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Kultur: Wortschraubereien

Der Stückemarkt des Berliner Theatertreffens prämiert die Nachwuchskünstler.

Der Titel klingt vielversprechend. „Warum politisches Schreiben eine vollkommen idiotische Zeitverschwendung ist“, hat der Dramatiker Dennis Kelly das Impulsreferat überschrieben, das er zur Eröffnung des diesjährigen Stückemarkts hält. Dazu würden einem ja auch zwei, drei Stichworte einfallen. Kelly ist per Skype aus London zugeschaltet, er schlägt auf mit britischer Selbstironie. Erzählt, wie er sich mit seinen ersten Stücken als wortgewaltiger Weltverbesserer imaginierte, der von der Bühne aus Bush und Blair quasi im Alleingang stürzt. Und wie er dann lernen musste, seine Erwartungen der Realität anzupassen.

Kelly sagt sehr oft „fuck“ und „shit“ und bezeichnet den britischen Premierminister David Cameron als „cunt“ (das schlagen Sie bitte selbst nach). Das wäre ja noch verzeihlich, aber dann driftet der juvenile Spaß in einen Exkurs über den Autor ab, der nach der „Wahrheit tasten“ sollte. Und über Jungdramatiker, die bloß noch ihre Karriere im Kopf haben. Moralinsaure Drops, verpackt in „fuck“-Folie. Stückemarkt 2012, das kann ja heiter werden.

Fünf europäische Stücke hat die Jury unter 325 Einreichungen aus 31 Ländern ausgewählt. „Nicht alles ist eine Gebirgslandschaft mit Gipfeln, nicht alles eine Börsenindexkurve mit vertikalen Höhepunkten“, schreibt im Vorwort der Stückemarkt-Broschüre Juror Ewald Palmetshofer so schön – er selbst ist ein gefeierter Gegenwartsdramatiker („Hamlet ist tot. Keine Schwerkraft“). Dann feiert er die „Vielheit“, die sich in der diesjährigen Auswahl abbilde. „Vielheit“ klingt definitiv besser als „verkopftes Zeug aus der Schreibschule ohne Lebenserfahrung“. So ungefähr ließen sich die Stückemärkte der letzten Jahre ja bilanzieren, nicht nur in Berlin.

Wolfram Höll, Jahrgang 1986, kommt mit Rückenwind in die Hauptstadt. Er hat gerade in Heidelberg den Nachwuchspreis gewonnen. Sein Stück heißt „und dann“ und ist in blässlicher Schreibmaschinen-Typografie verfasst. Es erzählt von Plattenbauten und einem Kind, das sich an das Erinnern erinnert. Dazu reiht Höll Wörter wie „Würfelmittausendstimmendrin“ und was sonst noch nach einer Überdosis Handke klingt. Kulturradiomaterial, Nachtprogramm. Konsequenterweise mit dem Preis „Theatertext als Hörspiel“ bedacht.

In dieser Kategorie hätte auch „Jonas Jagow“ von Michel Decar einen Platz verdient. Obwohl der Text wenigstens etwas Spaß macht. Der junge Augsburger, 1987 geboren, entwirft eine wüste, wild wuchernde, vor literarischen Zitaten überschießende Anarcho-Fantasie über die Notwendigkeit der Zerstörung. Das im Brecht-Gedenken „Fragment“ getaufte Stück fabuliert im Gestus der smarten Selbstbespiegelung über den Untergang Berlins und enthält lauter schöne Sätze: „Wenn noch mal irgendwer das Wort GRÜN in den Mund nimmt, dann schlagt ihn tot mit großen Blechschaufeln.“ Warum „Jonas Jagow“ allerdings ausgerechnet im Theater vorgetragen werden soll, steht auf einem anderen Blatt. Macht nichts, für Decar gab es den mit 5000 Euro dotierten „Förderpreis neue Dramatik“.

Irgendwen muss man ja prämieren. Und die beiden eingeladenen polnischen Autorinnen drängten sich auch nicht gerade auf. Weder Julia Holewinska, die in „Fremde Köper“ die Transformation vom Kommunismus zum Kapitalismus als verrätseltes Gender-Drama von Adam und Eva erzählt. Noch Magdalena Fertacz, die in „Kalibans Tod“ mit dem Holzhammer auf neokolonialistische Attitüden und Ausbeutungstendenzen in der Kunstproduktion einschlägt. Etwas weniger kritikselig, wenn schon nicht kunstfertiger, geht die Britin Pamela Carter vor, die in „Skane“ eine Seitensprung-Geschichte von hinten aufrollt. Die Belohnung: der Werkauftrag des Stückemarkts, der nicht mehr von Yvonne Büdenhölzer, sondern von Christina Zintl geleitet wird.

Zum Schluss gab es, was für ein Glück, noch ein echtes Novum. Erstmals war in diesem Jahr auch ein Kollektiv eingeladen, um im sogenannten Projektlabor unter Mentor René Pollesch eine Performance zu entwickeln. Das Duo Markus & Markus aus Hildesheim hat mit seinem Format Polis 3000 schon für Furore gesorgt, unter anderem, indem es die Verleihung der Ehrendoktorwürde an das wandelnde Wirtschaftswunder Carsten Maschmeyer ins Visier nahm.

In der Projektpräsentation „Polis 3000: respondemus“ spielen die beiden jetzt Außerirdische, denen die Kulturgüter in die Hände fallen, die die Menschheit zum Zweck der Selbstdarstellung ins All geschossen hat. Die Performance ist klug, konfrontativ und komplett unfertig, was nach all den Wortschraubereien wie eine Wohltat wirkt. Einmal holen sich Markus & Markus einen Grillrunner auf die Bühne, der stumm und verloren mit seinen Bratwürsten unter einer Laterne steht. Kann man die Gegenwart sinnfälliger ins Bild bannen? Ein vertikaler Höhepunkt des Theatertreffens. Patrick Wildermann

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