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Kultur: Wollen Sie Kulturminister werden, Herr Frantz?

Justus Frantz wuchs im holsteinischen Tesdorf auf.Als Herbert von Karajan den Pianisten 1970 engagierte, kam der internationale Durchbruch.

Justus Frantz wuchs im holsteinischen Tesdorf auf.Als Herbert von Karajan den Pianisten 1970 engagierte, kam der internationale Durchbruch.1986 gründete Frantz das Schleswig-Holstein Musik Festival, seit 1990 moderiert er die zweimal jährlich ausgestrahlte ZDF-Sendung "Achtung Klassik!".Seit 1995 leitet "Mr.Klassik" (seit 1997 auch Chefdirigent der Philharmonie Hungarica) sein eigenes Orchester, die Philharmonie der Nationen, in der 90 junge Musiker aus 40 Ländern spielen.Der 54jährige gehört zu den bekanntesten Klassikvermittlern Deutschlands.

TAGESSPIEGEL: Die SPD will den Verleger Michael Naumann im Fall eines Wahlsieges zum Kulturbeauftragten machen.Stört es Sie eigentlich, daß man den erfahrenen Kulturmanager Justus Frantz nicht gefragt hat, ob er so etwas machen wolle?

FRANTZ: Ich will Ihnen jetzt nicht erzählen, daß mir so etwas schon einmal angetragen wurde.Aber ich finde eine solche Aufgabe nicht sehr erstrebenswert.Die Freude über das Amt dauert vielleicht zehn Tage, dann folgt unweigerlich der bürokratische Alltag.Nein, ich möchte mich weiter wie bisher mit künstlerischen Dingen beschäftigen, die mir etwas bedeuten.Der kürzlich verstorbene Komponist Alfred Schnittke hat eine Sonate für mich geschrieben.Ich möchte sie gerne spielen.Das ist für mich wichtig.

TAGESSPIEGEL: Aber was halten Sie von der Idee eines zentralen Kulturbeauftragten, wie sie die SPD offenbar verfolgt?

FRANTZ: Daß es mit der Kulturpolitik in Deutschland nicht zum Besten steht, weiß jeder.Ich glaube, die Verantwortung des Staates sollte von Menschen wahrgenommen werden, die etwas von Kultur verstehen.Oft habe ich den Eindruck, die Amtsinhaber verstehen viel mehr von Büroabläufen als vom Eigentlichen, der Kultur.Und das bedeutet letzten Endes die reibungslose Förderung des Verkehrten.Ich habe schon viele hemmungslos unbegabte Musiker erlebt, die plötzlich um die ganze Welt geschickt wurden, oder Komponisten, von denen ich glaube, daß es überflüssig war, deren Werke auch noch aufzuführen.

TAGESSPIEGEL: Was muß Kulturpolitik heute leisten?

FRANTZ: Es wäre schrecklich, wenn sich das Orchester- und Theatersterben fortsetzen würde.Es gibt aber nicht nur Deutschland.Ich finde es außerordentlich wichtig, daß die geistigen Grundlagen eines vereinten Europas - das auch den Osten einschließt - erhalten und ausgebaut werden.Daß Museen in diesen Ländern nicht geschlossen werden, das Bolschoi-Theater sein Niveau halten kann.Hier müssen wir viel mehr helfen - statt Künstler abzuwerben, weil sie weniger kosten, aber oft Hervoragendes leisten.

TAGESSPIEGEL: Baden-Baden hat mit seinem Festspielhaus ein Debakel erlebt: Ein Menetekel oder nur eine Ausnahme?

FRANTZ: Placido Domingo hat mir erzählt, daß zu einem Konzert von ihm in Baden-Baden gerade einmal 200 Zuhörer gekommen sind.Mir liegt persönlich nichts daran, eine Hochpreiskultur zu schaffen.Nur wenn die Kultur für alle erschwinglich ist, dann ist sie auch eine demokratische Kultur.Wir sind in Deutschland offenbar aber noch nicht so weit.Wenn Künstler astronomische Gagen verlangen - und sie auch bekommen -, dann soll sich niemand wundern, wenn das Ganze irgendwann kippt.Auch die Künstler werden umdenken müssen, damit Kultur nicht unbezahlbar wird.

TAGESSPIEGEL: Spitzen-Niveau zu Volkspreisen, wie soll das gehen?

FRANTZ: Wie das gehen kann, habe ich beim Schleswig-Holstein-Musikfestival vorgemacht, wo Künstler wie Richter, Bernstein, Solti, Schnittke oder Lutoslawski auftraten - alle konnte man für 10 Mark Eintritt erleben.Ich will ganz sicher keine Symphonie mit angeschlossener Rhythmusgruppe.

TAGESSPIEGEL: Obwohl Ihnen genau das viele zutrauen.

FRANTZ: Mir trauen viele alles zu.Damit kann ich leben.Als ich vor 20 Jahren anfing, glaubte ich, das wichtigste sei, daß die anderen eine gute Meinung von mir haben.Heute ist für mich das wichtigste, morgens noch in den Spiegel schauen zu können.

TAGESSPIEGEL: "Ich liebe Deutschland, aber ich bedaure die Humorlosigkeit, die Mutlosigkeit, die Betonung des Negativen".Zitat Justus Frantz.Steht es wirklich so schlimm um Deutschland?

FRANTZ: Ich kann mir schon vorstellen, daß es irgendwann wieder einen kreativen Schub geben wird.Aber von einer Aufbruchstimmung merke ich zur Zeit nichts.

TAGESSPIEGEL: Soviel Resignation?

FRANTZ: Nein, nein, ich bin Lutheraner.Ich würde meinen Apfelbaum auch dann noch pflanzen, wenn ich wüßte, daß die Welt morgen untergeht.Aber ich bin Realist.

TAGESSPIEGEL: Sieht der Realist auch, daß er mit der Sendung "Achtung Klassik!" nicht die Millionen erreicht, die er erreichen wollte?

FRANTZ: Wenn es nach mir ginge, würde die Sendung auf zwei Stunden ausgedehnt und jeden Monat ausgestrahlt.Ich bekomme viel Zuspruch von jüngeren Leuten, die durch die Mischform aus Unterhaltung und Klassik an die klassische Musik herangeführt wurden.Wenn das der Fall ist, dann hat die Sendung trotz allem ihre Berechtigung.

TAGESSPIEGEL: Wundern Sie nicht manchmal selbst, wer bei "Achtung Klassik!" alles zu Ihnen auf die Bühne kommt?

FRANTZ: Ich wundere mich jeden Tag in meinem Leben.Ich war neulich am KaDeWe und ging an einem Stand von jungen Leuten vorbei, die am ganzen Körper gepierct waren und nicht aussahen, als würden sie sich mit späten Beethoven-Sonaten beschäftigen.Sie sprachen mich an und erzählten mir, daß sie klassische Musik hören würden, seit sie einmal meine Sendung gesehen hätten.Das finde ich schön.

TAGESSPIEGEL: Sie haben festangestellte Orchestermusiker als Monopolisten bezeichnet, die an ihren Stühlen kleben.

FRANTZ: Halt, halt, da haben Sie etwas mißverstanden.Als Monopolisten habe ich diejenigen bezeichnet, die Kunst als elitäre, bittere Medizin verkaufen wollen und sich freuen, wenn sie möglichst allein im Konzertsaal sitzen und glauben, sie seien die einzigen, die etwas von Kunst verstehen.Bei den Orchestern sehe ich, daß oft eine Gewerkschaftsmentalität dominiert, die manchmal leider den Esprit der Musik aus dem Konzertsaal getrieben hat.Wenn Menschen Musik nur noch als einen unfrohen Dienst begreifen, dann frage ich mich, ob es nicht besser wäre, eine spanische Wand vor ein solches Orchester zu stellen.

TAGESSPIEGEL: Sie sind bekannt als Mann mit Ideen.Wie könnte der Finanzmisere begegnet werden?

FRANTZ: Als ich noch Intendant des Schleswig-Holstein-Musikfestivals war, habe ich vorgeschlagen, statt zweier neuer Finanzämter doch ein Opernhaus zu bauen.Sie können sich das Echo vorstellen.

TAGESSPIEGEL: Empört Sie, was über Sie geschrieben wird?

FRANTZ: Sagen Sie mir bitte nicht, was über mich geschrieben wird.Ich lese es nicht.Ich beschäftige mich nicht so gern mit mir selbst.

TAGESSPIEGEL: Lieber beschimpfen Sie sich selbst.Als "eitel und geldgeil" haben sie sich einmal bezeichnet.

FRANTZ: Ich mußte meinen Kritikern doch zuvorkommen.Aber im Ernst.Seit drei Jahren mache ich nun die Philharmonie der Nationen und zahle immer noch Geld drauf.Weil ich an die Idee glaube.

TAGESSPIEGEL: Und weil Sie Geld von der Wirtschaft nehmen.Hauptsponsor Ihres Orchesters ist Reemtsma.Rauchen ist gut für klassische Musik, wäre das nicht ein schöner Slogan?

FRANTZ: Ohne Geld von Sponsoren gäbe es keine Philharmonie der Nationen.Die Firma Reemtsma paßt ausgezeichnet zu uns, weil sich in der Marke Davidoff hohe Qualität, Internationalität und Genuß widerspiegeln.Ich bin über die Partnerschaft mit diesem Sponsor sehr glücklich, weil sie hilft, die Philharmonie zu internationalisieren.

TAGESSPIEGEL: Sie haben die klassische Musik einen Entschleuniger in unseren beschleunigten Zeiten genannt.Selbst haben Sie letztes Jahr 220 Konzerte gegeben.Wie paßt das zusammen?

FRANTZ: Ich habe eine Verantwortung: ein Profi-Orchester, die Philharmonie der Nationen, das sich ohne staatliche Unterstützung behaupten muß und sich ausschließlich über Konzerte und Sponsoren finanziert.Schon vor dem ersten Konzert fallen deshalb erhebliche Kosten an.Alaso müssen wir viele Konzerte geben, um die Kosten wieder hereinzuspielen.Ich nenne es Entschleunigung, wenn wir uns siebzehn Mal mit dem gleichen Stoff beschäftigen können und nicht jeden Abend ein anderes Programm spielen müssen.Das wäre eine unerträgliche Beschleunigung und Verkrampfung.

TAGESSPIEGEL: Wie entschleunigt der Beschleuniger Justus Frantz ganz privat?

FRANTZ: Ich spiele Klavier in meiner Hamburger Wohnung.Manchmal siebzehn Stunden am Stück, mehrere Tage hintereinander.Das macht mich glücklich.

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