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Kultur: Wolf im Schlafspelz

Die Villa Grisebach und Lempertz laden in Berlin zur Vorschau

Der Hype am Kunstmarkt mag vorbei sein, doch mit vernünftigen Schätzungen erwiesen sich die deutschen Auktionshäuser bereits im Frühjahr als krisenresistent. Nun gehen Lempertz und Grisebach mit derselben Strategie in einen Herbst, der in London und New York vor allem bei der zeitgenössischen Kunst schon wieder Zuschläge generiert, als seien die Finanzkrisenzeiten passé.

Mit einem kapitalen Gemälde von Max Beckmann setzt sich die Berliner Villa Grisebach an die Spitze des Herbstreigens. 1,4 bis 1,8 Millionen Euro lautet die Schätzung für den „Blick auf Vorstädte am Meer bei Marseille“. 1937 schuf Beckmann die spannungsreiche und delikate Küstenlandschaft als eines der ersten Bilder im Amsterdamer Exil.

Den Auftakt der „Ausgewählten Werke“ macht das 19. Jahrhundert mit zwei kleinen Ölbildern von Carl Gustav Carus, passend zur Retrospektive, die die Alte Nationalgalerie dem 1789 geborenen Arzt, Forscher und Künstler derzeit widmet (Taxen: 15 000–30 000 Euro). Die klassische Moderne ist unter den 61 Losen nicht nur mit Größen wie Corinth, Nolde, Schmidt-Rottluff oder Paula Modersohn-Becker präsent – ihr „Sitzender Mädchenakt nach rechts“ (100 000–150 000 Euro) aus dem Jahr 1903 zeugt von kühner Modernität. Nicht minder verlockend: Max Slevogt oder Franz Radziwill, Jeanne Mammens alles andere als „Langweilige Puppen“ (50 000–70 000 Euro) und Entdeckungen wie Arthur Segals „Umzug“ oder Hans Grundigs „Mädchen mit rosa Hut“ von 1925. Wenn sich die Erwartung von 80 000 bis 100 000 Euro bestätigt, wäre dies ein neuer Rekord für den 1958 in Dresden verstorbenen Realisten.

Das zweitteuerste Werk bei Grisebach ist mit 200 000 bis 300 000 Euro eine frühe „Schafherde“ von Max Liebermann. Typischere Liebermann-Gemälde finden sich jedoch bei Lempertz. Allen voran die „Blumenterrasse im Wannseegarten nach Norden“ für 400 000 bis 450 000 Euro. Auch das Kölner Kunsthaus versammelt zur Vorbesichtigung in seiner Berliner Dependance (Poststr. 21, 21. & 22.11. von 11–16 Uhr) sehenswerte klassische Moderne. Doch die Nase vorn hat Lempertz bei den Zeitgenossen. „Meine Heimat. Die Fliegen“ heißt Ilya Kabakovs auf mindestens 300 000 Euro taxierte Rauminstallation. Leider reist seine „vierte Dimension der plastischen Kunst“ nur in Teilen an. In Gänze zu sehen ist Gerhard Richters „Abstraktes Bild“ auf Alu-Dibond (280 000–300 000 Euro).

Doch hat die Kunst der Nachkriegszeit auch bei Grisebach in Anzahl und Qualität merklich zugelegt. Nicht zuletzt darum empfiehlt sich ein Blick auf die 318 Losnummern der Sonnabend-Versteigerung. Ein „Filzanzug“ von Joseph Beuys liegt hier mit 30 000 bis 40 000 Euro gleichauf mit Imi Knoebel, Daniel Richter oder Jonathan Meese. Die exklusive Abendauktion bestreiten unter anderem drei Nagel-Reliefs von Günther Uecker (je 150 000–200 000 Euro) sowie in der jüngeren Generation: Stephan Balkenhol, Francis Alÿs oder Eberhard Havekost (Schätzpreise zwischen 30 000 und 70 000 Euro).

Auf ihre Kosten kommen in diesem Herbst auch die Freunde der Fotografie. Highlights sind Hiroshi Sugimotos „Sea of Galilee, Golan“ (24 000–26 000 Euro) und Curt Rehbeins Aufnahme von Mies van der Rohes Modell „Gläserner Wolkenkratzer“ (18 000–24 000 Euro) in der Villa Grisebach, wo eine Variante des Motivs im Frühjahr 39 000 Euro erzielte. Lempertz wartet mit einem Vintage aus Ansel Adams berühmter Yosemite-National-Park-Serie (10 000–15 000 Euro) auf sowie mit einer Orchidee von Robert Mapplethorpe für 14 000 Euro und 71 Fotografien der legendären Zeitschrift „Camera Works“ zu Schätzungen zwischen 300 und 4400 Euro.

Villa Grisebach, Fasanenstr. 35. Vorbesichtigung bis Di. 10–18.30 Uhr u. Mi. 10–17 Uhr. Auktionen: Fotografie (26.11.): 15 Uhr. Ausgewählte Werke (27.11.): 17 Uhr. Kunst des 19. bis 21. Jahrhunderts (28.11.): 10 Uhr. Third Floor (28.11.): 15 Uhr.

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