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Kultur: Wir tauschten Haß gegen Gitarren

"Weissglut"? Das klingt nach Ernst Jünger: "Da hielten Männer das Haupt erhoben, strahlend in der Weißglut des Martyriums" (Das Abenteuerliche Herz).

"Weissglut"? Das klingt nach Ernst Jünger: "Da hielten Männer das Haupt erhoben, strahlend in der Weißglut des Martyriums" (Das Abenteuerliche Herz).Oder nach Heiner Müller: "Stunde der Weissglut ...Hochzeit von Feuer und Wasser Menschen aus neuem Fleisch" (Lessings Schlaf Traum Schrei).Doch die Rede ist vom Debüt einer deutschen Rockband.Sie nennt sich "Weissglut" und hat bei Epic, einem Sony-Label, ihr erstes Album veröffentlicht.Die Heavy-Metal-Branche ist begeistert, andere sind entsetzt.Gibt es einen Rechtsruck in der deutschen Popmusik, wie "Der Spiegel" behauptet? Hat sich mit Rammstein und Joachim Witt ein Trend als Mainstream durchgesetzt, der bislang nur in der rechten Szene ein ziemlich isoliertes Dasein fristete?

Der Weissglut-Sänger Josef Maria Klumb gilt als Sympathisant der rechtsradikalen Szene und wird in der "Jungle World" als "Antisemit" bezeichnet.In einem Interview mit der neurechten Postille "Junge Freiheit" hatte der damalige Frontman der Wave-Formation "Forthcoming Fire" von der "Erhebung" einer elitären deutschen Kulturnation gesprochen und sich selbst zur Leitfigur berufen: "Teil meiner Vision ist es, einen Bewußtseinssturm in Deutschland zu entfachen.Dieses Ziel ist ein Selbstopfer wert." Solche Erlösungsphantasien waren seinem damaligen "Hyperium"-Label zu viel, doch Epic erklärt, man habe Sänger und Band auf rechtsradikale Verbindungen untersucht, aber keinerlei Hinweise gefunden.

Wie faschistoid sind Texte, in denen es heißt: "Die fernen Himmelszeichen habe ich erkannt, ein Blick ins Sternenfeuer setzte mich in Brand"? Werden Nazi-Assoziationen durch Titel wie "Ein Mensch brennt" (Rammstein) "Heiliger Krieg" (Bollwerk), "Fahr zur Hölle" (V-Lenz) gesellschaftsfähig? Als die Frankfurter Punkband "Böhse Onkelz" 1995 einen Plattenvertrag bei dem zum EMI-Konzern gehörigen Virgin-Label unterschrieb, ist diese Frage schon einmal diskutiert worden.Denn die "Onkelz" waren vor allem durch rechtsradikale Lieder wie "Deutschland den Deutschen" und "Türken Raus" berühmt-berüchtigt geworden.Sie wurden deshalb von Plattenläden und Radiosendern boykottiert, was ihrem Ansehen allerdings keinen Abbruch tat.Im Gegenteil.Der plötzliche Aufstieg in die Major-League sorgte daher für einige Irritation, weil er deutlich machte, daß Jugendkultur und Popmarkt sich politisch nicht mehr festlegen lassen.Aus der antiautoritären Bastion Punk ist eine stumpfe Wut-Kultur geworden, die keine Unterschiede mehr machen will.Virgin startete eine aufwendige Image-Kampagne, in der die rechtsextremen Szene Hymnen als Entgleisungen marginalisiert wurden.Eine Punkband müsse sich solche Provokationen erlauben dürfen, lautete der Rehabilitationstenor.

Die Frankfurter Prollbrüder haben für fast jede Veröffentlichung eine Goldauszeichnung erhalten.Ihr jüngstes Album, "Viva Los Tioz", kletterte in den deutschen Popcharts auf Rang drei, von wo aus sie ihre Gegner mit Sätzen wie "Wer Böses sät, wird Onkelz ernten" oder "Wir tauschten Haß gegen Gitarren, denn wir sind Onkelz und keine Narren" verhöhnen.Doch die derzeit international erfolgreichste Formation aus Deutschland ist "Rammstein".Der düstere Industrial Rock der aus Berlin und Schwerin stammenden Band wird im Ausland mittlerweile mit deutschem Rock gleichgesetzt.Was vielleicht auch daran liegt, daß das Bild des häßlichen Deutschen in Amerika, wo Rammsteins jüngste Platte "Sehnsucht" bereits 500 000 mal verkauft wurde, noch immer ein willkommener Mythos ist.Wie die "Onkelz" sind Rammstein Geschöpfe der Mediengesellschaft und werben mit politisch zweifelhaften Anspielungen, einem spektakulären Feuerzauber und gurgelndem Hitler-Sound.Als sie jetzt von britischen Kollegen wie Goldie dafür angegriffen wurden, daß ihr "Stripped"-Video Bilder aus Leni Riefenstahls Olympia-Film zeigt, beteuerten sie, ausschließlich ästhetische Interessen zu verfolgen.

Auch die einstige Galionsfigur der Neuen Deutschen Welle, Joachim Witt, fühlt sich gehörig mißverstanden, seitdem sein pessimistisches Untergangsstück "Die Flut", unter Faschismusverdacht geraten, von MTV boykottiert wird.Das Lied ist eine harmlose Pubertätsschmonzette, in der Liebeskummer-Tränen zur Sintflut anschwellen.Doch das Video zeigt eine Horde verwegener Endzeitkrieger, die sich unter Führung Witts durch eine flüchtende Menschenmenge auf das rettende Schiff durchkämpft.MTV sah darin "die Glorifizierung einer Zweiklassengesellschaft", die dem "positiven MTV-Spirit" nicht entspreche, wie Peter Rupert erklärt.Sein Kollege bei VIVA, Michael Kreissl, rechtfertigt hingegen die Ausstrahlung des Videos, weil seine "progressive Botschaft" ins VIVA-Format passe.

Die exzentrischen Machtphantasien berühren offenbar eine Stimmung im Land, die sich nach dem Ende der Sozialutopien nicht anders zu artikulieren weiß als über "Feuer"-, "Blut"- und "Krieg"-Metaphern.Sie reklamieren für sich unpolitische Absichten, und in der Tat darf bezweifelt werden, daß die nihilistischen Pop-Clowns Werkzeuge nationalistischer Interessen sind, die durch Songs wie "Weiss glüht die Sonne" (Weissglut) ideologisch aufgerüstet würden.Ihre konfusen Selbstdarstellungen beschwören simpelste Affekte, die gängige Reflexe eines selbstverliebten, extrem konservativen Kulturpessimismus abrufen.Aber rechtfertigen solche Vorbehalte einen Boykott, wie Diedrich Diederichsen mit Blick auf die "Onkelz" meinte? Sie finden einen Markt, den die linksintellektuelle Musikpresse ohnehin nicht kaputtschreiben kann.Die Ausgrenzung stärkt das Protestpotential der Musiker sogar.Sie fürchten nichts so sehr wie Anpassung, doch schon jetzt sind die Onkelz unglaubwürdig, wenn sie singen: "Ich bin im Krieg mit Gott und der Welt.Das macht mich nicht beliebt und bringt kein Geld."

KAI MÜLLER

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