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Kultur: Wo Milch, Blut und Motoröle fließen

Wissen Sie, was das Schrecklichste an Ihrem Roman ist, müßte man Christoph Peters erklären: Es ist das Vorwort.Kein Mensch kommt über die ersten fünf Seiten von "Stadt Land Fluß" hinaus - außer er hat einen Sinn für jene Art von bildungsschweren Witzeleien, die schon bei Erstsemestern Symptome akademischer Vergreisung sind, das ganze Spiel mit Fußnoten und teils imaginären Literaturangaben: ein wenig verdünnter Borges, ein wenig delirante Seminararbeit.

Von Gregor Dotzauer

Wissen Sie, was das Schrecklichste an Ihrem Roman ist, müßte man Christoph Peters erklären: Es ist das Vorwort.Kein Mensch kommt über die ersten fünf Seiten von "Stadt Land Fluß" hinaus - außer er hat einen Sinn für jene Art von bildungsschweren Witzeleien, die schon bei Erstsemestern Symptome akademischer Vergreisung sind, das ganze Spiel mit Fußnoten und teils imaginären Literaturangaben: ein wenig verdünnter Borges, ein wenig delirante Seminararbeit.Aber für den Rest, müßte man Peters im selben Atemzug erklären, für die Genauigkeit und Poesie, mit der Sie Landschaften wahrnehmen, für die ironische Selbstverständlichkeit, mit der Sie erst eine Liebesszene auf dem Zahnarztstuhl entwerfen, dann für einen Moment in die vorzeitliche Ursuppe abtauchen und schließlich in mythologischen Gefilden landen, dafür sollte man Ihnen die Füße küssen, oder naja, wenigstens ordentlich auf die Schulter klopfen, oder wissen Sie was: Wir empfehlen einfach jedem Ihr wunderbares Debüt.

Das alles müßte man Christoph Peters erklären, wenn er einem nicht gegenüber sitzen würde, noch unsicher, wie er mit dem plötzlichen Interesse an seiner Person umgehen soll, was seine Arbeit betrifft, jedoch ziemlich selbstbewußt.Nach über zehn Jahren, die man mit einem Stoff verbracht hat, weiß man vermutlich, ob man das erreicht hat, was einem im Kopf herumging.Peters hat die Geschichte seines Protagonisten Thomas Walkenbach mit 21 Jahren angefangen und verworfen, mit 25 erneut in Angriff genommen und mit 28 die ersten 100 Seiten endlich so geschrieben, daß er sie zäh und geduldig zu Ende bringen konnte.

Jetzt, mit 33 Jahren, in Walkenbachs Alter, besitzt er eine selbstverständliche Autorität, mit der er einem in seiner ruhigen rheinischen Sprachmelodie die Konstruktion von "Stadt Land Fluß" erläutert, als wäre es die natürlichste Sache der Welt, daß ein zeitgenössischer Roman wie ein spätgotischer Flügelaltar gebaut ist, mit einem Hauptteil, zwei Flügeln, zwei Gelenkstellen und einem Vorwort, das unter anderem die Funktion der Predella, des sockelartigen Unterbaus, erfüllt.Mit anderen Worten: Wenn es dem Roman allein nicht gelingen sollte klarzumachen, daß die niederrheinische Schnitzkunst des 16.Jahrhunderts unter besonderer Rücksicht auf Henrick Douwerman einen jungen Menschen mindestens so sehr beschäftigen kann wie das eigene Geschlechtsleben, und daß das Problem der Zentralperspektive in der abendländischen Kunst die Bedeutung existentieller Fragen einnehmen kann - dann wäre Christoph Peters selbst derjenige, der einen durch seine bloße Neugier auf die entlegensten Wissensgebiete davon überzeugt.Die Pop-Fraktion in der deutschen Literatur wird ihn hassen.Die Professoren-Abteilung wird ihn umarmen.Er wird sich, eigen, wie er wirkt, hoffentlich weder um die eine noch die andere scheren.

Eine Liebesgeschichte, von ihrem Ende her betrachtet: Das ist "Stadt Land Fluß" zunächst.Hanna, die Frau des Ich-Erzählers, mit der er ein Drittel seines Lebens verbracht hat, ist verschwunden, und der Grund dafür steigt erst allmählich aus dem Wust seiner Erinnerungen auf, ohne jemals wirklich ausgesprochen zu werden.Thomas Walkenbach, ein trinkfreudiger verschlampter Kunsthistoriker, der sich abwechselnd (und erfolglos) mit Douwerman und der Zentralperspektive plagt und bisher vor allem auf die Kosten von Hanna, einer Zahnärztin, gelebt hat, verfügt über ein Talent zur Abschweifung, das an Selbstbetrug grenzt - ein trauriger Clown, ein Schelm, ein Lügner.Er läßt die Phase des Kennenlernens Revue passieren, die für ihn als Patient auf dem Zahnarztstuhl begonnen hat: ein Kapitel literarischer Hocherotik, dessen Absurditäten wohl noch niemand vor Peters geschildert hat.Er geht zurück zu seiner stillen Gymnasiastenleidenschaft für Regina Seegers, die später beschloß, nur Frauen zu lieben.Und er erinnert sich an seine Kindheit in Niel, einem Dorf, das zu Kalkar am Niederrhein gehört, wo auch Peters geboren wurde.

Diese Passagen sind die besten des Buches: eine Skizze der Bundesrepublik in den sechziger und siebziger Jahren, da, wo eine untergehende bäuerliche Welt und ein neuer Mittelstand Tür an Tür miteinander leben.Die Bauern, deren Clan Walkenbach entstammt, kurbeln mit der Seilwinde trächtigen Kühen das Kälbchen heraus und schmieren sich die Nachgeburt ins Haar, träumen aber schon von bürgerlicheren Verhältnissen, treiben Handel mit dem Großschlachter, kaufen Einbauküchen und pflastern, wenn es besonders gut geht, das Bad mit Carrara-Marmor."Dies ist das Land meiner Väter.Hier fließen Milch, Blut und Motoröl reichlich", sagt Walkenbach, dem Peters auf diesen Seiten seine eigenen Erfahrungen leiht - nur daß er sie von der bürgerlichen Seite aus gewonnen hat.

"Stadt Land Fluß" (Frankfurter Verlagsanstalt, 278 Seiten, 38 Mark) ist in doppelter Hinsicht das Buch eines Malers.Peters hat von 1988 bis 1994 an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe Malerei studiert und dort wohl am meisten von H.E.Kalinowski gelernt: das Augenmerk für das Handwerkliche und die Notwendigkeit eines eigenen Blicks.Nach einem Dreivierteljahr, in dem er vor allem Stilleben gezeichnet habe, sagt Peters, sei er wieder einmal mit dem Zug von Karlsruhe nach Mainz gefahren, wo er heute noch mit seiner Frau wohnt, und habe auf einmal gemerkt: Ich fahre zum ersten Mal durch die Welt.

Diesen Blick hat er sich in seiner Prosa erhalten - vielleicht gar nicht so sehr durch seine großzügigen Landschaftspanoramen, als vielmehr durch den Zwang, in ihnen das Einzelne, das Materialische wahrzunehmen, das kaum dingfest zu machende Moment von Schönheit oder auch von Häßlichkeit: der liegengebliebene Müll, die Pore, die sich in der Haut wie ein Krater öffnet, das Quentchen Tod mitten im Leben.In der Literatur, sagt Peters, habe er zum ersten Mal das Gefühl gehabt, er könne Konstruktion und Improvisation verbinden.Vorher sei das immer auseinandergeklafft.Er habe sich von streng geometrischen Pappe-Arbeiten nach einem schwachsinnig geometrischen System zu höchst emotionalen Zeichnungen bewegt und von da aus wieder zurück zur Geometrie.Heute zeichnet er nur noch für sich auf kleinen Zetteln - Zeichnungen als Verlängerung des Gedankens.

"St.Nicolai: Das Licht, klar und kühl wie über einer antarktischen Seenlandschaft, darin als Inseln die Altäre, das Chorgestühl, schroff nach dem Himmel greifend; zerklüftete Formationen aus rotbraunem Vulkangestein, Strukturen erfrorener Flüssigkeiten, knirschende Bruchstellen als Ausdruck der Bewegungen im Erdinnern oder infolge plattentektonischer Verwerfungen, teils schon wieder verwittert durch extreme Temperaturschwankungen, von herabstürzendem Eiswasser geschliffen; der Orgelprospekt ein unüberwindlicher Steilhang, hier könnten Sturmvögel nisten.Morsche Schädel, Oberschenkelknochen auf einem abgelegenen Hügel bezeugten gescheiterte Eroberungsversuche.In den Beichtstühlen Ungeheuer." So kann es klingen, wenn Peters seinen Blick erprobt, an Räumen, an Landschaften, an Menschen.

Eigentlich, sagt er, interessieren mich bloß zwei Dinge: Frauen und Landschaften, und wenn er eine Autofahrt mit Hanna beschreibt, verbindet er sogar beides: "Die flache Senke unterhalb des Hüftknochens auf der smaragdfarbenen Oberfläche eines Baggersees, über den rotweiß ein Segel gleitet.In regelmäßigen Abständen Notrufsäulen.Schneller als mit 180 km/h kann alles verloren sein.Zwischen spärlich gepflanzten Lärmschutzwällen der sanfte Abschwung von Rippenbogen zur Bauchdecke, dahinter Tannenspitzen vor aufgerissenem Himmel.Im Süden kämmt eine Sonnenharke Weizenfelder."

Ich bin schon ein Satzfetischist, gesteht Christoph Peters und setzt nach: Ja schon.Wahrscheinlich entwickelt man ein solches Maß an Genauigkeit auch nur, wenn man wie er in einem bischöflichen Internatsgymnasium groß geworden ist und all seine Energien schon früh in die Kunst stecken mußte: als den Bereich, in dem allein Freiheit möglich war - und ein Stück weit noch ist.Denn seinen Lebensunterhalt verdient Christoph Peters seit vier Jahren als Luftsicherheitsbeauftragter am Frankfurter Flughafen.Er öffnet Taschen, untersucht Passagiere mit dem Metalldetektor und tastet sie ab.Nach "Stadt Land Fluß" wird man ihn dort wohl nicht mehr lange finden.

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