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Witi Ihimaera, Jahrgang 1944. Foto: dpa

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Kultur: Witi Ihimaera

Mr. Ihimaera, Sie haben als Schriftsteller erfolgreich für die Wahrnehmung der Maori-Bevölkerung gekämpft.

Mr. Ihimaera, Sie haben als Schriftsteller erfolgreich für die Wahrnehmung der Maori-Bevölkerung gekämpft. Wovon träumen Sie heute noch?

Je mehr Maori, Menschen aus dem pazifischen Raum und Pakeha zusammenarbeiten, umso besser werden wir alle unsere monokulturellen Wurzeln überwinden. Ich schreibe, weil ich eine pazifische Identität schaffen möchte, nicht bloß eine Maori-Identität.

Wie könnte diese gemeinsame Identität aussehen?

Schon jetzt verfügt Auckland über die größte Gemeinschaft von Menschen aus der pazifischen Region. Mit John Pule, Michel Tuffery oder Lemi Ponifasio, der aus Samoa kommt und eine Tanzkompagnie in Auckland gegründet hat, gibt es auch mehr Künstler als je zuvor. Das Gute ist, dass ihre Arbeiten nicht mehr unter exotischen Aspekten betrachtet werden, sondern unter ästhetischen. Als ich zu schreiben anfing, waren die Bereiche von Maori und Pakeha noch ziemlich getrennt. Jetzt aber leben beide Bevölkerungsgruppen dicht zusammen. Maori sind nicht länger eine Außenseiterkultur, die nach innen schaut, und Pakeha eine Insider-Kultur, die nach draußen sieht. Wir besetzen inzwischen denselben kulturellen, politischen und ökonomischen Raum.

Haben Sie damit nicht einen Teil Ihrer Mission erfüllt?

Nun, ich muss heute nicht mehr gegen etwas anschreiben. All die Widerstände haben mir meine Arbeit früher in gewisser Weise leichter gemacht als den jungen Schriftstellern. In den Alltag hat die Zweisprachigkeit Einzug gehalten. (Er zeigt auf die Wörter „Café“ und „wharekai“.) Im Radio hört man nicht nur „Good morning“, sondern auch „Kia ora“, es gibt ein Fernsehprogramm auf Maori, in den Schulen wird sogar der Kriegstanz haka unterrichtet. Inzwischen bin ich aber nicht mehr so sehr an meiner eigenen Karriere interessiert, sondern möchte lieber anderen Künstlern helfen.

Sie kommen von den Erfahrungen Ihrer Kindheit und Jugend dabei aber nicht los.

Ich bin in einem kleinen Tal in der Nähe von Gisborne aufgewachsen, an der Poverty Bay, in einer Gemeinschaft ohne Konflikte. Ich besuchte eine Native School, die es damals noch gab. Erst als ich in die große weite Welt aufbrach, merkte ich, dass das eine Außenwelterfahrung sein würde. Eigentlich wollte ich gar nicht weg. Deshalb glaube ich, dass Sentimentalität die Welt geschaffen hat, über die ich schreibe. Ich liebe diese Welt, immer noch. Mein Vater starb mit 96, meine Mutter mit 89 Jahren. In drei Wochen gehe ich nach Gisborne, wo wir die „Enthüllung des Grabsteines“ vornehmen.

Sie sprechen von einem alten Maori-Ritual, bei dem sich die Familie fünf Jahre nach dem Tod eines Verwandten noch einmal versammelt, um den Grabstein zu enthüllen.

Ja, mein Leben als Maori geht weiter, nur in einer sehr viel komplexeren Welt. Aber ich muss mich ihr stellen, denn ich habe einen Enkel und will, dass er auf Maori-Art aufwächst.

Sie greifen in Ihren Kurzgeschichten und Romanen oft historische Konflikte auf.

Ich möchte den ganzen Zorn und die ganze Leidenschaft verarbeiten, die das Maori-Dasein bis in seine politischen Dimensionen hinein bestimmen. Mein Roman „The Matriarch“ rekonstruiert die neuseeländische Kolonialgeschichte, es geht um eine Kriegerin und Priesterin, die darum kämpft, verlorenes Land wiederzuerhalten. „Trowenna Sea“ beschreibt ein Ereignis im Jahr 1848, als fünf Maori-Chiefs nach einem Aufstand illegal ins australische Tasmanien deportiert wurden. Mein letzter Roman „The Parihaka Woman“ verbindet Maori-Mythen mit Elementen an die europäische Kultur.

Vor zwölf Jahren war er noch ein Opernlibretto.

Warum soll ich nicht ein Libretto in ein Buch verwandeln? Bei „Parihaka Woman“ wurde ich von Beethovens „Fidelio“ inspiriert, es ist eine wundervolle Geschichte, und die Musik habe ich immer geliebt. Da gibt es diese fantastische Arie „Welch Dunkel hier“. (Er beginnt zu singen.) Aber als ich das schrieb, wusste ich noch nichts von der Frankfurter Buchmesse. (Lacht.)

„Whale Rider“ basiert auf alten Mythen der Maori und stellt zugleich deren traditionelle Rollenmuster infrage.

Auf „Whale Rider“ habe ich jede Menge Resonanz bekommen. Zum Beispiel von einem chinesischen Jungen, der mir schrieb, dass er von nun an seine Schwester respektieren werde. Aber das Buch, zu dem ich das allermeiste Feedback bekommen habe, ist „Nights in the Gardens of Spain“ (1995). Es handelt von einem Universitätsdozenten und schwulen Vater zweier Töchter. Im Buch war er noch ein europäischer Charakter, aber im Film ist er Maori. Wie in „Whale Rider“ geht es um Fragen der geschlechtlichen Gleichheit und Identität, aber jetzt auch um die Akzeptanz von Homosexualität. Die gab es in der traditionellen Maori-Gesellschaft genauso wenig wie Frauen in Führungsrollen.

Der erzählerische Antrieb für „Whale Rider“ war die bedingungslose Liebe eines kleinen Mädchens zu ihrem Großvater, obwohl es von diesem als zukünftiges Oberhaupt des Clans wegen ihres Geschlechts abgelehnt wird.

Das Mädchen tut alles, um seinem Großvater zu gefallen und das Erbe der Herkunft zu erfüllen. Und sie wird zur Anführerin. Viele haben gesagt, das sei nur ein Märchen, aber das stimmt nicht. Die neuseeländische Erstausgabe 1987 hatte ich einer 19-Jährigen gewidmet, Hekia Parata. Heute ist sie Ministerin für Erziehung und pazifische Angelegenheiten.

Das Gespräch führte Babette Kaiserkern.

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