zum Hauptinhalt

Kultur: Wo kein Ei wie das andere ist

Für die niederländisch-flämische Literaturwoche kommen 18 Autoren in sieben Tagen

Von Gregor Dotzauer

Kennen Sie Ihre Nachbarn, erkundigt sich das Plakat zur Literaturwoche ganz arglos. Klar doch, könnte man sagen. Flamen und Niederländer, das sind Leute von unserem Schlag. Physiognomisch gibt es praktisch keine Unterschiede. Die Mehrheit, scheint es, ist vernunftbegabt, christlich erzogen, nach westeuropäischen Standards gekleidet, und wenn sie sich beim Sprechen nur ein bisschen mehr Mühe geben würden, könnte man ihr Kauderwelsch glatt verstehen. Aber das Plakatmotiv! Was bedeutet das Plakatmotiv der niederländisch-flämischen Literaturwoche, die ab morgen 18 der besten Autoren nach Berlin bringt? Da stehen zwei Männerbäuche voreinander, der eine dicker, der andere dünner. Die Hände stecken in den Hosentaschen, unter den Armen klemmen Eierkartons. Was machen die da bloß? Mensch, seid Ihr blöd, würde ein Einheimischer sofort entgegnen: Der eine borgt dem anderen Eier. Und falls es ein Flame wäre, würde er noch einen alten Witz anbringen: Wissen Sie, wie der erste Satz eines holländischen Kochbuchs lautet? – Gehen Sie zu Ihrem Nachbarn und leihen sich zwei Eier.

Sind die Deutschen ein so unfreundliches Volk, dass sie erst tagelang darüber nachdenken müssen, wann sie zuletzt Eier verliehen haben? Sollten sie nicht besser überlegen, ob Flamen und Niederländer einander überhaupt Eier leihen würden? Die beiden Völker sind sich ja in vielerlei Hinsicht gar nicht grün, genau wie Deutsche und Österreicher. Oder sollten sie nicht am allerbesten darauf hinweisen, dass zwischen Flamen und Französisch sprechenden Wallonen in Belgien zum Teil offene Verachtung herrscht? Kennen Sie also Ihre Nachbarn? Wir haben von ihnen keine Ahnung. Denn wenn schon das Plakat solch hohe kulturelle Hürden errichtet, kann es um den Rest nicht besser stehen.

Die niederländische und flämische Literatur ist dafür ein gutes Beispiel. Zwar ist sie in zahlreichen Übersetzungen präsent, mit umwälzenden Erfolgen kann sie sich jedoch nicht brüsten. Mit Ausnahme von Cees Nooteboom (DHM, 17.5., 20 Uhr) den man seiner Berliner Dauerpräsenz wegen schon fast einen deutschen Großschriftsteller nennen muss, sind nur wenige Autoren wirklich populär. Etwa die 1955 geborene Connie Palmen (Café EggersLandwehr, 15.5., 11 Uhr), die gerade ihren jüngsten Roman „Ganz der Ihre“ veröffentlicht hat: ein weiterer Versuch, am Beispiel ihres verstorbenen Partners Ischa Meijer, eines berühmten Journalisten, die Verschlingungen zwischen Fiktion und Realität zu untersuchen. Palmen ist ein Zigaretten verschlingender Wirbelwind mit Charisma – und einer ungewöhnlichen Neugier auf Zeitgeschichte. Ihr kleiner Essay „Iets wat nied bloeden kan“ (Etwas, das nicht bluten kann) über die Morde an Pim Fortuyn, John Lennon, John F. Kennedy und Gianni Versace liegt gerade in jeder holländischen Buchhandlung an der Kasse.

Auch der seit Jahren in New York lebende Arnon Grünberg, Jahrgang 1971, hat längst eine Gemeinde, die sicher noch größer wäre, wenn seine oft bitterbösen Kolumnen im „NRC Handelsblaad“ auch hier zu Lande Verbreitung fänden. Grünberg (LCB, 13.5., 20 Uhr) ist der bunteste Vogel der Szene: ein Schandmaul mit woodyallenhafter Attitüde, das sich in vielerlei Rollen gefällt: Eine öffentliche parallele Identität hat er sich in „Amour fou“ unter dem Pseudonym Marek van der Jagt erschrieben. Aber dann? Dann muss man schon zu den hartnäckigen Lesern gehören, um selbst mit den Stars vertraut zu sein, oder sich mit erzählenden Sachbuchautoren wie Geert Maak (Literaturforum, 18.5., 20 Uhr), dem Autor von „Das Jahrhundert meines Vaters“ beschäftigen. Was nichts mit literarischen Anspruchsschwellen zu tun hat. Die Flämin Kristien Hemmerechts (Roter Salon, 16.5., 20 Uhr) steht für intelligente Unterhaltungsliteratur und kommt mit ihrem jüngsten Roman „Viele Frauen und ab und zu ein Mann“. Und ihr Landsmann Bart Moeyaert, Jahrgang 1964, ist der meistgepriesene Autor von Jugendbüchern: So etwas gilt zumindest in Deutschland, wo er schon einen Jugendliteraturpreis davongetragen hat, als niedere Liga. (LesArt, 14.5., 20 Uhr).

Entschuldigungen finden sich reichlich. Nur dass der bedeutendste von allen, der Flame Hugo Claus (Kulturbrauerei, 15.5., 20 Uhr) , in Deutschland nicht die angemessene Resonanz gefunden hat, dafür gibt es überhaupt keine Entschuldigung.

Beim Brüsseler Literaturfestival „Het Groot Beschrijf“ (La Grande Écriture), das die Stadt am letzten Aprilwochenende für anderthalb Tage in eine riesige Lesebühne verwandelt, ist er der große alte Dichter, Maler und Filmer und lässt sich im Kaaitheater feiern – bei einem „Porträt des Künstlers als junger Mann“ zu seinem 75. Geburtstag wenige Wochen zuvor. In Filmausschnitten und Gesprächen sieht man, was für ein Kerl er war. Kraftvoll und rastlos in allen Dingen des Lebens und der Kunst: ein Liebhaber der Frauen, ein Held der Malergruppe COBRA, ein Theaterprovokateur.

Am frühen Nachmittag sitzt Hugo Claus, geschwächt von einer schweren Krankheit, der er mit Würde und Selbstironie zu begegnen versucht, noch in der Lobby des Hotels Metropol und macht dennoch nicht den Eindruck, als wollte er sich den Nackenschlägen des Schicksals beugen. Die Vergangenheit, die ihn immer wieder überkommt, ist diejenige seines berühmtesten Romans „Het verdriet van België“ (1983), der auf Deutsch bezeichnenderweise „Der Kummer von Flandern“ heißt. Er braucht nur die Augen zu schließen, und er sieht die Bilder vom Einmarsch der alliierten Truppen in seinem Dorf vor sich, wie die Nazi-Kollaborateure zusammengetrieben werden. Und er muss sie nur öffnen, und er fühlt sich durch die Fernsehbilder aus dem Irak und aus Afghanistan an die Szenen seiner Kindheit erinnert.

Tom Lanoye, Jahrgang 1958, in Deutschland vor allem als Theaterautor von Luk Percevals „Schlachten“ ein Begriff, gehört zu den Bewunderern von Claus. Als scharfsinniger politischer Kopf, der regelmäßig gegen den rechtspopulistischen Flämischen Block polemisiert, als energetischer Bühnenperformer jenseits klassischer Literaturpfade und als schwules Chamäleon mit Soap- und Trashvorlieben ist er in seiner Vielseitigkeit so etwas wie ein Sohn von Claus. Im Literaturhaus liest er am 13. Mai um 20 Uhr aus seinem Roman „Das göttliche Monster“.

Die niederländisch-flämische Literaturwoche (bis 18. Mai) wird morgen um 19.30 Uhr im Theater Hebbel-am-Ufer, Stresemannstr. 29, eröffnet. Zu den Premieregästen gehören Hugo Claus, Adriaan van Dis, Arnon Grünberg, Connie Palmen und A.F. Th. van der Heijden. Ein detailliertes Programm mit allen 18 Autoren und den Spielorten findet sich unter www.nlpvf.nl/berlin. – Das aktuelle „Schreibheft“ mit flämischer Literatur informiert treffend über flämisch-wallonische und flämisch-niederländische Spannungen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false