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Kultur: Wollen Sie wieder ein weniger berühmter Autor werden, Herr Rushdie?

SALMAN RUSHDIE, wurde durch den Protest gegen angeblich blasphemische Passagen in seinem Roman "Die satanischen Verse" (1988) weltberühmt.Der verstorbene iranische Revolutionsführer Khomeini rief Moslems in aller Welt dazu auf, den britisch-indischen Schriftsteller zu töten.

Von Gregor Dotzauer

SALMAN RUSHDIE, wurde durch den Protest gegen angeblich blasphemische Passagen in seinem Roman "Die satanischen Verse" (1988) weltberühmt.Der verstorbene iranische Revolutionsführer Khomeini rief Moslems in aller Welt dazu auf, den britisch-indischen Schriftsteller zu töten.Über zehn Jahre lebte der 51jährige Rushdie unter Polizeischutz in wechselnden Verstecken.Im September vergangenen Jahres erklärte die iranische Staatsführung, das Todesurteil nicht vollstrecken zu wollen.Der in Bombay geborene Rushdie, der seine Kindheit in Indien verbrachte und als 14jähriger auf eine vornehme Public School nach England kam, studierte in Cambridge Geschichte und Theater.Bereits mit seinem zweiten Roman "Mitternachtskinder" gelangte er 1981 zu internationaler Anerkennung.1995 erschien sein Roman "Des Mauren letzter Seufzer".Fußballfan Rushdie ist in dritter Ehe verheiratet und hat zwei Söhne.Am Montag las Rushdie aus seinem neuen Roman "Der Boden unter ihren Füßen" (Kindler Verlag) in der Akademie der Künste.Das Gespräch führten Gregor Dotzauer, Hellmuth Karasek und Andrea Nüsse.

Wie beginnt das Gespräch mit einem Todeskandidaten? Salman Rushdie, eine Bilanz, bitte, nach zehn Jahren Fatwa, der Morddrohung durch islamische Fundamentalisten."Die Italiener sind die schlimmsten." Totally Crazy.Gemeint sind die Sicherheitskräfte, die Beschützer, die Lebensretter.Zwei patroullieren auch jetzt vor dem Tagesspiegel-Konferenzraum, weitere warten im Hof.Aber auf was? Die Frage an den Gejagten: Wie fühlt man sich, wie übersteht man das? Erstmal klingelt die Sacko-Tasche.Handy aus.Sorry for that.Dann die Antwort, völlig entspannt, in heiterer Intonierung: "Es war schrecklich." Nicht die Flucht vor den Ayatollahs jedoch ist Rushdies Thema, sondern der Kampf gegen die Schatten von Scotland Yard.Die iranische Führung hat kürzlich Abstand genommen von der Fatwa.Dennoch lebt Rushdie anstrengend in diesen Tagen.Horrible.Die Peinigung hat einen Namen: weltweite Interviews. Tsp

TAGESSPIEGEL: Ihr neues Buch handelt von zwei Rockstars.Wann waren Sie zuletzt in einem Rockkonzert?

RUSHDIE: Im September habe ich Bob Dylan und Joni Mitchell im Madison Square Garden gehört.Die U2-Tour habe ich leider verpaßt, immer wenn ich in dem einen Land war, spielten sie gerade woanders.

TAGESSPIEGEL: Haben Sie dort für Ihr Buch recherchiert?

RUSHDIE: Die Musik selbst kannte ich, aber das Musikbusiness mußte ich studieren.Es gibt eine Stelle, an der die Band einen ausbeuterischen Vertrag unterschreibt, die Mitglieder wissen es nur nicht, weil sie das Kleingedruckte nicht lesen können.Ich mußte also genau wissen, was ihnen den Hals brechen könnte.

TAGESSPIEGEL: Da hätten Sie sich bei einer Plattenfirma erkundigen sollen.

RUSHDIE: Habe ich auch.Bei einem Freund, der ist Anwalt bei der Polygram ...Für andere Dinge habe ich erstmals im Internet recherchiert.In dem Buch geht es viel um Ziegenböcke.Jede Menge Farmen habe eigene Websites.Es gibt eine Stelle, wo ich diese arme weiße Familie im tiefsten Virginia porträtiere.Die hat ein paar Ziegen auf der Weide stehe, und der Farmer träumt von einer Ziegenfarm.Ich mußte mich über den Boden informieren, ob ich eher Tiere zur Fleisch- oder zur Milcherzeugung haben wollte und welche Sorten mit welchen Krankheiten und was man ihnen füttert.Das habe ich alles über Internet erfahren.

TAGESSPIEGEL: Welche Ansprechpartner hatten Sie sonst noch?

RUSHDIE: Keine.Als ich diesen Roman begann, habe ich mir geschworen: Du sagst niemandem ein Wort, bis du fertig bist.Ich muß den Mund halten, damit es aus den Fingern fließt.Es ist wie mit dem Wasserdruck: Wenn zuviele Hähne aufgedreht sind, sinkt der Druck.

TAGESSPIEGEL: Gibt es nicht Momente, in denen Sie bei anderen Rat suchen?

RUSHDIE: Nein.Das hängt mit meinem schriftstellerischen Temperament zusammen.Der einzige Grund, warum ich nicht Drehbuch- oder Stückeschreiber geworden bin, ist der, daß ich keine Lust habe, mit anderen zusammenzuarbeiten.Das ist das Spiel, das die Literatur ausmacht.Du sitzt mit deinen Gedanken in einem Zimmer, machst etwas ungeheuer Privates, und dann knipst du den Scheinwerfer an und läßt jeden auf dein Innerstes gucken.Vorher nicht.Das ist besonders für den Menschen, mit dem man zusammenlebt, sehr schwer - vor allem, wenn man ihm dreieinhalb Jahre nicht zeigt, was da entsteht.

TAGESSPIEGEL: Sie sprechen darüber nicht einmal mit Ihrer Frau?

RUSHDIE: Nein.Nie.Manchmal sage ich höchstens: Heute hatte ich einen guten Tag.Und manchmal sage ich: Was für ein schrecklicher Tag.Ich habe keine Zeile aufs Papier gebracht.Das muß reichen.

TAGESSPIEGEL: Worüber reden Sie dann?

RUSHDIE: Über alles andere.

TAGESSPIEGEL: Sie wirken ohnehin nicht wie ein einsilbiger Mensch.

RUSHDIE: Oh ja, ich bin eigentlich ausgesprochen redselig.Aber das ist der Teil von mir, der nicht Schriftsteller ist.Ich bin auch ein ziemlich geselliger Typ, deshalb hat die Fatwa mich schlimm getroffen.Es gibt Schriftsteller, die von Natur aus ein viel privateres Leben führen.Ich brauche viel Zeit, in der ich mich zurückziehe, aber dann will ich ausgehen.Garcia Márquez sagte einmal: "Ein Schriftsteller sollte tagsüber im Kloster leben und nachts im Bordell." Ich fürchte, mir ist das Bordell verlorengegangen.

TAGESSPIEGEL: Haben Sie einen festen Stundenplan?

RUSHDIE: Ich habe nicht die Disziplin eines Thomas Mann, aber ich kann mich trotzdem ganz gut am Riemen reißen.Die einzige Freiheit, die ich mir nehme, ist, nicht allzufrüh anzufangen.Was ich früh morgens schreibe, schmeiße ich hinterher immer weg.Wieviel ich arbeite, hängt vor allem damit zusammen, in welchem Stadium der Roman sich befindet.In frühen Stadien geht es sehr langsam voran.Jeder Schriftsteller wird sagen, daß es das Schwierigste ist, aus nichts etwas zu machen.In diesem Stadium bin ich nach drei Stunden Arbeit manchmal schon total erschöpft.Sobald etwas auf dem Papier steht, verändert sich der Arbeitsprozeß grundlegend.Später, wenn es ans Umschreiben und Verbessern geht, arbeite ich länger.Im Endstadium arbeite ich dann wie ein Verrückter, Tag und Nacht, und will kein gesellschaftliches Leben.Ich arbeite, manchmal sechzehn Stunden am Tag, falle ins Bett und stehe am Morgen wieder zum Arbeiten auf.Dann gehe ich sogar oft gleich im Pyjama an den Schreibtisch.

TAGESSPIEGEL: Nehmen Sie sich täglich ein bestimmtes Schreibpensum vor?

RUSHDIE: Ja, ich betreibe das Schreiben wie eine Art Angestellter.Ich fange so um zehn, halb elf an, und dann arbeite ich, ohne Mittagspause.In der Anfangsphase bin ich schon zufrieden, wenn ich 500 Wörter pro Tag schaffe.Es gibt einen Unterschied zwischen Romanciers und anderen Schriftstellern.Wenn ich mit Stückeschreibern spreche, erklären sie mir immer wieder, daß sie eine Weile über ein Stück nachdenken und es dann in zwei, drei Wochen niederschreiben.Noel Coward hat das manchmal sogar an einem Wochenende geschafft.Vermutlich müssen Dramen auf diese Weise geschrieben werden.Romane funktionieren anders: Wenn man nicht jeden Tag ein Stück schreibt, schafft man es nie.

TAGESSPIEGEL: Überraschen Sie die Wendungen, die Ihre Geschichten nehmen?

RUSHDIE: Immer wieder.Im Exposé zu meinem neuen Buch waren zum Beispiel Vina und Ormus, die beiden Liebenden, schon da, aber der Erzähler, die dritte Hauptfigur, fehlte.Schließlich wurde dieser erzählende Fotograf praktisch die wichtigste Figur.

TAGESSPIEGEL: Wie hat die Notwendigkeit, Ihren Aufenthaltsort zu wechseln, Ihr Schreiben beeinflußt?

RUSHDIE: Es hat mich gezwungen, einen Laptop zu benutzen.Früher hatte ich überall Stöße von Papier herumliegen, mit denen ich schlecht umziehen konnte.

TAGESSPIEGEL: Sie haben "Die satanischen Verse" noch auf einer Schreibmaschine geschrieben?

RUSHDIE: Ja.

TAGESSPIEGEL: Wieviel Lektoratsarbeit steckt im fertigen Buch?

RUSHDIE: Nicht viel.In diesem Buch gab es einen Punkt, wo die Chronologie ein wenig verknotet war, da habe ich nachgebessert.Manchmal helfen Lektoren auch durch das, was sie nicht sagen: Wenn ich glaube, daß ein Text irgendetwas transportiert und die Lektoren reagieren nicht darauf, dann merke ich, daß ich etwas ändern muß.

TAGESSPIEGEL: Lassen Sie auch zu, daß Lektoren Ihre Texte ändern?

RUSHDIE: Gute Lektoren sagen einem, daß etwas nicht stimmt, aber sie sagen nicht, wie es geht.

TAGESSPIEGEL: Lektoren sind für Sie also wie Psychoanalytiker?

RUSHDIE: Nur billiger.

TAGESSPIEGEL: Fällt Ihnen das Schreiben leicht?

RUSHDIE: Ja, aber das ist nicht immer gut.Die Tatsache, daß etwas auf die Seite fließt, bedeutet nicht, daß es auch gut ist.Es kann oberflächlich sein.Ich habe gelernt, meiner eigenen Anstrengungslosigkeit zu mißtrauen.

TAGESSPIEGEL: Lesen Sie andere Bücher, während Sie selbst eines scheiben?

RUSHDIE: Keine Romane.Das könnte ansteckend sein.Die größten Schriftsteller haben eine sehr persönliche Art zu schreiben, und wenn man sich in ihren Büchern verliert, kann es passieren, daß man Sätze schreibt, die eigentlich in das Buch eines anderen gehören.Ich lese jedoch viel Lyrik.Der Epigraph meines Buches stammt von Rilke, und natürlich haben mich die Orpheus-Gedichte von Rilke inspiriert.

TAGESSPIEGEL: Überarbeiten Sie viel?

RUSHDIE: Der Ausschuß ist vielleicht zehnmal so groß wie das, was ich letztlich verwende.Ich war ziemlich überrascht, als meine Kollegin Arundhati Roy mir erklärte, daß sie ihre Texte nie überarbeitet.Sobald sie einen Satz geschrieben habe, könnte sie ihn unter keinen Umständen verändern.Das ist, als würde ich sagen: Ich schreibe nicht.Wow, dachte ich, welch ein Glück! Das hätte sie mal Gustave Flaubert erzählen sollen.

TAGESSPIEGEL: Haben Sie sich von Anfang an als politischer Schriftsteller empfunden, oder ist Ihnen diese Rolle durch den Konflikt mit dem iranischen Regime erst zugewachsen?

RUSHDIE: Ich war immer ein Schriftsteller, der sich für die Sphäre des Politischen interessiert.Aber erst heute, wo Politik so ungeheuer auf die private Existenz durchschlägt, erkenne ich, daß es sehr schwer ist, Geschichten zu erzählen, die nicht den größeren Zusammenhang im Auge haben.Die alte Meinung von Heraklit, daß der Charakter eines Menschen sein Schicksal sei - also die Grundlage des Romans -, das stimmt heute so nicht mehr.Wenn dir eine Bombe auf den Kopf fällt, fragt sie nicht, wie du dein Leben zugebracht hast.Wenn ein Börsenspekulant die Wirtschaft deines Landes zusammenbrechen läßt, hat das nichts damit zu tun, ob du gut warst oder böse.

TAGESSPIEGEL: Ihr politisches Engagement hat also nichts mit der Fatwa zu tun?

RUSHDIE: Nein, im Gegenteil, ich bin weniger politisch geworden als ich es war."Mitternachtskinder" ist politisch in dem Sinne, daß es mit der Gesellschaft Bangladeschs und dem Ausnahmezustand zu tun hat."Scham und Schande" ist ein recht politisches Buch."Die satanischen Verse" sind mein unpolitischster Roman.Ich dachte wirklich, daß ich über Migration und innere Dinge schreibe.Allerdings bin ich in der Tradition des politisch engagierten Schriftstellers aufgewachsen, von Poeten in Indien wurde immer erwartet, daß sie sich zu politischen Dingen äußern.Allerdings außerhalb des schriftstellerischen Werks.

TAGESSPIEGEL: Sie haben in den vergangenen Wochen Hunderte von Interviews zu gegeben.Ihre Tournee durch Europa geht noch zwei Monate weiter.

RUSHDIE: Es macht mich krank, monatelang nicht zum Schreiben zu kommen.In gewisser Weise aber machen mir die Interviews nichts aus, es ist immer noch recht neu für mich, über das Buch zu sprechen.Wie ich ihnen sagte, rede ich während des Schreibens mit niemandem.Aber die Zeit des Schreibens ist jetzt leider erstmal vorbei.Zur Zeit gebe ich nur Autogramme.Aber solange es mir nicht wie dem britischen Politiker Edward Heath ergeht, will ich nicht klagen.Er signierte so viele Exemplare seines Buches, so daß die Buchhandlung Blackwells in Oxford schließlich groß im Schaufenster mit folgendem Slogan für sein Buch warb: Garantiert unsignierte Exemplare.

TAGESSPIEGEL: Ihr Ideal sieht also doch anders aus?

RUSHDIE: Es gab mal eine Zeit, da waren Bücher berühmt, nicht Autoren.Ich bin noch immer fasziniert beispielsweise vom 18.Jahrhundert.Wenn Sie sich die Titelseite von "Robinson Crusoe" von Daniel Defoe ansehen, dann steht der Autorenname dort nicht.Das ist ideal.Das Buch müßte sich selbst bekannt machen.Das ist heute aber nicht möglich.Günter Grass hat mir mal erzählt, daß Günter und Grass zwei verschiedene Personen sind.Ich fühle genauso.Sie sprechen gerade mit Rushdie.Salman ist zu Hause geblieben.

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