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Worldtronic: Traumpfad nach Istanbul

Wie sich Folklore im digitalen Zeitalter vernetzt: "Worldtronic" im Haus der Kulturen der Welt. Die Erkenntnis: Je nationaler Musik ist, desto mehr gehört sie allen.

Am Ende packt der Feldforscher die Mikrofone zurück in die Koffer. Man sah Alexander Hacke mit Roma-Musikern Raki trinken, mit der Dub-Band Baba Zula auf einem Schiff auf dem Bosporus jammen und in der Audienz mit Popdiva Sezen Aksu. „Ich konnte die Magie dieser Stadt nicht entschlüsseln“, zieht der Einstürzende-Neubauten-Bassist Bilanz. „Aber eins ist sicher: Ich habe mich in ihre Musik verliebt.“ 2005 war das, als Regisseur Fatih Akin in „Crossing The Bridge“ den Berliner auf seinen Erkundungen in Istanbuls Musikszenen verfolgte. Die Liebe blieb, Hacke kam wieder. Und wieder.

Morgen eröffnet im Haus der Kulturen der Welt das Worldtronics Festival, das den globalen Vernetzungen lokaler Musikkulturen nachgeht. Der zweite Tag gilt den Klängen vom Bosporus, Alexander Hacke ist Gastkurator. In Kooperation mit dem bis Donnerstag ebenfalls stattfindenden Festival Kreuztanbul stellt der Bassist der Einstürzenden Neubauten seine jüngsten Entdeckungen vor: Metal, Dark Wave, tanzende Derwische.

In seinem dritten Jahr unternimmt Worldtronics erneut einen schwindelerregenden Flug um die Welt: Morgen eröffnet die Gruppe „The Lappetites“ mit einer Multimedia-Oper, die in Zusammenarbeit über das Internet entstand. Der Freitag gilt Elektropop aus Ostasien. Am Samstag beschließen Protagonisten der elektronischen Cumbia-Musik aus Lateinamerika diese Festwoche der musikalischen Internationale.

Wie passt das alles zusammen? Wer soll das alles hören und verstehen? Schwer genug, sich im Konzertangebot der Hauptstadt zurechtzufinden. Sind hier nicht jeden Tag die Kulturen der Welt zu Hause, zumal sie längst elektronisch miteinander vernetzt sind? „Ja“, sagt Programmchef Detlef Diederichsen. „Man ist hier sicher verwöhnt. Trotzdem rutschen viele Dinge durch’s Raster.“ Ein Club gestaltet sein Programm nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten: Wer ist gerade auf Tour? Was gefällt dem Stammpublikum? Worldtronics hat kein Stammpublikum, dafür Steuermittel. So kann Diederichsen verschiedenste Vertreter einer Stilrichtung einfliegen und mit Konzerten und Diskussionen deren Geschichte und Verbreitung nachzeichnen.

Nach dem Glauben der Aborigines wurde die Welt ins Dasein gesungen. Lieder, von Generation zu Generation weitergegeben, verknüpfen sich zu einer mythischen Landkarte Australiens. In seinem Buch „Traumpfade“ begab sich Bruce Chatwin auf die Spuren dieser Songlines. Hacke und Diederichsen, Wandler auf Traumpfaden? Obwohl Chatwins melancholische Zivilisationskritik einem Festival wie Worldtronics fernliegt, entstehen Kartographien geteilter Erfahrungsräume, die sich von ethnischen, sozialen und staatlichen Grenzen lösen.

Wie im Fall von Cumbia, einem Tanz, den Sklaven von Guinea nach Kolumbien brachten, wo er mit spanischen Melodien verwuchs und sich über ganz Lateinamerika ausbreitete. In Mexiko prägte Cumbia Rapera den Hip-Hop, in Buenos Aires wird er von Gruppen wie Tremor mit Techno, Dubstep und indianischer Percussion gekreuzt. Das Wuchern sorgt für ständige Erneuerung.

Alexander Hacke hat in Istanbul das verlorene Paradies entdeckt, sagt er am Telefon. Zwanzig Millionen Menschen aus verschiedensten Kulturen, und ein Gemeinschaftsgefühl, das den Musiker an Berlin in den Achtzigern erinnert. „Es gibt eine kreative Reibung, die Stimmung in der Stadt ist extrem sanft und freundlich“, schwärmt er. „Mir ist nie irgendeine Form von latenter Aggression aufgefallen, wie man sie hier viel zu oft mitkriegt.“ Musik habe einen ganz anderen Stellenwert, Musiker unterschiedlichster Genres unterstützten sich und verwiesen aufeinander. Im Westen, vor allem im Musikbusiness, sei hingegen eine unglaubliche Konkurrenz entstanden. „Das Überleben ist hart geworden.“

Es mehren sich die Stimmen, die in Istanbul, der europäischen Kulturhauptstadt 2010, die nächste internationale Feiermetropole sehen. „Es passiert von Zeit zu Zeit, dass für eine Stadt ein Fenster aufgeht“, sagt auch Hacke. „In den Achtzigern und Neunzigern war das Berlin. Jetzt hat sich, glaube ich, für Istanbul das Fenster aufgetan.“

Für den Kreuztanbul-Abend wünscht sich Hacke vor allem, dass es gelingt, ein junges türkisches Publikum zu begeistern. Es sind harte Klänge, die Hacke mitgebracht hat. Nekropsi sprechen und stöhnen über progressive Metalriffs, gerne auch mal auf Deutsch: „Die neue Papa ist deutsch / er ist sogar bayrisch / Papa hat gesagt / dass er ein Panzer ist“. Exotismus mal umgekehrt.

Wie international Istanbuls Szene agiert, zeigt das Beispiel des Noise-Künstlers Batur Sönmez. Zu Hause ein Einzelkämpfer, widmet er sich einem weitgehend ausgemessenen Genre: Lärmcollagen aus Störgeräuschen und Feldaufnahmen, der monochromen Malerei verwandt. Hackes Sympathie ist verständlich. Gerade die Einstürzenden Neubauten gelten als geistige Eltern der Noise- Szene. Die trifft sich noch immer weltweit, dank Sönmez auch in Istanbul.

Die Fixierung auf elektronische Musik hat man bei Worldtronics von Anfang an recht locker gesehen. Diederichsen geht es nicht um technische Kriterien, sondern um kuratorische Positionen mit eigener Handschrift. Doch frei von Tücken ist das nicht. Wie sich fremden Szenen nähern, ohne in die Exotikfalle zu tappen? Nehmen wir das ostasiatische Elektropop-Revival: Während in Europa die alten Posen von Depeche Mode und Human League mit Bands wie La Roux in einem enthemmten Popzirkus aufgehen, stellt sich das Schanghaier Duo IGO in Maßanzügen starr hinter die Synthesizer und singt schmachtend-entrückte Melodien über treibenden Kraftwerk-Rhythmen. Klar, dass das hier gut kommt. Aber liegt das nicht vielleicht daran, dass der Rekurs auf längst Vergangenes nur deshalb goutiert wird, weil er nur dem Exoten zugestanden wird? Teilen Publikum und Band dasselbe Verständnis für Authentizität und Parodie?

„Es kommt darauf an, die Sache nicht so verbissen zu sehen“, findet Alexander Hacke. Es sei wichtig, dass man als Musiker zwar die Arbeit ausgesprochen ernst nehme, sich selbst aber nicht. „Wären bestimmte Entscheidungen unsere Frisuren betreffend in den Achtzigern nicht so ernst gewesen, müsste wir heute nicht so drüber lachen.“

Dass Haltungen und Stile immer mehr ins Fließen geraten, ist nicht zuletzt dem Internet zu verdanken. Es macht alle möglichen Klänge zugänglich und begünstigt gegenseitiges Samplen, Remixen und Zitieren. Es ermöglicht mehr Flexibilität beim Produzieren, wie im Fall von The Lappetites. Doch der Gewinn birgt auch eine Gefahr, meint Diederichsen: die der Beliebigkeit. „Jede Musik hat tausend Subtexte, die übersehen werden, wenn man sich einfach der peppigsten Dinge bedient.“ Hacke sagt es so: „Das Internet ist großartig, um Konzerte vorzubereiten. Doch interessant ist, was passiert, wenn unterschiedliche Menschen in einem Raum zusammen musizieren oder tanzen. Da entsteht die Energie.“

Der westlichen Vorstellung von orientalischer Musik kommt am Kreuztanbul-Abend ironischerweise die Kanadierin Brenna McCrimmon am nächsten. Sie hat zeitweise in Istanbul gelebt, sich türkische Traditionen angeeignet und versieht sie mit psychedelischen Elementen. Alexander Hacke wird ihr akustisches Set mit elektronischen Klängen anreichern. Schön: Eine Frau aus Ontario und ein Neuköllner verbinden sich über türkische Musik. „Je mehr Musik mit ethnischen Stereotypen versehen wird“, sagt Hacke, „desto mehr lässt sie verstehen, dass sie uns allen gehört.“

Worldtronics, Haus der Kulturen der Welt, 25.-28.11., Alexander Hackes Kreuztambul am 26.11. Infos unter www.hkw.de

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