zum Hauptinhalt

Kultur: Wofür wollen wir kämpfen?

Dieter Farwick fordert einen Sicherheitsberater.

Schon wieder ein Buch eines zornigen alten Mannes? Schon wieder eine Generalabrechnung mit der aktuellen politischen Klasse? Schon wieder ein Abgesang auf Deutschland? Derlei Vorurteile könnten sich bei einem Titel wie „Wege ins Abseits. Wie Deutschland seine Zukunft verspielt“ leicht bilden. Und auch der Autor Dieter Farwick dürfte als Brigadegeneral a.D. Klischeevorstellungen von pensionierten Militärs, die an sich schon immer alles besser wussten, wecken. Aber weit gefehlt: Trotz des etwas verunglückten, da Missverständnisse provozierenden Buchtitels legt der langjährige Chefredakteur des internationalen Onlinedienstes „Worldsecuritynetwork“ einen fundierten Überblick über die sicherheitspolitischen Herausforderungen Deutschlands vor, der klugerweise zwar auf übertriebenen Alarmismus verzichtet, aber dennoch ganz bewusst auf die kritischen Punkte der deutschen Sicherheitspolitik hinweist: „Der mit gebremster Kraft geführte Einsatz in Afghanistan, die Stimmenthaltung im Sicherheitsrat in der Libyenfrage sowie die Verweigerung der Teilnahme an der Nato-Operation über Libyen haben zu anhaltenden Irritationen bei den wichtigsten Verbündeten geführt.“

Daher fordert Farwick – wie so viele Sicherheitsexperten vergeblich vor ihm – eine grundlegende Diskussion jenseits der Fachkreise in Deutschland. Die Liste seiner Themen ist lang: Welches sind die vitalen deutschen Interessen, Werte und geistig-moralischen Ansprüche, für die es sich zu „kämpfen“ lohnt? Welchen Platz strebt Deutschland in der globalisierten Welt an, deren politisches Gewicht sich von Europa in den asiatisch-pazifischen Raum verlagert? Wie sehen Charakter und Einsatzfähigkeit der deutschen Streitkräfte nach der „Jahrhundertreform“ der Bundeswehr aus? Besteht die Bereitschaft in Deutschland und in anderen europäischen Staaten, durch höhere eigene Verteidigungsanstrengungen, Lastenteilung und Rollenspezialisierung die USA finanziell zu entlasten?

Um derlei Fragen besser beantworten zu können, fordert Farwick die Schaffung des Amtes eines Nationalen Sicherheitsberaters, der mit einem interdisziplinären Team von Wissenschaftlern, Diplomaten und Militärs mögliche Krisen und aktuelle Konflikte systematisch beobachtet und so auswertet, dass er der Regierung pro-aktives Krisenmanagement ermöglicht. Hierzu erstellt der Nationale Sicherheitsberater im Auftrag der Bundesregierung ein „Interessenprofil“. Darin wird festgelegt, welche Themen sowie welche Länder und Regionen im Fokus stehen. Der Bundesnachrichtendienst, das militärische Nachrichtenwesen sowie die deutschen Botschaften und Konsulate melden auf der Grundlage dieses Interessenprofils ihre Erkenntnisse nach Berlin. Auch Unternehmen, die weltweit engagiert sind, sollen auf freiwilliger Basis beteiligt werden.

Auf Weisung der Bundeskanzlerin oder des Bundeskanzlers soll der Nationale Sicherheitsberater mit seinen Mitarbeitern eine nationale Gesamtstrategie erarbeiten und dann überwachen. In regelmäßigen Abständen trägt er die aktuelle Lage im Bundessicherheitsrat vor und gibt mit einem „Ampelsystem“ einen raschen Überblick, der zur Feinjustierung des Interessenprofils oder zu neuen Aufträgen der Regierung führen kann. Damit zeigt Farwick einen gangbaren Weg auf, wie ein Nationaler Sicherheitsberater die „Sicherheitspolitik aus einem Guss“ gewährleisten könnte, die bereits der ehemalige Botschafter Wolfgang Ischinger als Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz vor zwei Jahren gefordert hatte.

Doch wie könnte die Vision einer nationalen Gesamtstrategie lauten? Farwick wagt einen Versuch: „Deutschland will als ,wehrhafte Demokratie’ politisch, diplomatisch, wirtschaftlich, kulturell und militärisch so stark und attraktiv sein, dass zumindest in Europa – möglichst in der Welt – keine Entscheidung getroffen werden kann, die vitalen deutschen Interessen entgegenläuft sowie deren Schutz und Durchsetzung gefährdet.“ Dabei ist auch Farwick klar, dass eine Vision noch kein Bauplan ist. Aber sie setzt bereits Ziele und einen Rahmen. Damit hat Farwick einen wichtigen Anfang gemacht.Thomas Speckmann

Dieter Farwick: Wege ins Abseits.

Wie Deutschland seine Zukunft verspielt. Osning Verlag, Bielefeld 2012. 335 Seiten, 24,69 Euro.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false