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Kultur: Wolken ziehen vorüber

Wer heute Edward Bond, den Rebell, haben will, der sollte tatsächlich Sarah Kane inszenieren, die von Bond mit Recht verehrte, jüngst verstorbene Dramatikerin.Sie war Bonds Wiederkehr in den neunziger Jahren.

Wer heute Edward Bond, den Rebell, haben will, der sollte tatsächlich Sarah Kane inszenieren, die von Bond mit Recht verehrte, jüngst verstorbene Dramatikerin.Sie war Bonds Wiederkehr in den neunziger Jahren.Denn sie wußte nicht nur die Schrecken einer wölfischen Welt, sondern auch die Sehnsucht nach Rettung zu formulieren.Bond selbst, der sein "Gerettet", das ihn 1965 berühmt machte, von der Talsohle menschlichen Abgrunds heraufschrie, ist nach einem Zwischenstop als Sozialismus-Prediger längst zum Verflucher einer Gesellschaft geworden, die er für von Grund auf verbrecherisch hält: "Eigentum ist Mord".

Und ermordet ein Mann seine Tochter wie in "Ollys Gefängnis" (1993), dann ist klar: "Schuld sind die Reichen und ihr System." Bond, der im Juli fünfundsechzig wird, ist heute ein mittelalterlicher Bußprediger, der die "Frau Welt" herumdreht, um uns hinter ihrer Schönheit die Fratze des Todes zu beweisen.Ein Drama braucht starke Kontraste, das macht sein Wesen aus.Doch wenn schon von den "Extremen menschlicher Erfahrung" die Rede ist, wie Bonds Übersetzerin Brigitte Landes in ihrem Tagesspiegel-Porträt (27.Mai) das Credo des Dramatikers zitiert, dann gehört zu diesen Extremen auch die extreme Hoffnung, eine Hoffnung wider jede Erfahrung.Und das nicht nachlassende Ringen um Zivilität, die "das Äußerste", dem zu begegnen Bond sich sehnt, gerade vermeidet.Bonds "Schauergeschichten", wie Georg Hensel sie einmal nannte, zeigen ja nicht eine andere Welt, sondern behaupten, Aufklärung über die unsere zu sein.

Bonds jüngstes Schwarzkunstwerk, "Das Verbrechen des 21.Jahrhunderts", malt ein irgendwie "gesäubertes" Land, dessen Ruinen für Menschen unbewohnbar gemacht wurden.Irgendwo gibt es eine Gefängnis-"Vorstadt" und eine Stadt nur mit Frauen, in der das Gesetz der Gangs waltet, ein Reichenghetto und eines für Arme, in dem Autos verboten sind.Die Parallele zu realexistierenden Kriegen und die Herkunft aus den Angstutopien von Hobbes bis Orwell ist unübersehbar.Franz Havemann hat für die Uraufführungsbühne des Bochumer Schauspielhauses ganz naturalistisch zerborstene Mauern und eine Hütte aus Draht und Holzresten gebaut, über deren Düsternis eine Projektionsfläche schwebt, auf der langsam die Wolken ziehen.

In den verbotenen Ruinen haust Hoxton, ihr Schatz ist eine übriggebliebene Wasserleitung.Daher bekommt sie ungeliebten Besuch von dem halbverdursteten Streuner Grig sowie dem geflohenen Häftling Sweden, der sich seinen Kontroll-Chip aus der Brust gerissen hat.Der alte und der junge Mann kämpfen mit freudianischer Unverblümtheit um die Frau, die sich nicht entscheidet.Dann verschwindet Grig, flieht Sweden weiter.Grace taucht auf, die in Hoxton ihre Mutter wiederfindet.Sie schleppt die Steine des Hauses mit sich, in dem Hoxton sie einst zurückließ.Während Hoxton ihre Schuld bekennt - sie hat ihr anvertraute Kinder getötet -, kehren nacheinander die Männer zurück, wobei Sweden inzwischen von den Soldaten geblendet wurde.Nach einer weiteren Abwesenheit ist er auch seiner Füße beraubt.Als keine der Frauen mit Sweden in ein Land jenseits der Grenze fliehen will, ersticht dieser beide.

Grig gesteht, daß er Sweden an die Armee verraten hat, nun will er ihm beistehen.Doch Sweden sinnt nur auf Mord.Bis zuletzt, so die Botschaft in diesem Brettspiel für vier Apokalyptiker, denkt der Mensch ans Töten.Keine der Figuren sei, was sie zu sein scheine, heißt es in einem Brief Bonds an die Bochumer Dramaturgie, den das Programmheft abdruckt.In der Tat begegnen uns mindestens das Medea-, das Ödipus-, das Atridenmord-Motiv, versammelt im Tableau einer Danteschen Hölle, in der Grig so etwas wie eine Variante des Armen Heinrich abgibt.

Die Inszenierung Leander Haußmanns versucht mit lobenswerter Hingabe, den Kunstgeschöpfen einer Schauerwelt Leben und Vorgeschichte, Würde und Tragik zu verleihen.Ralf Dittrich schenkt seinem Grig eine aus irgend einem friedlichen Vorleben rührende Sanftheit, Andreas Pietschmann spielt tapfer seinen Sweden so lange als jungenhaften Leichtfuß, bis man ihm ebendiesen amputiert.Margit Carstensens Hoxton ist eine im Schmerz versteinerte Trümmerfrau, Annika Kuhls Grace das im Lebensschrecken verlorengegangene Kind.Beide nehmen das Messer, das in sie dringt, an wie einen Liebesakt.Dies alles sieht tragisch aus, doch eine Tragödie - unaufhebbare Widersprüche - ist dies nicht, die Figuren könnten auch anders handeln.Daß sie vollkommene Opfer der Verhältnisse sind, bleibt eine Behauptung.

Zuletzt, als Grigs Mitleidsangebot abgewiesen und Sweden in den Tod davongekrochen ist, senkt sich die Ruinenlandschaft und es bildet sich in Bühnenhintergrunds-Höhe der "graue Raum", in dessen unwirklichem Licht Grig verloren einen Stein umkreist.Worauf er, wie die Regieanweisung ihm aufträgt, siebenmal "heult".Ein Bild der Hoffnung und Läuterung, dessen Unglaubwürdigkeit und dramatische Willkür allein der - bei der Uraufführung nicht anwesende - Autor zu verantworten hat.Als einige Minuten zuvor Sweden seine blutigen Stümpfe präsentierte, gab es im Bochumer Publikum zwei ungewollt herausbrechende Lacher.Was ein besserer, ein menschlicherer Ausdruck der Hoffnung war.

ULRICH DEUTER

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