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Kultur: Wohnst du noch?

Eine Berliner Schau zum Werk des Architekten Kisho Kurokawa

Die Autobahnen muten wie riesige Tentakel an. Sie führen in der Höhe über die Mega-Strukturen der 1960 für Tokyo geplanten „Helix-City“ hinweg. Verkehrsadern, die den Bewohnern der bis zu 600 Meter über dem Meer aufragenden, DNA-förmigen Stadt Zugang zu ihren Wohnungen bieten – falls man nicht mit dem Schiff kommt, denn jede der spiralförmigen Strukturen verfügt über eine eigene Anlegestelle. Auf den vielen Stockwerken können, so die Idee, individuelle Häuser – wie Autos in Parkhäusern – platziert werden.

Helix-City, die visionäre Stadt im Meer des 1934 im japanischen Nagoya geborenen Architekten Kisho Kurokawa, wurde nie gebaut. Immerhin das Modell ist in der Ausstellung über den Architekten im Berliner Deutschen Architekturzentrum (DAZ) neben einem Dutzend weiterer Projekte zu sehen. Kurokawas Bauten scheinen „Metropolis“ von Fritz Lang zu entstammen. Auch dort führen Highways elegant über Hochhäuser hinweg, finden sich ganze Airports auf die Dächer exponierter Wohn- und Bürotürme gesetzt. Kurokawa ist ein Visionär, ein Denker, der in über vierzig Jahren Arbeit etlichen seiner Ideen Gestalt verliehen hat. Mehr als 100 Projekte weltweit hat der Architekt realisiert, stets im Bemühen, die Architektur der Moderne, die „völlig ausdruckslos“ sei, wie er in seinem jüngst auch auf Deutsch verlegten Manifest formuliert, zu überwinden.

Kurokawas Schaffen gründet in der Überzeugung, dass der Mensch kein abstraktes Wesen, sondern eine je „einzigartige Persönlichkeit“ sei. „Vom Zeitalter der Maschine zum Zeitalter des Lebens“ lautet ein zentraler Satz, auf den Besucher im ersten der beiden Räume treffen. Es geht Kurokawa um die Beziehung zwischen Mensch und Natur, und er denkt diese Beziehung als Symbiose, als „Metabolismus“; eine Richtung, die er mitbegründet hat: Die Verbindung von Gegensätzen zum Nutzen der Partner.

Der Kuala Lumpur International Airport in Malaysia etwa verbindet die Errungenschaften des High-Tech-Zeitalters mit der lokalen Tradition islamischer Architektur. Den Mittelpunkt der zellartig offenen Terminalstruktur bildet ein Regenwaldareal – als Charakteristikum des Landes. Ein Modul der bemerkenswerten Tragwerksstruktur ist im Modell zu sehen. Der „Neu-Tokyo-Plan 2025“ dagegen sieht eine Stadt – wie immer bei Kurokawa ohne Zentrum – in der Bucht vor Tokyo vor, auf einer Insel, die durch eine sieben Meter hohe Schicht aus den Ablagerungen des Meeresbodens gebildet ist. Recycling und Qualitätsverbesserung des Wassers in der Tokyo-Bucht zugleich. Mit den zum Festland führenden Straßen mutet das Projekt wie die alte aztekische Stadt Tenochtitlan an. Ausdruck der Symbiose zwischen Mensch und Natur ist in „Fusionpolis“, dem Zentrum der IT-Technologie, das Kurokawa für das Planungsgebiet One-North von Singapur baut, das Fehlen einer festen Traufhöhe. Stattdessen findet sich eine organisch-bewegte „Dachlandschaft“, deren Oberfläche mit der Topografie der Landschaft im Wechsel steht, sich in diese einfügt.

Ob die Pocketparks um die Fassaden der für Fusionpolis geplanten Bauten freilich die ultima ratio der Beziehung zwischen Mensch und Natur sind, muss sich zeigen. Denn auch mit Blick auf das Projekt „Zhendong New Town“ in China – die Planung und Entwicklung einer Stadt für 150000 Menschen – bleibt offen, ob sich ihre Bewohner in einer solchen Mega-Architektur wohl fühlen können.

Am überzeugendsten ist das Hiroshima City Museum of Contemporary Art. In seiner modularen Struktur diverser Funktionsbereiche fügt es sich ähnlich behutsam in die Landschaft ein wie I. M. Peis Miho Museum im japanischen Shiga. Hier wird Kurokawas initiales Moment spürbar, aus der Fragilität der Architektur – 1945 erlebt er die Auslöschung einer japanischen Stadt binnen weniger Stunden durch US-Bomber – eine Architektur des Lebendigen zu schaffen.

Deutsches Architektur-Zentrum, Köpenicker Straße 48/49, bis 30. Oktober, Di-Fr 10-18 Uhr, Sa/So 14-18 Uhr. Katalog im Jovis Verlag, Berlin, 29,80 €.

Matthias Mochner

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