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Wolfgang Rihm: „Natürlich schreibe ich mit Blut“

Der Komponist Wolfgang Rihm wird 60. Anfang Juli zeigt die Berliner Staatsoper seine Opernfantasie „Dionysos“. Rihm lebt in Karlsruhe und Berlin. Ein Fax-Dialog über Handschrift, Erfolg – und Sex im Alter.

Herr Rihm, wir führen dieses Interview per Fax: Ich faxe Fragen, Sie faxen Antworten, und ich darf hie und da nachfragen. Was haben Sie gegen ein persönliches Gespräch oder ein Telefonat?

Gegen ein persönliches Gespräch habe ich gar nichts. Nur habe ich zurzeit keine Zeit. Seit 59 Jahren ist bekannt, dass ich im März 2012 60 Jahre alt werde, aber plötzlich müssen alle Journalisten die letzten drei Wochen vor diesem Geburtstag nutzen, um – endlich! – ein Gespräch mit mir zu führen. Sie verstehen!? Am Telefon mag ich nicht interviewt werden: Ich kann Ihre Augen nicht sehen. Die sehe ich zwar jetzt auch nicht, aber ihre Fragen schauen mich ja an. Eher fragend.

Sie antworten, so wurde mir versichert, handschriftlich und gut lesbar. Sitzen oder stehen Sie dabei? Mit was schreiben Sie?

Im Moment sitze ich. Auf dem Schreibtisch ist gerade Platz für ein DIN-A4Blatt. Ich bin nachlässig gekleidet. Es ist Nacht. Der Mond scheint durch ungeputzte Scheiben. Natürlich schreibe ich mit Blut. Eine Fledermaus … im März?

Mögen Sie Ihre eigene Schrift? Spiegelt sich deren Charakter in Ihrer Notenschrift wieder? Haben Sie in Ihrem Leben bei 350 veröffentlichten Werken mehr Noten geschrieben oder mehr Buchstaben?

a) ja

b) durchaus möglich

c) Natürlich habe ich mehr Buchstaben geschrieben. Sie wissen doch: Eine Note, sagt man, sagt mehr als 1000 Worte.

Was ist Handwerk (Hand-Werk)?

In der Kompositionskunst ist das eine Metapher. Sie soll zum Ausdruck bringen, dass der Komponist das, was er erreichen will, auf adäquate Weise darzustellen weiß.

Medienphilosophen behaupten seit den achtziger Jahren, die menschliche Schrift würde bald von den Programmiercodes unserer Computer abgelöst. Auch wenn es noch nicht so weit ist (weil außer den Programmierern niemand diese Codes lesen kann, geschweige denn begreifen): Was sagt der Komponist dazu?

Der Komponist sagt dazu nichts. Aber er denkt sich: Diese Philosophen verstanden wahrscheinlich nichts vom Komponieren.

Was ist das fortschrittlichste technische Gerät, das Sie je bedient haben?

Ein selbst verfertigter Zahnstocher, echtes Produkt einer Notsituation.

Was sind die Vorteile des Alters?

Besserer Sex.

Echt?

Eben: echt! Ohne Balz–Stress etc.

Was sind die Nachteile des Alters?

Zu viele Interviews.

Haben Zahlen für Sie eine metaphorische Kraft oder Qualität? Falls ja: Für was steht die 60? Falls nein: gleiche Frage.

Zahlen stehen für sich. Die 60 sieht aus wie eine lädierte Brezel, die versonnen in ein Loch blickt (– oder horcht?).

John Cage wäre heuer 100 geworden, Sie werden an diesem Dienstag 60. Das Berliner Maerzmusik-Festival, das am Wochenende beginnt, feiert Sie beide im Huckepackverfahren. Fühlen Sie sich dabei wohl?

Der Zufall mit Cage ist doch ganz in seinem Sinn. Also auch in meinem.

Cage gilt als der große Experimentator und Innovator der musikalischen Avantgarde. Welches Etikett trügen Sie gerne?

Château Haut Brion 1961.

Was ist das mutigste musikalische Experiment, das Sie je gewagt haben?

Mut kenne ich nicht, weil ich keine Mutlosigkeit kenne. (Im künstlerischen Arbeiten, meine ich.)

Im echten Leben schon?

Ja. Manchmal verzage ich vor Pflichten- Ansturm und Anspruchs-Gedröhn. Dann bekomme ich einen Schnupfen.

Was ist Ausdruck?

Die Gestalt, die eine Gestalt nach außen abgibt.

Sie sind 40 Jahre jünger als John Cage: Was haben Sie in diesen vier Jahrzehnten verpasst?

Unter anderem den Ersten Weltkrieg, Weimar, die Nazis, den Zweiten Weltkrieg … oder meinten Sie mehr das „präparierte Klavier“ u. Ä.?

Natürlich. Ich versuche ja die ganze Zeit, zur Musik durchzudringen! Es heißt, Ihr ästhetisches Programm sei die künstlerische Freiheit. Können Sie das erläutern?

Hier ist nicht der Ort. Außerdem gelänge eine Antwort sowieso nur durch die Musik selbst. Ich bin so frei …

Zeitgenössische Komponisten werden gerne steinalt: Henri Dutilleux ist 96, Elliott Carter 103. Schrecken oder erfreuen Sie solche Aussichten?

Hm.

Was ist Erfolg?

Etwas, das morgen nicht mehr gilt.

Was ist Misserfolg?

Etwas, das morgen nicht mehr gilt.

An wen oder was glauben Sie?

Weiß Gott!?

Ihre letzte große Uraufführung, die „Séraphin“-Symphonie in Donaueschingen, bot einen monströsen Apparat auf: Symphonieorchester plus Instrumentalensemble plus zwei Pianisten plus Schlagwerk … Ist Expansion derzeit für Sie ein Schaffensprinzip?

Nein. Jedes Stück hat seine Besetzung. Mein „Lichtes Spiel“, das ich für Anne-Sophie Mutter schrieb, kommt mit sechs Bläsern und ein paar Streichern als Orchester aus. Was sagt uns das? Richtig: Wir müssen unterscheiden.

Könnte es sein, dass Sie demnächst in die entgegengesetzte Richtung aufbrechen und nur noch winzige Stücke schreiben?

Wenn Sie so weiterfragen, fange ich sofort damit an, ohne dass Sie es merken.

Ein Wort zu Richard Strauss, mit dem Sie bisweilen verglichen werden.

Dort, wo er jetzt ist, vergleichen sie ihn ständig mit mir. Er nimmt’s gelassen.

„Séraphin“ ruft das Echo einer ganzen Werkfamilie auf: ein Musiktheater, ein Concerto, ein Tanztheater, eine Etüde und diverse Ensemblestücke, die Sie jeweils überschreiben, überzeichnen. Wie wichtig ist es, die einzelnen Lagen und Schichten identifizieren zu können? Wie klug ist der gemeine Wolfgang-Rihm-Hörer, was muss er können?

Der gemeine Rihm-Hörer verhält sich eigentlich wie der fiese Mozart-Hörer: Er hält das, was er da hört, für hörenswert.

Sie wurden 1952 in Karlsruhe geboren und leben bis heute dort. Sie essen, trinken und lachen gern. Hat Karlsruhe ein barockes Geheimnis?

Karlsruhe ist eher ein Produkt der Aufklärung, der Toleranz (Religionsfreiheit!) und ästhetisch: des Klassizismus (Stichwort „Klein-Potsdam“). Da sehen Sie’s!

Lassen Sie uns die „Nabokov-Methode“ dieses Interviews für ein Mal durchbrechen – Sie faxen eine Frage, ich faxe eine Antwort …

Was ist „Nabokov“? Eine Verdi-Oper?

1842 an der Mailänder Scala uraufgeführt, ja! Hans Neuenfels hat das Stück vor Jahren an der Deutschen Oper inszeniert. Da steckten die Priester der bösen Abigaille in lustigen Biene-Maja-Kostümen. Das Publikum fand das gar nicht lustig. Mögen Sie das so genannte Regietheater?

(Das Faxgerät pfeift.)

Hallo, Herr Rihm, sind Sie noch da??

– Das Gespräch führte Christine LemkeMatwey.

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