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Kultur: Wissen! Schafft!

Wolfram Eilenberger trifft 17 Nobelpreisträger und 600 Hochbegabte Hochbegabte, das ist bekannt, haben es nicht leicht in unserem Land. Bereits im Kindergarten isoliert, suchen sie während der Schulzeit verzweifelt Anschluss an das Mittelmaß und geraten an der Universität unter die Obhut eines sozial ebenfalls deprivierten Gleichen (Professor).

Wolfram Eilenberger trifft

17 Nobelpreisträger und 600 Hochbegabte

Hochbegabte, das ist bekannt, haben es nicht leicht in unserem Land. Bereits im Kindergarten isoliert, suchen sie während der Schulzeit verzweifelt Anschluss an das Mittelmaß und geraten an der Universität unter die Obhut eines sozial ebenfalls deprivierten Gleichen (Professor). Von der Gesellschaft lange aufgegeben, ziehen sich unsere Hochbegabten deshalb über Jahrzehnte ins Laboratorium zurück und fristen ein Dasein in stiller Erkenntnis und Verzweiflung – bis sie dann den Nobelpreis erhalten und jeden Juli nach Lindau eingeladen werde. 600 handverlesene Jungchemiker aus aller Welt wurden auch dieses Jahr zum Erfahrungsaustausch an den Bodensee geladen, um den Worten von 17 Laureaten persönlich zu lauschen. Dort diskutieren, lachen, trinken und tanzen die ChemikerInnen über Tage gemeinsam. Und mein Tischnachbar, ein junger Habilitand aus der türkischen Republik, flüstert mir bei der traditionellen Saalpolonaise stolz ins Ohr: Das ist Wissenschaft!

Das Lindauer Konzept geht in der Tat erfreulich auf. Überaus ungezwungen können die „Youngster“ hier die „Personality eines Nobelpreisträgers“ erleben und den eigentlichen Neubeginn der Chemie im postgenomischen Zeitalter problematisieren. Die Nanotechnologie befinde sich auf dem Sprung zur Praxis, das Potential von Methanolmotoren werde von der Wirtschaft weiter umfangreich ignoriert, und dass es zu Atomenergie schlicht keine präsentable Alternative gebe, lässt sich am lockeren Tisch von Prof. Olah vernehmen. Zwei junge Russen nehmen darauf beglückt seine Visitenkarte entgegen (Das ist Wissenschaft!), während sich Sir Harold Kroto am Nebentisch einmal mehr an der absoluten Nichtanwendbarkeit seiner Entdeckung (Fullerene) berauscht.

Nur die äußerst spärlich angereisten Journalisten wollen nicht in Fahrt kommen. Säßen hier 17 Literatur- anstatt Chemiepreisträger versammelt, vermutlich hätte man die ganze Insel abgesperrt! So aber bemüht sich ein schwaches Dutzend angereister Kollegen, die thematische Verlorenheit durch Stille zu kaschieren. Nur eine Fernanfrage per Telefon trifft ein. Ob denn nicht irgendeiner der Laureaten etwas Licht in die Chemie des Küssens bringen wolle?

Ja, auch das ist Wissenschaft!

Das absurde Missverhältnis zwischen sozialer Bedeutung und öffentlicher Wahrnehmung ihres Handelns scheint die Grundlagenforscher indes schon lange nicht mehr zu bekümmern. Vermutlich ist ihnen die kompetenzfreie Stille sogar recht. Schließlich sei, wie der notorische Professor Olah bekennt, „ein fachlich gut informierter Politiker etwas, wovor uns Gott bewahren möge“. Wahrscheinlich haben die guten alten Männer Recht. Es wäre für die Wissenschaft und damit selbstverständlich uns alle viel gescheiter, auch in Zukunft keine weiteren Fragen zu stellen und die früh isolierten Hochbegabten weiter ungestört an ihren Zink-Finger-Peptiden, molekularen Maschinen und identischen Nachkommen basteln zu lassen.

Oder vielleicht noch besser: Sich mit aller Vorsicht erst einmal der Chemie des Küssens zu widmen. Schließlich ist auch das eine Wissenschaft für sich. Und die eigentlich heiklen Fragen im Leben eines Hochbegabten stellen sich erfahrungsgemäß gerade nach solchen Experimenten.

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