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Die amerikanische Schriftstellerin Lily King, 57.

© Winky Lewis/C.H. Beck Verlag

"Writers & Lovers" von Lily King: Schreiben ist ein ewiger Kampf

Der Glaube, wirklich etwas sagen zu müssen: Lily Kings Künstlerinnenroman „Writers & Lovers“.

Es gibt Sätze, die wie ein Tritt in die Magengrube sind. „Ich staune nur immer wieder, dass du glaubst, du hättest etwas zu sagen“, ist so ein Satz. Casey Peabody, Anfang 30, die Schriftstellerin werden möchte, muss sich das von ihrem Vermieter, einem arroganten Gutverdiener, sagen lassen. Der Satz verunsichert die junge Frau zutiefst.

Aber ihr Roman ist der Strohhalm, an dem sie sich festhält, wenn andere ihr dumm kommen oder das Leben ihr wieder mal ein Bein stellt. Deshalb schreibt sie immer weiter – ohne zu wissen, ob ihr Buch jemals veröffentlicht wird.

Der Titel von Lily Kings neuem Roman (aus dem Englischen von Sabine Roth. C.H. Beck, München 2020.319 Seiten, 24 €) lautet „Writers & Lovers“ (auch im englischen Original) und ist ein wenig irreführend, denn er suggeriert eine Leichtigkeit, die der Plot mitnichten einlöst. Casey, die Ich-Erzählerin, kämpft nicht nur heftig mit dem Schreiben, sondern auch mit der Liebe, so dass sie psychisch und körperlich fast zusammenbricht.

Die Arbeit an ihrem Roman ist für sie ein geistiger Marathonlauf, ihre Männergeschichten wirken, als habe sie bei fast jeder Begegnung ein Match zu bestreiten, bei dem man nur gewinnen oder verlieren kann. Alles oder nichts. Erfolg oder Scheitern.

King vermisste in ihrer Jugend Bücher über schreibende Frauen

Der Roman der 1963 geborenen Amerikanerin, der Ende der neunziger Jahre spielt, trägt deutlich autobiografische Züge. In einem Artikel hat Lily King einmal eine ungewöhnliche Neigung bekannt, von der sie als angehende Autorin nicht lassen konnte: Sie las insbesondere Bücher von männlichen jungen Autoren, die mit dem Schreiben rangen.

Zum Beispiel James Joyce mit seinem „Porträt des Künstlers als junger Mann“. Was Lily King vermisste, waren Bücher über Frauen, die sich mit dem Schreiben abmühten. So wie sie selbst es damals tat.

Genau dieses Buch hat Lily King jetzt dreißig Jahre später geschrieben, vielleicht auch, weil sie 2014 mit ihrem Roman „Euphoria“ auf den Bestsellerlisten gelandet war. Als erfolgreiche Schriftstellerin schreibt es sich schon etwas entspannt-distanzierter über eine von Zweifeln heimgesuchte Debütantin.

King führt in „Writers & Lovers“ schonungslos die psychischen Abstürze und Panikattacken ihrer Hauptfigur vor, von Herzrasen bis zu Todesängsten. Und findet dafür eindrucksvolle Bilder, wenn etwa die bange Casey das Gefühl hat, in ihrer Brust würden Bienen summen. Der Bienenschwarm sucht sie stets dann heim, wenn das Leben ihr noch mal eine Extraportion Unglück mitgibt.

„Ich verbiete mir strikt, schon am Morgen an Geld zu denken.“ So lautet der erste Satz des Romans, in dem Geld eine große Rolle spielt, weil immer zu wenig davon da ist. Casey, die aus dem Studium einen Berg Schulden aufgehäuft hat, führt eine prekäre Existenz ohne Krankenversicherung.

Sie wohnt in einem ehemaligen Gartenschuppen in Boston, schläft wenig, jobbt als Kellnerin und ringt sich mühsam die Stunden zum Schreiben ab. Ihr Freund Luke hat sie verlassen, ihre Mutter ist vor Kurzem gestorben, und die Trauer überfällt Casey immer wieder. Bleiben zwei Liebhaber, zwischen denen sie sich nicht entscheiden kann: Oscar, Witwer und Vater von zwei kleinen Söhnen, ist ein erfolgreicher Autor; Silas, jung und, anziehend, möchte ebenfalls Schriftsteller werden.

Kann das Leben nicht spannender gestaltet werden als mit Büchern?

Casey aber ringt nicht nur mit ihrem aktuellen Gefühlschaos, sondern auch mit der Vergangenheit. Ihr Vater war Lehrer an einer Highschool, die auch Casey besuchte. Eines Tages entdeckt die Tochter, dass ihr Vater Löcher in die Wand einer Abstellkammer gebohrt hat, was ihm Einblicke in die Mädchenumkleide verschaffte.

Womöglich hat er sogar die eigene Tochter ausspioniert. Die Gefühle von Wut und Ekel lassen Casey nicht mehr los. Auch die Beziehung zur Mutter ist ambivalent: Diese hatte die Familie für eine Zeit lang verlassen, um mit einem Folksänger durchzubrennen. Trotzdem liebt Casey ihre Mutter, eine vitale Frau, die gern reist, gegen Vietnam und Atomkraft demonstriert und genau den Lebensoptimismus besitzt, den Casey, die ewige Zweiflerin, gern hätte.

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Verlust, Verletzung, Desillusionierung: Es sind viele emotionale Dramen, die Lily King in ihrem Künstlerroman auffährt. Kann das gut gehen? Ja, das geht, weil sie es immer wieder schafft, die Lebenstragödien humorvoll zu brechen und ihnen so die Schärfe zu nehmen.

In „Euphoria“ hat Lily King Ethnologen porträtiert, die in den dreißiger Jahren in Neuguinea Feldforschung betreiben. „Writers & Lovers“ ist voll von Schriftstellern und Möchtegern-Schreibern. Wenn man so will, betätigt sich King hier ebenfalls als Forscherin – auf dem Feld der Literatur und des Literaturbetriebs.

„Writers & Lovers“ ist im Ton oft lapidar und durchwoben von feiner Ironie, hervorragend übersetzt von Sabine Roth. Kings Figur besteht aus vielerlei Ängsten und Enttäuschungen. Trotzdem hält sie an ihren Träumen fest. Damit ist diese Antiheldin auch eine Heldin. Der Gedanke der Selbsterlösung durch Kreativität mag unzeitgemäß sein, vielleicht arg romantisch, besitzt aber etwas Tröstliches. Dass Lily King die Schreibobsession ihrer Hauptfigur gelegentlich ironisch anreichert, macht den zusätzlichen Reiz ihres Romans aus.

Als Casey ihr Manuskript zur Post bringt, um es an verschiedene Literaturagenturen zu schicken, gesteht sie der Frau am Schalter, sie habe sechs Jahre an dem Buch gearbeitet. Bewunderung? Weit gefehlt. Die Reaktion der Postangestellten ist eher Mitleid. Sie wünscht Casey, sie möge ihre nächsten Jahre doch etwas spannender gestalten.

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