armen Südseeboote, die in der Diskussion um das Humboldt-Forum immer herhalten müssen als Inbegriff des Abseitigen.

Fragt man jedoch nach Ölpipelines und Ökosystem, Stromtransmissionen, Fischfang und Artensterben, sind diese Gegenden plötzlich dramatisch nah und eminent wichtig für die Zukunft. Die Welt ist längst kleiner als man hier denkt.

Und sie ist heftig in Bewegung. Wie lebendig das, was Berlins Museen gut abgehangen in ihren historischen Sammlungen bewahren, andernorts wahrgenommen wird, zeigte prototypisch eine Tagung, die das Ethnologische Museum gemeinsam mit dem John F. Kennedy-Institut der FU veranstaltete und für die unter dem Titel „One History – Two Perspectives“ Vertreter der verschiedenen Nationen der amerikanischen Nordwestküste eingeladen wurden. In allen diesen Kulturen besinnt man sich derzeit auf die eigene Tradition. Kulturzentren schießen wie Pilze aus dem Boden, Museen in Vancouver, Victoria oder Montreal arbeiten selbstverständlich mit den Ursprungsgemeinschaften zusammen und lassen sich von ihnen beraten, wie man mit den Objekten umgehen soll. Nach siebzig Jahren des Verbots und der Unterdrückung ist die Auseinandersetzung damit, was kulturelles Erbe für eine heutige Identität bedeutet, an der Nordwestküste Amerikas in vollem Gang.

Das kann uns hier interessieren oder nicht. Doch ohne die Wahrnehmung dieser Entwicklungen ist das, was die Museen bewahren, tatsächlich das tote Gut, als das es gesammelt wurde – Relikte von Kulturen, die schon die Ethnologen des 19. Jahrhunderts als vom Aussterben bedroht erkannten. Wie man mit diesen historischen Objekten in Deutschland arbeiten soll, wo keine Ursprungsgemeinde bereitsteht, die mit Erzählungen, Ritualen, Tänzen und Künstlern Leben in die Gegenstände bringt, ist eine Herausforderung, die sich nicht nur über Videofilme und virtuelle Fenster bewältigen lassen wird.

Besser, man fängt schon jetzt damit an, denn es dauert oft Jahrzehnte, bis Kontakte und Vertrauen hergestellt sind. Auch das wurde bei der Tagung in Dahlem deutlich: Die indigenen Völker Kanadas und Alaskas werden uns nicht helfen, die Geschichte zu finden, die wir hier in Deutschland mit ihren kulturellen Hinterlassenschaften erzählen können. Sie sind viel zu sehr damit beschäftigt, im eigenen Land die kulturelle Tradition wiederzubeleben. Aber sie werden sehr genau darauf schauen, was wir mit ihrem Erbe anfangen. Besitz ist auch Verantwortung. Christina Tilmann

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