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Kultur: Wir sind an der Front

Zum ersten Mal seit 1945 sehen wir kämpfende deutsche Soldaten. Auch für die deutschen Fernsehreporter ist es eine Premiere.

Zum ersten Mal seit 1945 sehen wir kämpfende deutsche Soldaten. Auch für die deutschen Fernsehreporter ist es eine Premiere. Welche Bilder werden sie von diesem Krieg machen? Die Soldaten, unsere, ducken sich hinter einer Häuserecke. Sie feuern, einer schießt mit der Pistole wie im Actionfilm. Dann sehen wir einen Wagen, Marke Lada, der nach links blinkt. Einschußlöcher in der Windschutzscheibe. Der Lada fährt noch ein paar Meter, dann bleibt er stehen. Reporter rennen auf den Wagen zu. Es ist plötzlich wieder wie im Vietnamkrieg. Überall Reporter. Und Reporter sind in diesem Krieg bereits gefallen. Wir sehen einen Serben, der im Auto sitzt und verblutet. Ein anderes Bild zeigt Albaner, die einmarschierende deutsche Truppen bejubeln. Man muß dabei an Österreich 1938 denken oder an den deutschen Einmarsch in der Ukraine, auch wenn die Zusammenhänge nicht im entferntesten vergleichbar sind. Aber so funktioniert unser deutsches Gehirn.

Nur das, was auch im Fernsehen zu sehen ist, erreicht das Bewußtsein der Öffentlichkeit. So lautet eine gängige Theorie: Das Fernsehen konstituiert die Realität. Es spiegelt Politik nicht wider, sondern stellt Politik her. Insofern ist erst jetzt wirklich Krieg. Und erst jetzt wissen wir wirklich, daß die Deutschen dabei sind.

Das wirkungsvollste Bild jenes ersten Tages gehörte trotzdem nicht den deutschen Soldaten. Das Bild, an das wir uns einmal erinnern werden, zeigte den sterbenden Mann im Auto. Wahrscheinlich wußte er noch nicht, daß er stirbt. Er blutete aus etlichen Wunden. Neben ihm, auf dem Fahrersitz, lag sein toter Mitkämpfer, seine Augen waren weit aufgerissen, und er rief etwas, das nicht übersetzt wurde. Er war ein serbischer Freischärler, sein Tod war politisch korrekt. Vielleicht war er ein Mörder. In diesem Moment kam es darauf nicht an.

War es richtig, dieses Bild zu zeigen? Dieses erste Kriegsbild zeigte den Tod. Wer aber über den Krieg berichtet, ohne den Tod zu zeigen, der lügt. Insofern war es richtig. In den letzten Wochen zeigte das Fernsehen häufig Politiker, die mit großem Pathos über den Kosovo-Einsatz redeten. Da schien kein Wort zu groß und kein Vergleich zu abwegig. Abwegig war der Versuch, die Serben mit den Nazis gleichzusetzen, Milosevic mit Hitler und das Kosovo mit Auschwitz. Auch demokratische Staaten betreiben bekanntlich Kriegspropaganda: Für die Briten sind die Deutschen im Zweiten Weltkrieg "Hunnen" gewesen. Für die Russen waren sie "faschistische Bestien". Österreich 1938, Auschwitz, Hitler - aus allen Ritzen quellen in diesen Tagen wie Nebel falsche Bilder und falsche Vergleiche. Man konnte, während man den serbischen Freischärler sterben sah, auch an unsere Großväter und Väter denken, an die Hunnen und Bestien, die massenhaft gestorben sind, millionenfach.

Waren sie Mörder? Verbrecher? Einige von ihnen bestimmt. Ihre Kinder, ihre Frauen und Eltern haben trotzdem um sie getrauert. Ein Krieg kann gerechtfertigt sein. Aber es gibt im Krieg kaum eine Möglichkeit, Gutes zu tun. Da gibt es nur Dreck und Blut und Tod. Das begreift man, wenn man den sterbenden Mann im Auto sieht. HARALD MARTENSTEIN

Vor den deutschen Soldaten kamen die deutschen Journalisten; den Kriegern laufen die Medienkrieger voran. Die Medienkrieger rennen dann mit der Kamera auf der Schulter zum gelben Lada, sie holen die Waffen heraus, ein sterbender Serbe fällt hinterher. Danach kommen die deutschen Sanitäter. Es ist ein Team des ZDF, das hier auf Bilderjagd geht. Als Beute gemacht ist, unterbricht der Sender sein Programm zur Europa-Wahl für ein "ZDF-Spezial": Klaus-Peter Siegloch kündigt dramatische Bilder an, es folgen die in der Tat exklusiven ZDF-Aufnahmen. Sie toppen alles, was die Teams anderer Anstalten an diesem Sonntagabend ins Visier zu nehmen wagten. Nach diesen Bildern bricht das "ZDF-spezial" ab, und das ZDF setzt seine Sendung zur Europa-Wahl fort.

Der Einsatz der Medienkrieger muß sich nach Ansicht ihrer Feldherrn auf dem Mainzer Lerchenberg gelohnt haben. Zumindest in diesem Fall. Sie waren mittendrin statt nur dabei. Alles authentisch, echte Bilder vom echten Krieg mit echten Sterbenden. Es gibt jetzt tote deutsche Journalisten und verletzte deutsche Soldaten. Vor den Kriegern sterben die Medienkrieger. Bald müssen die Krieger die Medienkrieger in der Quotenschlacht auch vor sich selber schützen. JOACHIM HUBER

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