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Burdsch_Chalifa

© Reuters

Wolkenkratzer: Auf Tand gebaut

Turmbau zu Dubai: Die höchsten Gebäude werden in Krisenzeiten errichtet. Schluss mit dem Irrsinn.

Das Krisenjahr 2009 endete mit der Häme über die angebliche Zahlungsunfähigkeit des einstigen Boomemirats Dubai. Der jähe Absturz galt als Beweis, dass jeder Hochmut am Ende eben doch vor dem Fall kommt. Doch kaum sind die Kommentare verhallt, beginnt das neue Jahr mit einem Coup: Am vergangenen Montag weihte Dubai mit dem Turmhaus „Burdsch Khalifa“ das höchste Bauwerk der Welt ein. Rund 828 Meter hoch, Baukosten zwischen – je nach Quelle – einer und vier Milliarden Dollar, 189 Stockwerke für Hotels, Büros und Wohnungen.

Da sind sie wieder, die wahnwitzigen Superlative. Nein, nicht der einstweilige Baustopp, der noch vor kurzem viele Projekte auf dem gesamten Globus betraf, demonstriere den Niedergang der weltweiten Waren- und Geldwirtschaft, heißt es. Im Gegenteil: Das eigentliche Zeichen der Krise sei, dass der an Babel gemahnende, „auf Sand gebaute“ Turm von Dubai ausgerechnet jetzt vollendet werde. Denn, so die Argumentation, die höchsten Häuser der Welt werden immer errichtet, wenn die Krise ihren Höhepunkt erreicht.

Prinzipiell ist alles eine Frage der Auslegung. Und so lässt sich nun seit bald zwei Jahren studieren, dass die Krise vor allem eines hervorbringt: Besserwisser. Solche, die es ohnehin schon immer geahnt haben. Und solche, die behaupten, dass sich nun endlich alles ändert. Doch: Was gibt es zu ahnen? Was könnte sich ändern? Lange vor der „Bankenkrise“ erlebte der Kapitalismus immer wieder Erschütterungen und Zusammenbrüche, die wie der aktuelle Kollaps endeten: mit einer Sozialisierung der Schulden, einem kollektiven Verdrängungsprozess und dem Weiterwurschteln der Verantwortlichen. Dass dabei, wegen oder trotz der Krise, architektonische Monumente entstanden, wie das Empire State Building (Weltwirtschaftskrise), der Sears Tower (Ölkrise) oder der „Burdsch Khalifa“, bietet allenfalls schwachen Trost, zumal die Architektur selbst seit dem 19. Jahrhundert ein integraler Bestandteil der Marktwirtschaft ist. Schon die Gründerzeit, die nach 1871 der Hauptstadt Berlin einen beispiellosen Bauboom bescherte, endete im Katzenjammer des „Gründerkrachs“. Auch das aktuelle Debakel begann mit der freizügigen Kreditvergabe amerikanischer Banken an willige Häuslebauer. Architektur als Ware: Kaum eine Krise, in der Immobilienspekulation nicht eine entscheidende Rolle spielen würde.

Dennoch haben die Architekten, die ihre Disziplin gern als angewandte Kunst sehen, immer mitgemacht und Fehlentwicklungen getragen. In den sechziger Jahren etwa geriet die Nachkriegsmoderne mit ihren Sozialwohnungsquartieren, Stadtautobahnen und Fußgängerzonen in Verruf. Die durch Staat und Kommunen geförderte Flächensanierung zugunsten von spekulativem Wohnungsbau müsse endlich aufgegeben werden, hieß es nun. Und: Schluss mit dem „Bauwirtschaftsfunktionalismus“. Die Architekten reagierten prompt. Statt Beton bauten sie nun mit Natursteinplatten, spielerische Formen und historische Zitate ersetzten den nüchternen Kubismus der Moderne. Die sogenannte Postmoderne, die mit der Internationalen Bauausstellung 1984 /87 in Berlin einen weltweit beachteten Höhepunkt fand, war ein kollektives Reformprojekt, mit dem die Architekten die eigene Disziplin auf den Prüfstand stellten. Nur: Hinter den Kulissen, bei den Investoren, die Architektur als ihren Geldgeber nun einmal braucht, blieb die Reform aus. Die Bauwirtschaft häutete sich, warf den ausgedienten Funktionalismus ab und bediente sich einer neuen Stilhülle.

Seither dient die bunt-ironische Glitzerwelt der Postmoderne als Deckmäntelchen für die Architektur des Spätkapitalismus. Ihr Prinzip, das der New Yorker Architekt Robert Venturi vor über vierzig Jahren in seinem Buch „Learning from Las Vegas“ beschrieben hat, funktioniert bis heute: Projektentwickler und Investoren geben Bruttogeschossflächen und Gewinnmargen vor. Die öffentliche Hand subventioniert. Und der Architekt liefert das passende individuelle Korsett, das Unverwechselbarkeit ausstrahlen soll, um das Interesse von Mietern, Besuchern und Öffentlichkeit zu wecken.

Von Las Vegas lernen hieß siegen lernen. Und so haben wir in den letzten 15 Jahren die atemberaubende Konkurrenz der Architekturikonen erleben können: Häuser wie Designerobjekte, die sich im Spiel mit Oberflächen, Material und Erhabenheit gegenseitig übertrumpften. „Stararchitektur“ wird das Phänomen despektierlich genannt. Denn den Rummel um die berühmten Architekten, in deren Namen meist Teams von mehreren Dutzend Mitarbeitern Projekte am Fließband generieren, beziehen findige Investoren längst in ihr Kalkül mit ein. Neben Rem Koolhaas, der sich effektreich als „enfant terrible“ inszeniert, stehen Namen wie Zaha Hadid, Frank O. Gehry, Daniel Libeskind.

Aus künstlerischer Sicht weitaus lohnender dürfte die Beschäftigung mit dem Werk der Basler Planer Herzog und de Meuron sein. Sie haben den Fetischismus der Architekturikonen auf ein neues Qualitätsniveau befördert und dabei gleichzeitig mit der Moderne versöhnt. In München bauten sie das neue Fußballstadion in Form eines leuchtenden Autoreifens. In Peking steht seit den Olympischen Spielen das längst legendäre „Vogelnest“. In Hamburg entsteht derzeit die Elbphilharmonie, ein steil aufragendes Sahnetörtchen aus Glas, das sich gegen Wind und Wellen aufzubäumen scheint. Drei Bauten – drei Bilder, verankert im kollektiven Gedächtnis. Solche Beispiele zeigen, wie erfolgreich das sogenannte Branding aus dem Umfeld von Produktdesign und Werbung in die Architektur übertragen, Bauwerke selbst zu dreidimensionalen Marketingobjekten erhoben wurden: „Autoreifen“, „Vogelnest“ und „Sahnetorte“ sind die Antworten der globalisierten Welt auf die alten Ikonen, den Eiffelturm und das Atomium.

Auf welch unterschiedliche Weise Investoren diesem Modell nacheifern, zeigen die vielen Bürokomplexe und Shopping-Malls in den Groß-, Klein- und Vorstädten der ganzen Welt. Nur selten jedoch gelingt die Symbiose von Investment und Architektur. Hochnotpeinliche Fälle, wie das „Alexa“ am Berliner Alexanderplatz, sind durchaus typische Vertreter heutiger „Investorenpostmoderne“. Selbst im Großen geht die Taktik nicht immer auf. Im abgründigen Immobilienzirkus der City of London etwa wollte sich ein Developer mit Norman Fosters obszöner „Gurke“ positionieren. Selbst deutschen Privatanlegern wurden Anteile an diesem Bürohochhaus angeboten. Doch die Krise fegte den Financial District leer, unvermietet bleibt auch Fosters Hingucker. Wer Anleihen gezeichnet hat, weiß, dass nicht nur Gurken, sondern auch Versprechen von Bankberatern sehr wässrig sein können. Die originelle Form des Bauwerks jedenfalls konnte den ehernen Gesetzen des Marktes nicht trotzen.

Auch eine weitere Schattenseite brachte die marktschreierische Überbietungskunst auf der Suche nach der ultimativen Form hervor. Investorenprojekte binden das Gros der Kreativität, während dort, wo es tatsächlich auf originelle, individuelle Lösungen ankäme, Uniformität eingezogen ist, im Wohnungs- und Einfamilienhausbau. Hier haben Fertighausanbieter das Sagen, unflexible Grundrisse von der Stange sind nach wie vor gängig. Der Verteilung des Geldes von unten nach oben, jener Umwälzungsprozess, den der Spätkapitalismus in Gang gesetzt, den die Krise beschleunigt hat – ihm scheint auch die Umverteilung von künstlerischem Potenzial, von Aufmerksamkeiten, von sozialer Verantwortung zu entsprechen. Die Architektur ist daher längst wieder an einem kritischen Punkt angelangt, der nach einschneidenden Reformen verlangt, wie Ende der sechziger Jahre.

Diesmal jedoch reichen äußerliche Veränderungen nicht aus. Wäre es nicht an der Zeit, über die Entkopplung von Kapitalismus und Architektur nachzudenken? Eines ist sicher: Nicht allein die Architektur, sondern vor allem die marode Wirtschafts- und Gesellschaftsform, die sie repräsentiert, gehören auf den Prüfstand. Denn sonst gilt das, was nach allen Krisen bisher galt. Wir machen einfach weiter. Weiter wie zuvor.  

Christian Welzbacher

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