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Kultur: „Wir sind alle Krieger“

Die X-Filme-Gründer Becker, Levy, Tykwer und Arndt über zehn Jahre Filmemachen in Deutschland

Vor zehn Jahren stimmte Tom Tykwer ein Klagelied über die Einsamkeit des Einzelkämpfers an. In den jetzigen Geburtstagsinterviews sagen Sie, es sei heute noch schwerer, in Deutschland Filme zu drehen. Immer wieder Klagelieder?

WOLFGANG BECKER: Für uns XFilmer ist das Einzelkämpfertum vorbei. Wobei man auch in dieser Firma sehr einsam sein kann. So wie man sich auf einer Party einsamer fühlen kann als zu Hause.

STEFAN ARNDT: Ich rede immer ganz seltsam über meine Produzententätigkeit: weder wie ein Verleger oder Galerist, der zu realisieren versucht, was andere sich ausdenken, noch rein wirtschaftlich, noch als Kreativer. In Deutschland soll ein Film immer künstlerisch wertvoll und irrsinnig erfolgreich sein.

Mit diesem Ziel sind Sie angetreten: anspruchsvolle Publikumsfilme produzieren.

TOM TYKWER: Sensationell und erfolgreich: aber bitte nacheinander, nicht gleichzeitig. Hätte ich nur noch Sequels von „Lola rennt“ drehen sollen?

Herr Levy, Sie wollten damals, dass etwa zehn Drehbuchautoren für X-Filme arbeiten und immer drei Filme gleichzeitig in Arbeit sind, im Dreh, in der Vorbereitung, im Schnitt. War das Größenwahn?

DANI LEVY: Der Traum von der Dynamisierung ist geblieben. Wir haben es zwar geschafft, die Mobilität zu erhöhen. Aber die Vorstellung von der umtriebigen Firma mit größeren Projekten und spontanen Entwürfen hat sich als nicht praktizierbar erwiesen.

Zwanzig Filme in zehn Jahren sind doch keine schlechte Bilanz.

BECKER: Drei Jahre zwischen zwei Filmen ist zu lang. Dass zwischen „Das Leben ist eine Baustelle“ und „Good Bye, Lenin!“ über fünf Jahre lagen, hat damit zu tun, dass es kaum möglich ist, gute Drehbücher zu akquirieren und Autoren an uns zu binden. Mir kam der Zufall zu Hilfe: Bernd Lichtenberg tauchte mit dem „Good Bye, Lenin!“-Exposé auf. Und nun hatte ich die einmalige Chance, den Film auf der ganzen Welt präsentieren zu können. Da muss der nächste Film wieder warten.

TYKWER: Die Vorstellung, wie vorher mit Stefan in einem zugequalmten EinZimmer-Büro zu sitzen und außer dem Stolz auf den letzten Film nichts zu haben: ein Alptraum! Für mich ging es dank des Netzwerks wirklich ab: Ich habe in fünf Jahren vier große Filmbrocken gestemmt. Dani hat in einem völlig anderen Rhythmus auch vier Filme gedreht – auch das wurde von der Firma aufgefangen.

Wie ist das mit der finanziellen Sicherheit? Haften Sie als Privatpersonen?

ARNDT: Inzwischen nicht mehr. Anfangs haben wir ständig Bürgschaften unterschrieben.

TYKWER: War ein Supergefühl!

„Good Bye, Lenin!“ hatte sein Budget um eineinhalb Millionen Euro überschritten.

BECKER: Was mich etliche schlaflose Nächte gekostet hat. Aber am Ende fragt keiner danach.

ARNDT: Wir sind ja die Handelnden und können selbst sagen: Schluss! Bei „Good Bye, Lenin!“ sahen wir, dass der Film immer besser wird – womit auch seine Erfolgschancen stiegen. Jeder Euro war eine harte, aber bewusste Entscheidung.

Und wann sagen Sie doch mal „Schluss!“?

TYKWER: „Nein“ ist nie gesagt worden.

LEVY: Wir sind eine Ja-Sager-Firma. Wenn über Nacht Entscheidungen getroffen werden müssen, können wir nicht jedes Mal eine Gesellschafterversammlung einberufen. Das war nicht immer so. Ich erinnere mich an eine Krisensitzung während des Drehs zu unserer ersten Produktion, meinem Film „Stille Nacht“. Der Produktionsleiter brachte die Mär auf, wir würden total überziehen. Wir hatten echte Panik.

ARNDT: Inzwischen wissen wir: Man kann jede Zahl von links und von rechts betrachten, je nach Perspektive ist sie schwarz oder rot.

In der Boom-Zeit der New Economy ist X-Filme nicht an die Börse gegangen.

TYKWER: Ein Imperium hätte nicht zu uns gepasst. Wir wollten nie Werte generieren, sondern inspiriert arbeiten.

ARNDT: Was nicht heißt, dass man es nicht auch gerne mal krachen lässt. Es ist doch traurig: Den deutschen Filmemachern stehen Genres wie Fantasy oder Science-Fiction nicht offen, weil es die dafür nötigen Budgets nicht gibt. Wenn ich mir Bully Herbigs „(T)Raumschiff Surprise“ angucke, sieht man den Digitaleffekten trotz vergleichsweise hohem Budget an, dass es nicht reicht. Ich werde aus der Kurve getragen, weil es ein ungeschriebenes Gesetz zwischen Sendern und Förderern gibt, dass es nicht teurer werden darf.

LEVY: „Stille Nacht“ blieb übrigens im Budget. Filmemachen hat viel mit Hysterie zu tun, vor allem unmittelbar vor Drehbeginn. Man gewöhnt sich daran. Das nennt man wohl Erfahrung.

TYKWER: Und bitte keine Mythen: in der Regel überziehen wir nicht die Budgets. Stefan ist ja kein gewöhnlicher Produzent, wir sind Gleiche unter Gleichen.

Ein Kollektiv.

TYKWER: Der Kollektivgedanke ist eher verstärkt worden, seit mit Maria Köpf und Manuela Stehr zwei Produzentinnen hinzugekommen sind. Dass in der Chefetage jetzt drei Regisseure und drei Produzenten sitzen, hat eine große Logik.

Wie funktioniert der kreative Austausch? Beraten Sie sich gegenseitig?

ARNDT: Wenn man sich so lange kennt, reicht manchmal die hochgezogene Augenbraue als Kommentar.

TYKWER: Wir verbringen ganze Nächte gemeinsam im Schneideraum. Da fließen Blut, Schweiß und Tränen.

BECKER: Auf der DVD zu „Good Bye, Lenin!“ gibt es ein 45-minütiges Gespräch zwischen Tom und mir über Kürzungen. Einen Teil davon habe ich Tom zu seinem großen Erstaunen überlassen.

TYKWER: Dass ein Regisseur einen anderen überhaupt in den Schneideraum lässt, ist schon ein Vorgang! Und dann sagt der noch: Das hätte ich anders gemacht! Vor zehn Jahren dominierte noch die Abwehr aus Angst, das Individuelle würde zerstört.

BECKER: Toms Kürzungsvorschläge habe ich natürlich als Provokation erlebt! Umgekehrt habe ich ihm bei „Winterschläfer“ aus der Kopie Szenen herausgeschnitten: Zehn von den zwölf Minuten blieben dann tatsächlich draußen. Von den 60 Minuten, die er bei „Good Bye, Lenin!“ gekürzt hat, blieben 40 draußen.

Klingt alles sehr friedlich. Sechs Individualisten, und nie gibt es Krach?

ARNDT: Wir sind alle Krieger, die in die Welt ziehen und in den Schutzraum der Firma zurückkommen, mit einer Wunde oder einer Medaille, und irgendetwas nicht mitbekommen haben. Den meisten Krach gibt es über die Memo-Mails: Wer wann über was informiert wurde.

Gibt es Eifersucht, Neid?

LEVY: Natürlich gab es Momente, wo ich Tom oder Wolfgang um ihre Erfolge beneidet habe. Aber in erster Linie fühle ich mich bei X-Filme geschützt. Misserfolge tun weh, etwa wenn ein Film wie „Väter“ beim Publikum nicht ankommt. Gerade dann wurde ich hier immer unterstützt.

Wie hat sich die Boy Group durch das Hinzukommen zweier Frauen verändert?

TYKWER: Maria Köpf war schon ein Jahr nach der Gründung dabei und wurde später auch Geschäftsführerin. Die Frauen haben uns in mancherlei Hinsicht den Kopf geöffnet – obwohl ich vorher nicht das Gefühl hatte, dass wir eine Testosteron-bestimmte Truppe waren.

X-Filme produziert inzwischen auch fürs Fernsehen, etwa „Die Hexen vom Prenzlauer Berg“ für SAT 1. Ist X-Filme in der Normalität angekommen?

ARNDT: Sollten wir mal unseren ersten Fantasy-Film drehen, tut es gut, vorher ein bisschen geübt zu haben.

TYKWER: Mit „Hexen“ versucht ein Sender etwas Neues und öffnet die Wochenend-Primetime für deutsche Filme. In diesem Jahr stehen außerdem Filme von Sebastian Schipper, Dominik Graf und Oskar Roehler auf unserer Liste. Geht es darum, unsere Ambitionen infrage zu stellen? Da kann ich nur müde grinsen.

Im Unterschied zur so genannten neuen Berliner Schule, zu Filmen von Christian Petzold, Angela Schanelec oder Thomas Arslan, haben X-Filme immer eine Story. Sie sind „plot driven“, weniger „character driven“, weniger spröde. Kann man X-Filme an ihrem Profil erkennen?

TYKWER: Am ästhetischen Ansatz. Aus jedem Film spricht eine eigene Haltung, eine künstlerische Stimme, die eingeladen ist, frei zu sprechen. Nicht alle unsere Filme sind gelungen. Aber in jedem wird dieser Freiraum genutzt.

LEVY: Unsere Filme erzählen, was der Mensch in seinem gesellschaftlichen Umfeld erlebt. Wir zeichnen ambivalente Figuren, Leute, die man nicht gleich in den ersten Minuten begreift. Wir sind leidenschaftliche Menschenbeschreiber.

Aber X-Filme überhöhen die Wirklichkeit eher, drehen ab ins Großstadt-Märchenhafte wie bei „Lola rennt“.

ARNDT: Das ist für mich Kino.

TYKWER: Die Stilisierung etwa bei Schanelec ist größer. Dazu habe ich eine gewisse Distanz.

BECKER: Unser Bemühen um die Kommunikation mit dem großen Publikum ist stärker. Dass „Good Bye, Lenin!“ sich dem Publikum zuneigt, hat nichts mit Altersmilde zu tun, sondern mit dem Stoff. Dessen Potenz wollte ich nicht durch Strenge oder Lustfeindlichkeit verspielen.

ARNDT: Wir wollen nicht unbedingt bigger than life oder gefälliger sein. Aber im Kampf zwischen Regisseur und Film gewinnt bei uns eher der Film, und sei es gegen die Intentionen des Künstlers.

X-Filme in 10 Jahren, wie sieht das aus?

ARNDT: Der Alptraum wäre: Es macht keinen Spaß mehr.

BECKER: Etwas mehr Wahnsinn wäre gut, für den gesamten deutschen Film. Ein bisschen Hollywood der Siebziger, als Coppola im Urwald „Apocalypse Now“ drehte und den Schluss noch nicht wusste oder William Friedkin seine Verfolgungsjagd aus „French Connection“ ohne Drehgenehmigung inszenierte, so dass die Unfälle alle echt waren. Der deutsche Film ist unglaublich schwerfällig! Am Set sind 100 Meter LKWs geparkt, und wenn man die Szene aus der anderen Richtung filmen will, sagt der Aufnahmeleiter: Kannste vergessen, es dauert Stunden, bis die Autos umgeparkt sind.

TYKWER: Wenn Stefan vom ScienceFiction-Film träumt, meint er damit all die Welten, in denen wir doch nicht waren. Aber sollten wir ihn tatsächlich mal drehen, wird bestimmt „Welt am Draht reloaded“ daraus. Mit Jürgen Vogel.

Das Gespräch führte Christiane Peitz.

GEGRÜNDET

wurde die Berliner Produktionsfirma „X-Filme Creative Pool“ 1994 von den Regisseuren Wolfgang Becker, Dani Levy und Tom Tykwer sowie dem Produzenten und Kinobetreiber Stefan Arndt. Seit der ersten Produktion, Dani Levys „Stille Nacht“, entstanden rund 20 Filme , darunter Tykwers Kassenerfolg „Lola rennt“ (1998) und Beckers „Good Bye, Lenin!“ (2003) mit 6,5 Millionen Zuschauern in Deutschland. Die X-Filmer produzierten auch Werke von Sebastian Schipper, Achim von Borries, Michael Klier oder Hendrik Handloegten.

VERSTÄRKT

wird die Firma mittlerweile durch die Produzentinnen Maria Köpf, seit 1995 dabei, und Manuel Stehr (seit 2000). Beide sind KoGeschäftsführerinnen. 2000 wurde außerdem der X-Verleih unter Anatol Nitschke gegründet. Die Firma hat derzeit rund 40 Mitarbeiter.

INFORMATIONEN

unter www.x-filme.de und www.x-verleih.de

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