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Witwe von Krimiautor Larsson: "Als ich ankam, war Stieg schon tot"

Eva Gabrielsson, die Witwe des Autors Stieg Larsson, wäre Millionärin, doch ihr Lebensgefährte hinterließ kein Testament. Ein Interview vom Kampf gegen Neonazis, über Raumschiff Enterprise, Larssons viertem Roman - und das schwedische Erbrecht.

Von Andreas Austilat

Eva Gabrielsson, 58, lebte drei Jahrzehnte lang mit dem schwedischen Autor Stieg Larsson zusammen, dessen Trilogie (Verblendung – Verdammnis – Vergebung) mit 63 Millionen verkauften Büchern ein Welterfolg ist. Nun erscheint bei Heyne ihr Buch „Stieg Larsson und ich“. Die studierte Architektin lebt in Stockholm.

Frau Gabrielsson, Sie kommen aus den Ferien. Waren Sie wie früher auf den Inseln vor Stockholm?
Nein, man benötigt ein Boot dafür, und allein mache ich das nicht. Außerdem sind noch so viele Erinnerungen mit den Schären verknüpft.

Die Trauer über Ihren Verlust ist noch so groß?
Ich würde mich nicht gut dabei fühlen. Wobei es durchaus Orte gibt, wo ich mit Stieg war und zu denen ich immer noch fahre. Gerade komme ich aus den Wäldern in Nordschweden, die Gegend kenne ich aus gemeinsamen Zeiten.

Denken Sie manchmal daran, dass Sie heute vielfache Millionärin sein könnten?
Ich denke manchmal, was wir mit dem Geld getan hätten. Wir hatten ja schon angefangen, Pläne zu machen. Wir wollten „Expo“, die Zeitschrift, die Stieg gegründet hatte, endlich solide finanzieren.

„Expo“ ist eine Zeitschrift gegen Rassismus und Rechtsextremismus. Sie wurde zum Vorbild für das Magazin „Millennium“ in Stieg Larssons Romanen.
Die echte „Expo“ stand damals ständig am Rande des Ruins. Wir dachten im Sommer 2004 natürlich nicht an die Summen, die Stiegs Romane dann wirklich einspielten. Nehmen Sie nur mal einen Euro pro Buch, dann können Sie sich bei bis jetzt 63 Millionen Exemplaren weltweit ausrechnen, worum es geht. Und da sind die Hörbuchrechte und die Filme noch nicht mit drin.

Wie viel hat Stieg Larsson davon gesehen?
Nichts. Ihm war ein Vorschuss von umgerechnet etwa 60 000 Euro angekündigt worden, aber der erste Band kam ja erst 2005 heraus, ein halbes Jahr nach seinem Tod. Optimistisch hatten wir auf eine halbe Million Euro gehofft, die wir für uns behalten könnten. Den Rest würden wir in „Expo“ stecken und in ein Frauenhaus-Projekt.

Bevor wir über den Erbstreit sprechen, wüsste ich gern mehr über Ihr gemeinsames Leben. Unser Treffpunkt hier – Sie sagten, der sei mit ihm verbunden.
Wir sind in Södermalm, einem südlichen Stadtteil von Stockholm-City. Die Häuser, die Sie um uns herum sehen, wurden alle zwischen 1915 und 1925 errichtet, entworfen vom Stadtplaner Per Olof Hallmann. Als Stieg an Millennium schrieb, arbeitete ich an einem Buch über Hallmann. Henry Cortez, der Rechercheur aus Stiegs Roman, den hat er hier angesiedelt. Im Buch wohnen die Guten in Vierteln, die Hallmann entwickelt hat.

Bildergalerie: Premiere von "Verblendung" in Berlin

Sie beide lebten auch hier?
Unsere Wohnung ist in der Nähe. Stieg saß zum Beispiel gern in dem Café vorn an der Götgatan,neben der U-Bahnstation, an der ich Sie abgeholt habe. Oben, im zweiten Stock, schrieb er manchmal und trank viel Kaffee.

Wie war er als Typ?
Sehr extrovertiert, voller Neugier, und er hatte ein gutes Gedächtnis. Wenn er in ein Café ging, war er sofort mit dem Besitzer bekannt, und weil er dann so oft kam, kriegte er auch gleich Rabatt. Er gab einem schnell das Gefühl, in einer besonderen Beziehung zu ihm zu stehen.

Sie haben sich 1972 auf einem Anti-Vietnamkriegsforum kennengelernt. Waren sie einander ähnlich?
Wir hatten den gleichen kulturellen Hintergrund, teilten dieselbe Moral, hatten die gleiche Neugier auf die Welt, aber ich habe ein ganz schlechtes Personengedächtnis. Dafür war ich analytischer. Wenn wir segelten, dann war er es, der navigierte. Das hatte er sich selbst angeeignet. Ich war die Seglerin, denn ich hatte im Unterschied zu ihm den Kurs besucht. Wir haben uns gut ergänzt: Er wusste, wo wir sind, und ich verstand das Boot.

Über Stieg Larsson heißt es, er setzte sich schon in den 70ern für die Rechte von Frauen ein. Wie war das in Ihrem Zusammenleben?
Putzen haben wir beide gehasst und es deshalb zusammen getan, gekocht habe ich.

Weil er das auch gehasst hat?
Weil er am Essen vollkommen uninteressiert war. Das änderte sich erst, nachdem er den Vertrag für die Millennium-Bücher unterschrieben hatte. Ich war damals vier Tage die Woche weg, da hat er das Kochen übernommen. Zum ersten Mal hatten wir auch das Gefühl, unsere Zukunft könnte irgendwie gesichert sein.

Beide waren politisch aktiv und wurden dafür bedroht

Ihr Leben veränderte sich?
Er begann ein bisschen mehr auf sich zu achten. Doch nur ein halbes Jahr später starb er, am 9. November 2004. Ich hatte in Falun zu tun, als mich die Nachricht erreichte, dass Stieg zusammengebrochen sei. Er war ins Büro von „Expo“ gegangen. Weil der Fahrstuhl an diesem Tag kaputt war, stieg er die sieben Stockwerke zu Fuß hoch. Oben kollabierte er. Drei Stunden brauchte ich bis nach Stockholm. Als ich ankam, war er schon tot. Er wurde nur 50. Ich fürchte, ein früher Tod lag ihm in den Genen. Sein Großvater starb mit 56, seine Mutter auch.

Ein guter Grund, ein Testament zu machen.
Bis zu diesem Zeitpunkt gab es ja nicht viel, das wir einander vererben konnten. Außerdem plante Stieg, eine Firma zu gründen, die uns zu gleichen Teilen gehören sollte und die dann der Rechteinhaber seines literarischen Werks gewesen wäre.

Sie waren beide politisch aktiv und wurden dafür zeitlebens bedroht.
Er wurde bedroht. Er war aktiv bei „Stop Racism“, das ist so etwas wie die Antifaschistische Aktion in Deutschland, er half beim Aufbau des Zentrums gegen Rassismus, so weit das seine Zeit zuließ, er arbeitete ja bei der Nachrichtenagentur TT. Seit 1983 schrieb Stieg für „Searchlight“, ein britisches Magazin gegen Rassismus und Rechtsextremismus. Dafür bekam er immer Anrufe und Drohbriefe. Nachdem er mit Anna-Lena Lodenius das Buch „Die extreme Rechte“ veröffentlich hatte, bekam er sogar zweimal Patronen zugeschickt.

Mit 23 wollte er in den Eritreischen Unabhängigkeitskrieg ziehen. Sie waren damals schon seit fünf Jahren ein Paar. Wie standen Sie dazu?
Ich glaube, ich habe gar nicht vollkommen verstanden, wie gefährlich das war. Stieg schon. Aber er wollte Afrika sehen, ihn faszinierte der Kontinent. Und in Eritrea sah er die Chance, Auslandskorrespondent zu werden. Später hat er mir davon erzählt, wie ein Bus von äthiopischen Truppen beschossen wurde, wie Leichenteile vor seinem Hotel lagen. Es muss furchtbar gewesen sein.

Ist es wahr, dass er eine Art Militärberater wurde?
Das war Zufall. Vertreter der eritreischen Befreiungsfront erzählten ihm, dass sie eine Ladung russischer Granatwerfer bekommen hätten, mit denen sie nichts anfangen konnten. Stieg hatte während seines Militärdienstes in Schweden mit einer ähnlichen Waffe zu tun gehabt. Er hat dann eine Frauenkompanie am Granatwerfer ausgebildet.

Sie beide waren auch Science-Fiction-Fans. Stanislaw Lem oder doch lieber Raumschiff Enterprise?
Raumschiff Enterprise ist toll! Und wir waren auch unter den Ersten bei der Star-Wars-Premiere in Schweden. Es kam uns aber auch auf die Geschichte an, ob ein Autor es schafft, eine neue Gesellschaft zu entwerfen, mit neuen Regeln. Und zwar sowohl Utopia, die wünschenswerte Gesellschaft, als auch ihr Gegenentwurf, Dystopia.

Schweden gilt als vorbildlicher Sozialstaat. Doch bei Stieg Larsson gibt es statt Bullerbü Verschwörung und Missbrauch.
Wenn Sie einen Kriminalroman schreiben, dann suchen Sie sich die düstersten Flecken einer Gesellschaft raus. Wir sind nun einmal nicht das perfekte Land, das müssen wir akzeptieren. Sonst wird sich auch nichts ändern.

Manche Kritiker bezweifeln, dass er die Bücher allein geschrieben hat. Haben Sie daran mitgearbeitet?
Er benutzte Informationen, die ich aus beruflichem Interesse gesammelt hatte. Wir haben auch mal Artikel zusammen geschrieben. Es gab da zum Beispiel einen Skandal im Straßenbau, die Beteiligten hatten geheime Absprachen getroffen. Der Industrieminister nannte die Affäre „peinlich“. Aber wir erwiderten in einem Artikel für „Aftonbladet“, das sei nicht peinlich, sondern kriminell. Die Beteiligten gehörten vor Gericht, damit ein Teil des Schadens ersetzt würde. So fanden meine Recherchen Eingang in Stiegs Bücher.

"Der furchtbare Schmerz - er lässt nach"

Diese Romane, boten die ihm auch die Chance, Rache zu üben für die Ungerechtigkeiten dieser Welt?
Es war ein Spaß für ihn, solche Dinge auszusprechen, das war fast eine Art Therapie, wenigstens in der Fiktion die Dinge geradezurücken. Es erdete ihn. Und dieser Effekt trat schon ein, bevor er einen Buch-Vertrag unterschrieben hatte.

Viele gemeinsame Freunde von Ihnen treten in den Romanen auf, manche unter ihrem echten Namen. Wie kommt es, dass Sie keine Rolle haben?
Vielleicht haben Sie mich nur nicht bemerkt.

Lisbeth Salander ist die Heldin des Buches. Sie nimmt Rache an allen, die ihr Leid zugefügt haben. Ist dieses Verlangen nach Rache eine Charaktereigenschaft, die auch Ihnen nicht fremd ist?
Das trifft mehr auf Stieg zu. Er vergaß nicht, und er vergab auch nur schwer. Diese explosive Art von Lisbeth, dieses Verlangen nach Gerechtigkeit, darin erkenne ich Stieg.

Spielt einer von Stiegs Verwandten mit?
Nein. Das heißt, es gibt da eine Stelle, da muss ich lachen, wenn ich sie sehe. Ein Immobilienmakler verkauft Lisbeth Salander ein Apartment. Er sieht nicht nur aus wie Stiegs Bruder Joakim, er benimmt sich auch so, und er heißt tatsächlich Joakim.

Der Joakim im Buch verhält sich sehr herablassend. Wollen Sie sagen, die beiden mochten sich nicht?
Sie sind praktisch getrennt aufgewachsen. Und sie waren sehr gegensätzlich.

Joakim Larsson erklärte nach Stiegs Tod, sein Bruder sei sehr wichtig für ihn gewesen.
Sie haben sich kaum gesehen. In den 32 Jahren, in denen wir zusammen waren, vielleicht sechs Mal.

Kurz nach der Beerdigung beschworen Sie Loki, Thor und Odin, die alten Wikinger-Götter. In einem archaischen Ritual verfluchten Sie jene, die Stieg Larsson Ihrer Meinung nach geschadet haben.
Alle, die ihn zu ihrem Vorteil benutzten. Ich habe sie verflucht, weil mir die Worte fehlten. Ich war überfordert mit der ganzen Situation nach Stiegs Tod. Dieser Wikinger-Fluch ist eine alte lyrische Form, die half mir auszudrücken, was ich fühlte.

Ihnen stand kein Therapeut zur Seite?
Damals nicht. Weihnachten 2004 brach der Tsunami über Südostasien herein und tötete auch hunderte Schweden. Wir sind ein kleines Land, es gab so viele Hinterbliebene, die Hilfe brauchten, Therapeuten waren schwer zu bekommen.

Stieg Larssons Vater Erland und sein Bruder Joakim erbten alles, die Rechte an seinem literarischen Vermächtnis und auch die Hälfte an Ihrer gemeinsamen Wohnung. Wie ist die Situation jetzt?
Sie wollen nicht mehr mit mir reden.

Das Buch - eine Abrechnung mit den Larssons?

Seit Sie dieses Buch geschrieben haben, das ja auch eine Abrechnung mit den Larssons ist?
Nein, sie beendeten den Kontakt mit mir, nachdem das Erbe feststand, die Aufstellung über alles, das gemeinsame Konto, die gemeinsame Wohnung. Im Februar 2005 war klar, dass kein Testament vorliegt und sie den alleinigen Zugriff hatten. Dann waren sie es, die mit dem Verlag verhandelten, die Filmrechte veräußerten.

Sie boten Ihnen zwei Millionen Euro an.
Das erzählten sie nicht mir oder meiner Anwältin, sondern den Medien. Ich sagte meiner Anwältin, dass ich nicht über Geld spreche, sondern eine Vereinbarung will, bei der es um die Verwaltung des literarischen Erbes geht. Das Angebot der Larssons hatte eine Bedingung: Gegen Zahlung einer Pauschale hätte ich auf alle künftigen Ansprüche verzichten müssen. Das war kein Geschenk, sondern eine Zwangsjacke.

Was war denn Ihr Vorschlag?
Der gleiche wie immer: Ich würde das literarische Erbe managen und für die Arbeit bezahlt werden, zum Beispiel mit einem Anteil am Erlös von 20 Prozent. Sie könnten die übrigen 80 Prozent behalten.

Warum haben Sie und Stieg nie geheiratet?
Wir hatten 1983 solche Pläne, wir hatten sogar schon die Ringe, ich trage meinen heute noch. Aber dann begann Stieg seine Arbeit bei „Searchlight“, und es ging mit den Drohungen los. Da haben wir es dabei belassen, als unverheiratet in den öffentlich zugänglichen Unterlagen zu stehen. Das war für uns beide sicherer. Seine Gegner würden nie nach seiner Frau suchen, und außerdem stand nur mein Name an der Tür. So war er schwerer zu finden. Nicht einmal meine Arbeitskollegen wussten, wer mein Partner war.

Gab es nach Ihrem prominenten Fall in Schweden eine Diskussion über Ehe- und Erbschaftsrecht?
Ja, geändert hat sich nichts. Wenn Sie unverheiratet sind und kein Testament haben, erben Sie nichts.

Und wenn gemeinsame Kinder da sind?
Dann erben die. Was mitunter furchtbare Konsequenzen für den überlebenden Partner hat. Weil minderjährige Kinder einen Vormund bekommen, der verlangen kann, dass gemeinsamer Immobilienbesitz verkauft wird. Und nur der Vormund hat zunächst Zugriff auf das Geld.

Nach Ihrem Buch wird Ihnen nun manch einer vorwerfen, auch Sie wollten mit Stieg Larssons Namen Geld machen.
Ja, und ich verstehe das. Der Fluch, den ich damals ausgesprochen habe, gilt ja fort, und er gilt auch für mich. Aber ich habe mit Stieg gelebt. Im Gegensatz zu vielen anderen, die sich seine Freunde nennen und die viel Unsinn schrieben, kannte ich ihn wirklich.

Währenddessen geht die Suche nach dem unvollendeten Manuskript eines vierten Bandes weiter. Wissen Sie, wo sich dieses Manuskript befindet?
Ich habe eine vage Idee. Aber ich werde darüber nicht sprechen, nicht nachdem die Larssons mich so behandelt haben.

Stieg Larsson ist vor acht Jahren gestorben. Ist er bei Ihnen zu Hause noch sehr präsent?
Oh, ich habe eine Menge Fotos aufgehoben, einiges von seiner Kleidung, und ich habe auch noch die Steine, die wir auf den Inseln vor Stockholm gesammelt haben. Aber im Apartment habe ich inzwischen viel verändert. Und ich habe damals schon getan, was wohl jeder in meiner Lage getan hätte: Ich habe das Bett und die Matratze sofort beseitigt. Ich hätte es nicht länger ertragen, seinen Geruch, seine sinnliche Nähe.

Bevor er 1977 nach Eritrea ging, hinterließ Stieg Ihnen einen Brief, der im Falle seines Todes zu öffnen sei. Es ist eine Liebeserklärung, und er schrieb Ihnen: Der Schmerz werde mit der Zeit nachlassen.
Ja, der furchtbare Schmerz, er lässt nach.

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