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Traktorblockade

© Promo

Wolfsburger Ausstellung: Milchtüten zu Fußmatten

Umweltbewusste Kunst in Zeiten des Klimawandels: die Ausstellung "Green Dreams" im Wolfsburger Kunstverein untersucht, wie sich rund 30 Jahre Ökobewegung ästhetisch niedergeschlagen haben.

Irgendwann in den neunziger Jahren verschwand die lachende Atomkraft-Nein-Danke-Sonne hinterm Horizont und der letzte Jutebeutel landete auf dem Kompost. Wer heute „Bio“ kauft, ist mehr ums eigene Wohlergehen besorgt. Nur die Künstler machen weiter Ernst, sie träumen unter dem Titel „Green Dreams“ im Wolfsburger Kunstverein, klagen an oder werben: für die Umwelt. Mit einigen älteren und aktuellen künstlerischer Positionen untersuchen die Kuratorinnen Christine Heidemann und Anne Kersten, wie sich gut 30 Jahre Ökobewegung ästhetisch niedergeschlagen haben.

Mit dabei ist eine Veteranin der umweltbewussten Kunst: Mit ihren „Touch Sanitation“-Projekten streitet die 1939 geborene US-Künstlerin Mierle Laderman Ukeles für eine höhere Wertschätzung der Abfallentsorgung. In den siebziger Jahren schüttelte sie über 8500 Müllmännern die Hand und ließ die Aktion filmen. Bewegend auch heute noch, wie die Männer ihre Wut über schlechte Arbeitsbedingungen und die Ignoranz der Bevölkerung ausdrücken.

Als Vertreterin einer jüngeren Generation stellt die Deutsche Nina Petzet ihr Sammeln-Bewahren-Forschen-System vor, ein Gegenmodell zum „Grünen Punkt“. Sie hat ein Warenlager selbstgefertigter Recyclingprodukte aufgestellt und praktiziert in einem Video Hilfe zur Selbsthilfe. So demonstriert Petzet, wie man aus Milchtüten eine Fußmatte bastelt: Ökologisches Handeln als Sisyphusarbeit. Ebenfalls zwischen Anwendbarkeit und Utopie schwankt Peter Fends Vorschlag, mithilfe von umfunktionierten Militär-U-Booten Algen aus Flüssen zu fischen und daraus Energie zu gewinnen. Kernstück seiner „Elbegas“-Installation sind große Glaskolben, in denen Algen in Methan umgewandelt werden.

So etwas wie eine „grüne Bildsprache“ zeichnet sich am deutlichsten in Umweltplakaten ab, die die Ausstellung flankieren. Dabei unterscheiden sich die DDR-Beispiele thematisch und rhetorisch stark von Grünen-Wahlplakaten, gestaltet von Joseph Beuys oder Andy Warhol – dessen Name für die Wegwerfgesellschaft stand und dessen Entwurf wohl deshalb nie gedruckt wurde.

Der Künstler René Lück, Jahrgang 1970, nimmt den plakativen Stil der Protestbewegungen auf, seine Collage „Traktorblockade“ spielt auf Gorleben-Demos an. Ironisch geht die Amerikanerin Lisi Raskin gegen die Angst vorm Gau vor: Ihr Pseudo-Werbevideo präsentiert den Wunderpilz „Thermocesium Cyanide“, der Radioaktivität neutralisiert. Wen das nicht beruhigt, der erwirbt an der Kasse einen Sticker, auf dem eine alte Bekannte abgebildet ist: eine gesichtslose Anti-Atom-Sonne. Den passenden Gemütszustand muss man sich selbst draufmalen.

Kunstverein Wolfsburg, bis 10. Februar

Jens Hinrichsen

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