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Kultur: Wir sind so frei

Zimmer mit Aussicht: „Rohkunstbau“ im Spreewald, ein Kunstfestival und Ausflugsziel

Bei Freiheit denkt sie an das Sandmännchen, erzählt ein Schülerin. Es streut dir Sand in die Augen, und dann schläfst du ein und träumst. Und in den Träumen bist du frei. Andere denken bei Freiheit an Vögel („Die können fliegen und haben keine finanziellen Sorgen“), an Engel („Können auch fliegen und sind immer gut drauf“) oder an Fantasie- und Fabelwesen. Nur einer kommt auf abstrakte Werte wie Gedankenfreiheit, Pressefreiheit oder körperliche Freiheit.

Die Künstlerin Melanie Manchot, in Deutschland geboren, in London lebend, hat mit fünf Gymnasiasten aus Lübben im Spreewald eine Fantasieuniform entworfen – und die Schüler danach befragt, wie sie sich in der Uniform fühlen. In Videofilmen stellt sie die Gruppe vor, einmal in Uniform, einmal in Freizeitkleidung. In Uniform halten sich die Kids deutlich gerader, marschieren geordnet auf. In Freizeitkluft stehen sie locker und entspannt. „Ich finde, dass ich gut aussehe“, erklärt ein Schüler stolz, eine andere fühlt sich „disziplinierter“, aber auch überwacht und „hörig“. Das Soldatische, Militärische bereitet ihnen allen Unbehagen – bis sie den passenden Dreh finden: „Wir sind doch Freiheitskämpfer.“

„Freiheit“ ist das Oberthema der diesjährigen Sommerausstellung in Groß Leuthen im Spreewald. Der erste Teil einer auf drei Jahre angelegten Ausstellungsreihe, die sich an Kieslowskis Filmtrilogie „Drei Farben: Blau, Rot, Weiß“ orientiert. Diesmal also: Blau. Die Freiheit, la liberté der französischen Trikolore. Direkt auf Kieslowski allerdings beziehen sich die wenigsten der zwölf eingeladenen Künstler. Die Französin Sylvie Barré spiegelt in Linsen einzelne Sätze aus Kieslowski-Filmen. Und das britische Duo Lnaglands & Bell färbte die Fenster im ehemaligen Schlafzimmer blau und rot ein. Die Arbeit heißt: „Who is afraid of Blue, White and Red?“ Nur eine Fensterscheibe ist weiß, durchsichtig geblieben. Durch sie sieht man draußen den See.

Die idyllische Lage des Wasserschlosses, die malerisch verkommenen, einst prunkvollen Gründerzeiträume waren von jeher eine starke Konkurrenz zu jedweder Kunstausstellung, die der aus der Region stammende Organisator Arvid Boellert seit 1994 unter dem sperrigen Namen „Rohkunstbau“ jeden Sommer veranstaltet. Zu groß oft die Versuchung, bei Kaffee und Kuchen auf der Terrasse die Kunst Kunst sein zu lassen oder gleich zur Abkühlung in den See zu springen. Und das, obwohl die Künstlerliste von „Rohkunstbau“ von Jahr zu Jahr prominenter, das kuratorische Konzept, seit es in Mark Gisbournes bewährten Händen liegt, immer stringenter geworden ist. Inzwischen ist ein Besuch in Groß Leuthen Pflichttermin im sommerlichen Kulturkalender. Und die Veranstalter haben gelernt: Inzwischen begegnet man dem Freiluftdrang der angereisten Großstädter mit einem Rohkunstbau-Festival, das Open-Air-Kino, Theatergastspiele und Leseabende samt Picknick bietet.

Doch im Zentrum steht nach wie vor die Kunst. Hatten sich im vergangenen Jahr zum Thema „Kinderszenen“ die zwölf eingeladenen Künstler in unvergesslich sensiblen Installationen mit der Vergangenheit des Hauses als Waisenheim und Erziehungshort auseinander gesetzt, ist das diesjährige Thema „Freiheit“ offener – und ungleich schroffer. Denn bei Freiheit ist gleich immer Unfreiheit mitgedacht, und so eröffnet Costa Vece, der als Sohn einer griechisch-italienischen Migrantenfamilie heute in der Schweiz lebt, den Parcours in der Eingangshalle mit einer finsteren Grenzsimulation: eine Wellblechmauer, Stacheldraht, der Schriftzug „This is free land“ – frei ist ein Land, ist auch die Festung Europa immer nur für seine Staatsbürger, für alle anderen ist es Terra prohibita.

Die von Menschen unberührte Natur inspiriert angesichts der spektakulären Kulisse gleich mehrere Künstler. Michael Wesely hat eine seiner üblichen Langzeitbelichtungen auf der Terrasse von Groß Leuthen durchgeführt: Ein Jahr lang hat er mit einer Lochkamera den See aufgenommen. Sonnenlicht, Wasser und Schnee haben ihre Spuren hinterlassen, auch ein Baum, der im Verlauf des Jahres einen Zweig verloren hat, oder die Bänke des Festivals vom vergangenen Sommer. Menschen hingegen hat die Kamera nicht festgehalten, zu flüchtig, zu kurzfristig ihr Aufenthalt am Ort. Auch die Norwegerin AK Dolven zeigt in einem Super-8-Film einen See in ihrer Wahlheimat, den Lofoten: eine anrührend intime Erinnerung. Im Zentrum des Bildes zwei Schneeflecken, die den ganzen Sommer über nicht schmelzen wollten. Tapfere kleine Flecken: Sie sind so frei.

Explizit politisch, wie bei dem Thema „Freiheit“ eigentlich zu erwarten, sind die wenigsten Arbeiten, und nicht unbedingt die stärksten: Gregor Schneider recycelt in einer Dokumentation noch einmal den Streit um seinen Black Cube in Venedig und Berlin, Mona Hatoum lässt Kinder in Kairo Käfige basteln, aus Gabeln, Sieben, anderen Alltagsgegenständen. „Der größte Käfig“, so eins der Kinder, „ist der Mensch.“ Und die größte Unfreiheit die, die wir einander zufügen.

Auf den Punkt gebracht hat das die in Berlin lebende Italienerin Monica Bonvicini, zuletzt mit dem Preis der Nationalgalerie für junge Kunst ausgezeichnet. Der ihr zugedachte Raum, mit elegantem Stuck im Obergeschoss, bleibt auf ihren Wunsch hin leer. Der Blick geht unweigerlich aus dem Fenster, hinaus auf den See. Und auf der Terrasse blinkt ein Schriftzug aus Glühbirnen: „Not for you“, nicht für dich. Zutritt verboten also, kein Schwimmen im See. Kaum einer wird sich zum Glück daran halten.

Rohkunstbau, Wasserschloss Groß Leuthen, bis 10. 9., Mi bis Fr 14 bis 20, Sa und So 10 bis 20 Uhr. Eröffnung heute, ab 15 Uhr, mit Vernissage, Versteigerung und Performances. Infos und Anfahrtswege unter www.rohkunstbau.de

Christina Tilmann

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