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Kultur: Wohin fliegt Peter Pan? - Nach fünf Jahren läßt der Intendant das Schauspiel Bochum hinter sich

"Wir sind Popstars," verkündete Leander Haußmann in einem Interview. "Wir knallen die Dinger raus, und dann kommt das nächste.

"Wir sind Popstars," verkündete Leander Haußmann in einem Interview. "Wir knallen die Dinger raus, und dann kommt das nächste." Von Konzeptionslosigkeit kann und konnte dabei keine Rede sein. Das erste Ding nämlich, dass Haußmann in Bochum rausknallte, war Tschechows "Die Vaterlosen", das Stück einer Lost Generation, wie man weiß. Und sein letztes Ding ist nun James M. Barries "Peter Pan", Untertitel: "Das Märchen vom Jungen, der nicht groß werden wollte". Wenn das kein Bogen ist! Dazwischen: fünf Jahre Bochumer Intendanz. Fünf Jahre Arbeit am Nimmerland.

In dieses Märchenreich, über das er als hemmungslos egomaner Souverän regiert, entführt Spielbub Peter Pan die kleine Wendy und ihre Brüder John und Michael aus ihrer Familienidylle im London des Jahres 1904. Im Flug geht es zu Peters Bande, den Verlorenen Jungs, zu Tigerlilly und den Rothäuten, den Nixen, die man fangen kann, und Käptn Haken und seinem Piratenschiff, die man bekriegen muss. Das Stück ist ein Kleinod aus der Schönheit und Grausamkeit der Kinderwelt. Mit kühler Liebe und warmer Ironie schildert Barrie eine vom Realitätsprinzip befreite Welt, wo Angst und Abenteuer herrschen, auch tüchtig Blut fließt, wo man sich Freunde schafft und abschafft und trotz allem eine Mama braucht, die für imaginativ-emotionalen Nachschub sorgt. Weswegen Wendy Peters Mutter werden soll. Ein Stück also wie geschaffen für Haußmann, der stets die Magie der Bühne gegen die Belehrung durch die alten Männer beschwor.

In der Tat kommt in seiner Inszenierung (die als Koproduktion mit den Wiener Festwochen heraus kam) die Illusionsmaschine auf Touren: Das Haus der Familie Darling faltet sich zusammen und offenbart eine Kinderzimmerinnenwelt, deren Wände wiederum wie Tapeten herunter rollen, damit dahinter der freie Himmel erstrahlt, in dem Peter ins Nimmerland fliegt. Wind- und Nebelmaschine, tücherwallendes Haifischwasser, bühnenbodenwankendes Piratendeck, Kopffüßlerkrokodil, Neufundländerkinderfrau - Glanzstücke der Bühnen- und Kostümbildner Ezio und Patricia Toffolutti. Auch ist die eifersüchtige Fee Klingklang, großartig gespielt von der stämmigen Traute Hoess im leuchtkettenbestückten Tütü und mit aufgeregt zappelnden Stummelflügeln, eine rührend-ironische Paraphrase auf die Bodenschwere der Liebe und das Ringen um Leichtigkeit. Doch den anderen Figuren, ja der ganzen Geschichte fehlt eines: Liebe.

Den Zugang zu dem Zauber, den das Theater vermag, auch wenn man weiß, dass und wie alles gemacht ist, versperrt sich die Inszenierung durch ihre eigene Schnödigkeit. Die mal breites, unironisches Kindertheaterspiel, mal bloße Juxerei, mal scheppernden Gesang zur Elektroschlagermusik der Gruppe "Element of Crime" hervor bringt. Käptn Haken ist nicht grimmig, die Verlorenen Jungs nicht wahnwitzig, Peter Pan (Annika Kuhl) von süßlicher Operettengrazie, die die unglückliche Kinderliebesgeschichte zwischen ihm und Wendy versiebt.

Vorhang zu für Leander Haußmann, der als Intendant des Bochumer Schauspiels - in den 70-er und 80-er Jahren unter Zadek und Peymann deutsche Theaterspitze - so groß gestartet war. Seine Bestallung war damals als Coup gedacht, um eine neue Theaterära einzuleiten - sie wurde ein Schlag ins Wasser. Wohl war man fleißig und ging die großen Stücke an - Hebbel, Schiller, Ibsen, Lorca, immer wieder Shakespeare -, doch in beinah jeder Inszenierung dasselbe: Alles Gedankliche fiel der Verhöhnung, alles Dichte der Verzettelung anheim. Spaß daran hatte, abgesehen von einer jugendlichen Claque, so recht niemand, Publikum sah man jenseits der Premieren selten. Jux hatten nur die auf der Bühne, zu denen der Intendant unbekümmert auch seine Eltern gesellt hatte. Selbst der Mittfünfziger Dimiter Gotscheff inszenierte in Bochum so schrill, als sei er in einen Pubertätsbrunnen gefallen.

Die Freude, die das Bochumer Logo, ein rotes Pumperherz, verbreiten sollte, war und blieb kalt. So scheiterte der Versuch, ein Stadttheater als Pop-Fabrik zu führen, weil man darunter hemmungslose Selbstinszenierung verstand. Beleidigt wechselte der Möchtegern-Popstar ins Glamour-Genre, trat in "Vogue" und "Gala" auf, drehte "Sonnenallee" und ließ sein Haus immer mehr allein - ein Freiraum, in dem man trotz allem überdurchschnittliche Schauspieler bei der Arbeit sehen konnte und in dem Jürgen Kruse, dem ratlosen Wilden, hier und da eine beachtliche Inszenierung gelang. Ob Neid der Grund war, dass Haußmann Kruse in der Kantine verprügelte, ist nie heraus gekommen. Jedenfalls schasste die Stadt zuerst die Kulturdezernentin, die Haußmann geholt hatte, dann ihn selbst. Beim letzten Vorhang an der Ruhr empfing den "boy who would not grow up" noch einmal Jubel, der ihn mit den Tränen kämpfen ließ.

Ulrich Deuter

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