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Kultur: Wovor habt ihr eigentlich Angst?

Der Amerikaner Eric T. Hansen hat ein Buch über die Deutschen geschrieben. Ein Gespräch über Patriotismus und Hawaii-Toast

Mister Hansen, vor einiger Zeit brachte das amerikanische Magazin „Time“ eine Titelgeschichte über berühmte Bürgermeister. Auch Klaus Wowereit war darunter. Wie erklären Sie Ihrer erzkonservativen Mormonenfamilie in den USA, dass Sie von einem schwulen Stadtoberhaupt regiert werden?

Das wissen die nicht. Es herrscht große Unkenntnis über Deutschland bei mir zu Hause in Hawaii. Meine Familie glaubt, dass vor allem Osteuropa, und da zählen sie die ehemalige DDR hinzu, für Amerikaner gefährlich ist. Sie fürchten, dass die Kommunisten sich festsetzen und den ganzen schönen wirtschaftlichen Wiederaufbau kaputt machen könnten. Und in Berlin sitzen die Kommunisten ja sogar in der Regierung.

Ist Deutschland ein Land, vor dem man Angst haben muss?

Die Deutschen haben doch selbst am meisten Angst. Man fühlt sich hier ständig bedroht vom Verlust der Seele, der Identität und glaubt, zu kurz zu kommen. Ich habe das lange ernst genommen als jemand, der 1983 nach Deutschland kam und seither hier lebt. Die Selbstkritik und Nörgelei fand ich sogar schick. Aber dann fragte ich mich: Wovor habt ihr eigentlich Angst? Alle Welt achtet euch. Deutschland zählt zu den fünf reichsten und wirtschaftlich mächtigsten Ländern der Welt. Ihr könnt tun, wonach euch der Sinn steht und müsst euch nicht wie eingewanderte Mexikaner fühlen, die über Obstplantagen gescheucht werden. Und ich verstand, die diffuse Angst der Deutschen ist Koketterie. Man liebt das Gefühl, Opfer oder bedroht zu sein. Entweder, weil das dramatischer ist, oder weil Underdogs besser dastehen als der Wirtschaftsbonze in seiner Luxuslimousine, obwohl die Deutschen genau das sind.

Verbirgt sich dahinter eine Geisteshaltung?

Es ist ein Spiel, das die Deutschen nicht hindert, das Gegenteil von dem zu tun, was sie von sich selber halten. Ein oft geäußerte Frage lautet: Warum haben wir kein Selbstbewusstsein? Dabei strotzt das Land nur so davor. Es gibt doppelt so viele Filialen deutscher Firmen in Amerika wie umgekehrt. Trotzdem heißt es, McDonald’s gebe es bald an jeder Ecke. Was nicht stimmt, jedenfalls nicht in Schöneberg, wo ich wohne. Zum nächsten Burger King komme ich an 41 Ecken vorbei und hätte mich unterwegs 33-mal türkisch, 29-mal deutsch, achtmal asiatisch, fünfmal italienisch, zweimal griechisch und einmal persisch ernähren können. Abgesehen davon, dass die Fastfoodkultur hierzulande über hundert Jahre alt ist, führte die deutsche Wirtschaft 2004 Waren im Wert von 65 Milliarden Euro nach Amerika aus, ein Drittel mehr, als in Gegenrichtung eingeführt wurde. Mangel an Selbstbewusstsein? Die Schwarzmalerei ist ein Spiel, dessen Vorteil ist, dass den Deutschen aus ihm keine Nachteile erwachsen.

Verstehen wir Sie richtig, dass die Deutschen ein Völkchen sind, dessen Art, sich selbst zu betrachten, überhaupt nicht mit dem übereinstimmt, was andere von ihm halten?

Ja. Aber das ist nicht ungewöhnlich. Selbst den Amerikanern geht es so. Wir werden von einem starken kulturellen Minderwertigkeitskomplex getrieben. Das kommt aus der Kolonialzeit, als Amerika nichts weiter war als ein paar Holzhütten im Matsch. Aber bis heute hält die Fixierung auf Europa als einer Wiege der Kultur in den USA an. Wir schätzen an uns selbst nicht, dass wir eine der am höchsten entwickelten modernen Massenkulturen haben. Wir sagen selbst, dass Disneyland nichts bedeutet. Um wirkliche Kultur zu erleben, glauben Amerikaner in Deutschland in die Oper gehen zu müssen.

Sehen Sie darin ein Zeichen von Unreife?

Nein, wir reden über neurotische Phänomene. Denn natürlich ist auch Deutschland „erwachsen“. Es hat alles, was es will: einen Sozialstaat, in dem es allen mehr oder weniger gut geht; eine stabile Demokratie; eine Rede- und Denkfreiheit, die so fortschrittlich ist wie fast nirgendwo sonst auf der Welt. Da wirkt die Unzufriedenheit wie ein Schutzschild. So zu tun, als habe man ständig Anlass, mit sich selbst zu hadern, bewirkt, dass andere nicht so viel von einem erwarten. Die Amerikaner erwarten sehr viel von den Franzosen, denen wir 1944 aus der Scheiße geholfen haben. Aber sie haben es nie nötig gehabt, wenigstens so zu tun, als wollten sie uns beistehen. Niemand erwartet etwas von den Deutschen. Die Nörgelei dient den deutschen Interessen.

Pessimismus als Methode. Er führt dazu, dass die Deutschen keine Idee von sich selbst entwerfen müssen, weil sie die Zukunft ohnehin nicht mehr erleben.

Wir Amerikaner verhalten uns genau andersherum. Sobald ein Problem wie mit Saddam Hussein auftaucht, mobilisieren wir unseren ganzen Pragmatismus, um es so schnell wie möglich zu lösen. Die Deutschen nicht, und das schützt sie davor, einen grauenhaften Fehler zu machen. Mich ärgert zwar immer, wenn Deutsche so tun, als hätten sie die Weisheit mit Löffeln gefressen. Aber sie wissen genau, dass das nicht der Fall ist, weshalb sie sich ständig daran hindern, es zu übertreiben. Der Preis dafür ist, dass sie oft die Kraft nicht aufbringen, mögliche Innovationen durchzuführen.

Das Land wird regelmäßig von grundsätzlichen Debatten heimgesucht. Was war Ihre Lieblingsdiskussion?

Ich habe die Panikmache um das Aussterben sehr genossen, die „Demografie-Debatte“. Wenn 2050 die Bevölkerungszahl auf den Stand von 1965 geschrumpft sein sollte, wird Deutschland wie 1965 immer noch eine der führenden Industrienationen sein. Genau wie zu Bismarcks Zeiten, da gab es nur 40 Millionen, und es war ein reiches Land. Denen, die es erleben werden, geht es also verdammt gut, und die, die nicht geboren werden, können sich nicht beschweren. Ich weiß nicht, worin das Problem besteht. Hochrechnungen in Deutschland scheinen von manisch Depressiven gemacht zu werden. Und die Altersdebatte ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich das deutsche Volk die Zukunft, die es zweifellos haben wird, lieber als Apokalypse vorstellt.

Erschreckt Sie die Bedeutung, die der deutsche Staat als Autorität für das Gemeinwesen hat?

Zuerst fand ich das befremdlich. Man sagte mir, dass ich meinen Pass immer bei mir tragen müsse. Aus Protest habe ich das nie gemacht. Worauf mich prompt nie ein Polizist nach meinem Ausweis gefragt hat. Die Idee, dass die Dinge von ganz oben gelenkt werden, sitzt tief. 68 Prozent aller Deutschen glauben, dass Erfolg im Leben von Dingen abhängt, auf die sie keinen Einfluss haben. Selbst in meinem intimsten Freundeskreis beobachte ich eine Passivität bei Dingen, die man nicht tun darf oder zu denen man zugelassen sein muss. So brauchten meine erste Frau und ich, als wir Studenten waren, Geld. Es gab eine Ausschreibung für eine Stelle als Sekretärin. Sie sagte, sie sei keine ausgebildete Sekretärin, sie könne sich da nicht bewerben. Aber ich sagte: Du sagst, dass du tippen kannst, und wenn du die Stelle kriegst, kaufst du dir ein Buch übers Tippen, setzt dich am Wochenende hin und lernst zu tippen. Sie: Nein, das kann man nicht, das darf man nicht, das geht nicht. Sie kriegte die Stelle.

Die Deutschen befinden sich in letzter Zeit in einem auffälligen Selbstfindungsprozess. Dazu gehört, dass in populären Fernsehsendungen die „größten Deutschen“ gesucht werden. Haben Sie eine Lieblingsfigur aus der deutschen Geschichte?

Wolfram von Eschenbach. Er war total verkopft und unglaublich beleidigend, gesegnet mit einem umwerfenden Humor. In einer Welt, in der militärische Adelstitel und Geburt über den gesellschaftlichen Rang entschieden, inszenierte und erschaffte er sich vollkommen neu. Und er war kokett, machte sich selbst klein und dadurch groß. Um 1200 war es nicht üblich, auch nur den eigenen Namen unter ein Gedicht zu setzen. Er tat mehr als das. Er legte seine ganze Persönlichkeit hinein und sagte: Ich bin der Größte.

Wenn man als Hawaiianer das erste Mal nach Deutschland kommt und hier auf den „Hawaii-Toast“ stößt, fährt man da nicht sofort wieder heim?

Ich hatte mal eine Freundin in München, nichts ernstes, die hatte bisweilen merkwürdige Anwandlungen. Irgendwann sagte sie, komisch, ich muss immer wieder einen Toast Hawaii bestellen. Da wusste ich, dass sie es ernst meint. Bald darauf ging die Beziehung in die Brüche. Das Ding ist ja auch zu beleidigend. Ich hatte Hawaii verlassen, weil ich keine Lust mehr auf die ganze kulturlose Surferbande hatte, aber kochen können sie da wirklich gut. Diese Verbindung von Ananas und Käse würde niemand wagen.

– Das Gespräch führten Moritz Schuller und Kai Müller.

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