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Kultur: Wo Gott sich schlafen legt

Hamburger Bahnhof: Marcel Odenbach nähert sich in einer Videoarbeit dem Völkermord in Ruanda

Das Land ist grün und schön und fruchtbar. „Wenn Gott sich schlafen legt, dann legt er seinen Kopf nach Ruanda“, sagt ein Sprichwort. Wälder, Felder, Seen, die Erde ist rotbraun, der Himmel blau, manchmal prasselt der Regen auf die Blätter, oder der Nebel liegt über dem Fluss. Und in der Stille hallt ein Schrei: Warum?

Zehn Jahre nach dem Völkermord ist der Videokünstler Marcel Odenbach nach Ruanda gefahren. Nicht, um Interviews zu führen, Täter und Opfer zu befragen, ein grauenvolles Abschlachten zu dokumentieren. Nur Spurenelemente des Schreckens sind in seiner 30-minütigen Videoinstallation „In stillen Teichen lauern Krokodile“ zu sehen, Momentaufnahmen von toten Körpern, über die Flusswasser fließt, Menschenknochen auf Holzbahren, blut- und schlammverdreckten Kleidern auf der Leine, Dokumentaraufnahmen von Hutus, die mit ihren Macheten fröhlich zum Töten ausziehen. Sekundenblicke nur, dazu ertönt die Arie „Erbarme dich“ aus Bachs Matthäuspassion, und es hetzt das Hutu-Radio RTML, spricht von Kakerlaken: „In Ruanda ist kein Platz für Tutsi.“

Eine Annäherung an den Schrecken, den die Welt so gründlich ignoriert hat. Wie lebt ein Land, in dem so viele Menschen zu Tätern wurden, dass es 200 Jahre dauern würde, alle Inhaftierten vor Gericht zu stellen? 800 000 Tutsi wurden von den Hutu 1994 in nur 100 Tagen getötet. Filme wie Terry Georges „Hotel Ruanda“ oder Raoul Pecks „Sometimes in April“ haben auf der Berlinale 2005 davon erzählt, die aufgehetzten Täter gezeigt und die kleinen Helden, die Angst und das sinnlose, rauschhafte Morden. Anklagefilme – nicht nur an die Adresse der Täter von damals, sondern vor allem auch gegen die UNO, die sich nicht dazu durchringen konnte, den Horror als „Genozid“ zu klassifizieren, die nicht eingriff, ihre Leute abzog, und die internationalen Journalisten dazu.

Nichts davon bei Marcel Odenbach, der viel zu klug, viel zu reflektiert ist, um Schrecken einfach abzubilden. Er arbeitete 1995 im Filmarchiv der UNO und fand dort Bild- und Dokumentationsmaterial aus Ruanda, es hat ihn nicht mehr losgelassen. Doch was ihn beschäftigt, ist etwas anderes: die Frage, was Normalität heißt, dort, wo der Schrecken noch frisch ist. Und: was das alles mit uns, mit Europa, zu tun hat. Man denkt an den Holocaust, den Mord an den Hereros. Doch auch die Kolonialgeschichte spielt eine Rolle. Die Spaltung zwischen Hutu und Tutsi geht auch auf die Deutschen zurück, die im 19. Jahrhundert für kurze Zeit dort herrschten.

Spuren davon finden sich noch in der Nachkriegszeit, in der Odenbach aufwuchs: Auch damals mussten Täter und Opfer zusammenleben. In Vitrinen im Hamburger Bahnhof, wo Odenbachs 2004 entstandene Arbeit nun gezeigt wird, sind Erinnerungsstücke aus seiner Kindheit zu sehen, der Zebraschwanz, dem ihm Verwandte aus dem Kongo schenkten, das Kinderbuch „Zehn kleine Negerlein“, eine Briefmarkensammlung – und ein Tagebuch, das er bei Recherchen in Ruanda führte. „Die Menschen sind so zart hier, so feingliedrig“, notiert er: „Unglaublich, dass so zarte Hände solche Gewalt ausüben können. Aber entsteht Gewalt nicht erst im Kopf?“ Und er beschreibt, wie er auf der Straße einem Mann begegnet, dem das halbe Gesicht weggehauen ist, und wundert sich: In den Wohnungen in Ruanda ist der Vorhang immer vorgezogen.

Den Vorhang wegzuziehen, gelingt auch Odenbach nicht – er will es auch gar nicht. Keine Erklärungen, keine Einordnungen, keine historischen Exkurse. Sieben Kapitel hat seine Doppelprojektion, mit Titeln wie „Die Bilder kann ich vergessen, den Gestank nie“ oder „Never again“. Und man sieht: Menschen bei der Feldarbeit, sie harken den Boden, mähen das Feld. Immer, fürchtet man, werden sie auf Knochen, auf Leichenreste stoßen. Man sieht das nicht.

Oder: Menschen beim Abriss eines Backsteingebäudes. Dass es Inhaftierte bei der Strafarbeit sind – auch das erfährt man nicht. Am berührendsten noch, direkt zuvor, der Blick in ein Flüchtlingslager, ein Mann in Großaufnahme, er wischt sich mit einer grünen Plastiktüte die Tränen aus dem Gesicht. Stumm. Und dann, immer wieder, Kindergesichter. Sie öffnen den Mund zum Schrei, es kommt kein Ton heraus, erst spät ein schriller Laut. Dreizehn, vierzehn Jahre alt mögen diese Jungs, Straßenkinder zumeist, sein. Was haben sie gesehen?

Dass am Ende, in der Schlusssequenz, ein Junge seiner Mutter sanft über das Gesicht streicht, scheint da wie eine Utopie. Trost, Versöhnung, Neuanfang, in einem Land, das so paradiesisch aussieht und nie mehr Paradies sein kann? „Wann wird Gott sich wieder in Ruanda schlafen legen?“, fragt das siebte Kapitel der Arbeit?“ Man fürchtet: Nie.

Hamburger Bahnhof Berlin, Invalidenstr. 50/51, bis 11. Juni, Di bis Fr 10 bis 18, Sa 11 bis 20, So 11 bis 18 Uhr.

Christina Tilmann

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