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Kultur: Wogen im Klangfeld

KLASSIK

Diesem Dirigenten zuzusehen ist ein Genuss: Die erste melodische Phrase aus Schuberts „Unvollendeter“ formt er als behutsam gerundeten Bogen. Hauchzart tupft er im Andante die Pizzikati in den Raum, streichelt Streicherlinien hervor, peitscht Schmerzensausbrüche heraus. Das ist nicht sentimental, sondern präzise. „Sein“ Orchester der Komischen Oper hat Kirill Petrenko voll im flexiblen Griff, entlockt ihm alle Vorzüge des Opernhaften, der Sprachkraft und Bildhaftigkeit. So erfüllt er die Steigerungen im Kopfsatz mit einem Riesenatem, als stammten sie aus Verdis „Traviata“, lässt mit unendlich gedehnten Horntönen den Eintritt in die Paradiespforte des Seitenthemas spannungsvoll verzögern. Das alles in schlankem, fragilem Klangbild, das viel Raum für dynamische Kontraste und solistische Qualitäten schafft. Das gibt dem abgewetzten Stück die Frische des erfüllten Augenblicks zurück, der zugleich den kompositorischen Finessen überzeugend nachspürt. Davon profitiert auch Mendelssohns Violinkonzert. Spontaneität ist Trumpf, wenn Henning Kraggerud auf Entdeckungsreise durchs Passagenwerk geht. Da kann sein silbrig-süßer Guarneri-Ton schon mal vom federleichten Flirren in beinahe geräuschhafte Ruppigkeit übergehen und damit völlig neue Charaktere der sonst oft viel perfekter und langweiliger abschnurrenden Triller und Läufe zutage fördern. Bei so leidenschaftlicher Spielfreude darf man sich auch ein relativ langsames Tempo im Finalsatz erlauben, so dass man Witz und Grazie der Figuren endlich einmal wahrnimmt. Auf Entdeckungsreisen anderer Art geht Bohuslav Martinu in seinen „Fantaisies symphoniques“. 1951 befand sich der Komponist noch im USA-Exil, eine Rückkehr ins erneut totalitär beherrschte Tschechien war ihm unmöglich. Tatsächlich gibt ein „amerikanischer“ Tonfall der Partitur Glanz und rhythmischen Drive, von terzenseligen Wehmutsgesten durchsetzt – faszinierendes, hoch virtuos erfülltes Panorama einer „neuen Welt“.

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