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Kultur: Wo eine Villa ist, ist auch ein Weg

Amalie Beer führte den glänzendsten Salon Berlins – heute erinnert nichts mehr an sie. Der Cellist Götz Teutsch will das nun ändern.

„Ich habe den mütterlichen Segen, den Du mir geschickt hast, mit Andacht und Rührung gelesen, Deinen teuren Namen mit Inbrunst geküsst, und den Brief auf der Brust bis zum Ende der Vorstellung getragen.“ 1849 ist Giacomo Meyerbeer ein weltweit gefeierter Komponist, der unangefochtene Meister der grand opéra – wenn aber in Paris ein neues Stück von ihm uraufgeführt wird, dann vertraut er nicht auf die Sängerstars, nicht auf die atemberaubend prachtvolle Ausstattung und die innovativste Bühnentechnik, sondern nur auf den Segen seiner Frau Mama.

Zu Hause in Berlin drückt Amalie Beer ihrem Ältesten die Daumen – das erst garantiert in seinen Augen eine enthusiastische Aufnahme des Fünfakters „Le Prophète“. Ein „Schutzengel ihrer ganzen Familie“ ist sie für den Sohn. Und für die preußische Hauptstadt ein Segen. Denn in ihrem Salon treffen sich die großen Geister zum Gedankenaustausch, werden alle Fremden herzlich empfangen, egal, welcher Klasse oder Religion sie angehören. Hauptsache, sie haben etwas Intelligentes zur Konversation beizutragen. Bei Rahel Varnhagen wird vielleicht intensiver über Literatur diskutiert, bei Fanny Hensel ausdauernder musiziert – die Villa der Beers aber ist über sechs Jahrzehnte der glanzvolle Mittelpunkt des Berliner Salonlebens.

Die Beers haben Geld im Überfluss. Schon vor ihrer Hochzeit mit dem Zuckerfabrikanten Jakob Herz Beer führt Amalie ein großbürgerliches Leben. Ihr Vater, der Bankier Liepmann Meyer Wulff, ist einer der reichsten Bürger Berlins, sie erhält eine exzellente Erziehung, die über die übliche Unterweisung höherer Töchter in Hauswirtschaft und religiösem Brauchtum hinausgeht. Die Künste interessieren sie, vor allem die Musik.

Zwar ist sie nicht selbst schöpferisch tätig, doch sie hat gerne Instrumentalisten und Komponisten um sich. Bei seinen Berlin-Besuchen logiert Carl-Maria von Weber ebenso selbstverständlich im Stadtpalais der Beers wie später Louis Spohr oder der berühmte Klarinettist Heinrich Baermann. Amalies Mann dagegen ist Theaternarr, verbringt seine Abende in den Zuschauerräumen der Berliner Bühnen.

Ideale Voraussetzungen für die musische Entwicklung des Erstgeborenen: Schon mit 13 Jahren begeistert Jakob als Klaviervirtuose. Seine Eltern engagieren die besten Lehrer, er studiert bei Muzio Clementi und Carl Friedrich Zelter, vervollkommnet seine Fähigkeiten beim legendären Abbé Vogler in Darmstadt. Ab 1815 lernt er jenseits der Alpen, wie man Opern macht – und italianisiert seinen Vornamen in Giacomo. Den Nachnamen wiederum erweitert er zu Meyerbeer, auf Wunsch des Großvaters – und um des nicht unerheblichen Erbteils willen. Von Paris aus revolutioniert der kosmopolitische Komponist ab 1830 schließlich die Musiktheaterwelt, verblüfft das Publikum mit dem ungeheuer effektvollen „Robert der Teufel“, landet mit „Die Hugenotten“ den größten Repertoirehit des 19. Jahrhunderts überhaupt.

Die Mutter beobachtet den kometenhaften Aufstieg ihres Filius von Berlin aus. Sie erfüllt die damalige Pflicht einer reichen jüdischen Frau: der Familie zu dienen, im Privaten zu wirken. Indem sie ein offenes Haus führt. Und indem sie sich karitativ engagiert. In den Freiheitskriegen ist sie so aufopferungsvoll bei der Pflege der Verwundeten dabei, dass Friedrich Wilhelm III. ihr den Luisenorden verleiht. Für die Jüdin kommt allerdings nicht die übliche Form der Auszeichnung als Kreuz infrage. Sie erhält eine Medaille, zu tragen am schwarz-weißen Band. Der König schätzt die wohltätige, weltläufige Dame sehr, auch wenn sie an ihrem Glauben festhält. Er gehört ebenso zu den habitués in ihrem Salon wie Alexander von Humboldt.

Zunächst empfängt Amalie Beer in ihrer Stadtwohnung in der Spandauer Straße 72, später dann in der luxuriösen Villa im Tiergarten, die sich die Beers an jener Stelle errichten lassen, wo heute das Bundeskanzleramt aufragt. Selbst weit gereiste Besucher staunen über die Pracht der Ausstattung: Gartenhäuser mit Glaskuppeln gibt es hier, Boudoirs mit Buntglasfenstern, ein Treibhaus voll exotischer Pflanzen und vor allem Repräsentationsräume, in denen bis zu 250 Gäste den Hauskonzerten lauschen können. Wenn sich mittags 30 Personen an der Tafel versammeln, geht das noch als „kleine Gesellschaft“ durch.

Giacomos Bruder Wilhelm, seit dem frühen Tod des Vaters 1825 Verwalter des Familienvermögens, wird 1829 auf dem Dach der Villa ein privates Himmelsobservatorium aufbauen und gemeinsam mit dem Astronomen Johann Mädler die erste Mondkarte veröffentlichen. Der jüngste der Beer-Söhne, Michael, wiederum erringt Ansehen als Schriftsteller. Sein Drama „Der Paria“ wird von Goethe geschätzt, sein Stück „Struensee“ handelt von jenem dänischen Hofmedicus, dessen Schicksal unter dem Titel „Die Königin und der Leibarzt“ gerade auch im Kino nachzuerleben ist.

Am 27. Juni 1854 stirbt Amalie Beer, 87-jährig. Berlin verliert einen gesellschaftlichen Mittelpunkt, die berühmte Villa wird 1871 von Immobilienspekulanten abgerissen. Heute erinnert im Stadtbild nichts mehr an die Frau, die mehr als ein halbes Jahrhundert das Geistesleben der preußischen Kapitale mitgeprägt hat.

Götz Teutsch findet das beschämend. Darum wird er an diesem wie am kommenden Sonntag die große Salonnière auf eigene Faust ehren: Mit seinem Philharmonischen Salon, den der ehemalige Cellist der Berliner Philharmoniker seit elf Jahren veranstaltet. Neben seinen Musikerfreunden wird auch der Schauspieler Burghart Klaußner bei dem literarisch-musikalischen Geselligkeitsnachmittag erwartet.

Was übrigens die Erinnerung an Amalie Beer im öffentlichen Raum betrifft, so stehen die Chancen gar nicht mal so schlecht: In Charlottenburg-Wilmersdorf, in Mitte, Steglitz-Zehlendorf und Tempelhof-Schöneberg gibt es Beschlüsse der Bezirksverordnetenversammlungen, dass bei der Neubenennung von Straßen und Plätzen so lange Frauen zu bevorzugt werden sollen, bis ein Gleichstand zwischen den Geschlechtern erreicht ist.

Philharmonischer Salon im Kammermusiksaal der Philharmonie, heute (ausverkauft) sowie am 13. 5., jeweils um 16 Uhr.

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