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Wolfgang Rihms Oper "Dionysos": Wein, Leib und Gesang

Wolfgang Rihms Nietzsche-Oper „Dionysos“ feiert Erstaufführung im Berliner Schillertheater. Und Ingo Metzmacher dirigiert - mit glühender Begeisterung.

Diese starke Wölbung der Stirn, über der das Haar gleich einer gebrochenen Welle zurücksinkt, die dunklen Höhlen, in denen ein glimmendes Augenpaar mehr zu ahnen denn zu sehen ist, der gewaltige Schnauz, der eher ein Tier als Träger vermuten lässt als einen Menschen. Das Bild Nietzsches ist eine Ikone – und es muss nur ganz kurz aufleuchten auf dem Gazevorhang, um seine Wirkung zu entfachen. Beinahe so, wie das vom Philosophen erbittert nicht nur mit dem Hammer attackierte Kreuz, von dem er sich doch nicht zu lösen vermochte. Die letzten Nachrichten Nietzsches, in wilder Folge aus Turin verschickt, bevor sein Geist unter Zuckungen erlischt, unterschreibt er mit „Der Gekreuzigte“. Oder auch als „Dionysos“.

So hat Wolfgang Rihm seine „Opernphantasie“ getauft, Frucht jahrzehntelanger Nietzsche-Begeisterung, die 2010 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt wurde. Die Fäden gezogen hat dabei einmal mehr Jürgen Flimm, der „Dionysos“ nun zum Ausklang der Staatsopern-Saison ins Schillertheater holt. Ihr erstes Bild ist der Ikonenblick, ihr erster Ton – Gelächter. Leichtes Frauenlachen stellt Rihm an den Beginn seiner vier Szenen um N., wie Nietzsche hier nur genannt wird. Zweifel an seiner Identität sind dennoch unnötig, denn das vom Komponisten selbst eingerichtete Libretto schöpft aus den „Dionysos Dithyramben“, Nietzsches artistisch-erratischem Absturztext. Rihm hat ihn durch Fragmentierung und Montage weiter verrätselt, ja, er hat die Magie der Sprache bewusst gebrochen, um sie in seine breit flutende Musik einzuschreiben. Für die stammelnden, verstummenden Schriftsteller öffnen Komponisten gerne weit ihre Arme, für Lenz, Hölderlin, Nietzsche. Etwas Feigheit schwingt schon mit, in dieser Liebe.

Zunächst bringt N. gar keinen Laut heraus in der Szene am See, von Nymphen geneckt wie Alberich von den Rheintöchtern, von der angebeteten Ariadne (Nietzsche verschmilzt sie mit Cosima Wagner) bedrängt, doch ein Wort zu sagen. Er, der zarteste Selbstüberwinder, ist naturgemäß erfolglos und obendrein linkisch damit beschäftigt, einen Felsen zu umrunden. Es könnte sich dabei um jenen Block handeln, an dem Nietzsche einst die Idee der ewigen Wiederkunft des Gleichen kam: „Die Sanduhr des Daseins wird immer wieder umgedreht – und du mit ihr, Stäubchen vom Staube!“, formuliert es der Philosoph. Und so fühlt es sich auch an. Der Text hängt bei „Ich bin dein Labyrinth“ fest, und Ariadne (eine herrliche Sirene: Mojca Erdmann) ringt unbeholfen mit ihrem roten Bondage-Faden. Schließlich gelingt N. und seinem „Gast“, dem ewigen Konkurrenten und Helfershelfer (am Limit singend: Matthias Klink), ein befreiendes Jodeln, und es mahlert ganz lebensabschiedlich herauf in ihre einsamen Höhen.

Zuviel Nietzsche kann krank machen, das musste schon Einar Schleef erfahren. Georg Nigl, der wackere Sänger des N., ringt hustend seiner Rolle echtes Drama ab, Wolfgang Rihm war malade erst gar nicht zur Berliner Premiere angereist. Vielleicht wollte er sich auch einfach das Wiedersehen ersparen.

Zur Salzburger Uraufführung wurde „Dionysos“ erst auf den letzten Metern fertig, Regisseur Pierre Audi fügte die Einzelteile irgendwie zusammen: die intergalaktischen Bühneninstallationen von Jonathan Meese („Nietzsche ist total lieb!“), die intime Kennerschaft von Dirigent und Partitur-Initiator Ingo Metzmacher, die Salzburger Spektakel-Erwartung. Dabei sind Audi einige Kurzschlüsse unterlaufen, die sich nicht mehr auszubügeln ließen – und „Dionysos“ nun in Berlin zum Verhängnis werden.

Das betrifft vor allem den Humor, in dem sich Rihm erstaunlich weit vorwagt. Es hätte hier jemanden gebraucht, der es wagt, den bildungssatten Tonfall mit seinem furchterregenden Einverleibungsappetit als bunte Maske zu entlarven, Dionysos freizulassen, der schon in der griechischen Komödie zur Witzfigur wird, und alles in eine göttliche Hanswurstiade zu verwandeln. Dann wüsste man vielleicht auch, warum es immer wieder nach Richard Strauss klingt. Auf der Bühne aber sieht man stattdessen Dies-ist-modernes-Musiktheater-Geschiebe, missglückte Stilisierungsversuche und vor allem: unterentwickelte Pathosresistenz. Sie macht „Dionysos“ nur wenig ergreifend, aber vollends unlustig. Dabei steckt in der Partitur viel gute, süffige Unterhaltung. Ein Schatz, den die Uraufführungsregie nicht zu heben vermag.

„Ich sehe Stan Laurel und Oliver Hardy am Dachrand eines Hochhauses in klammernder Angst vor dem Hinuntersturz“, beschreibt Rihm selbst die Szene im Gebirge. N. und sein Gast als Dick und Doof, als himmlische Komödianten: das müssen kommende Inszenierungen besorgen. Derweil kann man sich im Schillertheater daran erfreuen, wie Ingo Metzmacher seine seit 1995 glühende Begeisterung für „Dionysos“ auf die Staatskapelle überträgt. Damals hatte er dem Komponisten das Versprechen für die Oper abgenommen („Der Wein war gut“). Rihm wiederum hat jüngst in einem seiner launigen Fax-Interviews zugesagt, in der Zukunft eine wirklich komische Oper zu schreiben. Jetzt muss sich jemand dahinterklemmen, mit unerschütterlicher Geduld und einem überraschend guten Weinhändler im Hintergrund. Dann könnte dabei eine göttliche Travestie herausspringen, irgendwann. Barrie Kosky, bitte übernehmen Sie!

Wieder am 10., 13. und 15. Juli.

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