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Kultur: „Wünsch’ mir im Himmel einen Platz“

Irdisches Vergnügen eines Elbromantikers: Zum Tod des großen Dichters Peter Rühmkorf

„Meine Bücher – “, so klagte der Dichter in seinen späten Jahren, „eigentlich alles Verzweiflungstaten.“ Das war ein überraschender Befund, denn bis dahin hatte man Peter Rühmkorf als leichtfüßigen Reimvirtuosen und stets auf Heiterkeit gestimmten „Elbromantiker“ wahrgenommen. Wenn denn die Verzweiflung wirklich der Urstoff seiner Poesie war, dann hat es Rühmkorf vorzüglich verstanden, sie in einem lyrischen Levitationsprogramm von staunenswerter Formkunst aufzuheben. Am 25. Oktober 1929 als Sohn einer Lehrerin und eines reisenden Puppenspielers in Dortmund geboren, hatte Rühmkorf von seiner Mutter die Leidenschaft für die Poesie geerbt, mithin die berauschende Erfahrung, dass Gedichte – so der Autor im Rückblick – „nachweislich dem öffentlichen Pläsier“ dienen.

Als seine zwei Leitgestirne am deutschen Dichterhimmel erwählte sich der junge Gelegenheitsdichter schon früh Bertolt Brecht und Gottfried Benn, wobei Benns Nihilismus auf Dauer ansteckender wirkte. Benn wurde sein Standbein, Brecht sein Spielbein, die Reimkünstler Heinrich Heine und Joachim Ringelnatz seine lebenslange Herzensangelegenheit. In Hamburg tat sich Rühmkorf ab 1950 als Kabarettist und scharfzüngiger Kunstideologe hervor. Mitten im konservativen Adenauer-Deutschland exponierte er sich als frecher Polemiker mit politischer Antriebsmotorik und ausgeprägter Neigung zur Demontage falscher Dichterpropheten.

Wann auch immer nach 1950 eine literarische Avantgarde den Laufsteg betrat, der selbsternannte „Hamburger Linksausleger“ war sofort zur Stelle, um sie zu entzaubern. Mit seinem literarischen Kumpel Werner Riegel hatte er kurz nach dem Krieg in apokalyptischer Nervosität den „Finismus“ ausgerufen und die Literaturzeitschrift „Zwischen den Kriegen“ gegründet. Mit dem Publizisten Klaus Rainer Röhl, dem exzentrischen Ehemann von Ulrike Meinhof, edierte er ab 1955 den verdeckt aus dem Osten finanzierten „Studenten-Kurier“, den Vorgänger der Zeitschrift „Konkret“. Unter dem Pseudonym Leslie Meier betrieb er nebenher einen „Lyrik-Schlachthof“ und zwang zahlreiche Ikonen der Nachkriegslyrik unter sein literaturkritisches Seziermesser.

Schon sein Debüt, der Gedichtband „Irdisches Vergnügen in g“ von 1959, war ein Meisterstück lyrischer Artistik. Bereits in diesen frühen Gedichten zeigte Rühmkorf sein einzigartiges Talent zur Anverwandlung der poetischen Tradition: Die stilistische Annäherung an Klassiker wie Barthold Hinrich Brockes oder Gottfried Benn wird stets ironisch-parodistisch konterkariert, der hohe Ton der Gedichte durch bewusste Lässigkeit und Schnoddrigkeit ausgehebelt.

Das „Irdische Vergnügen in g“ wurde auch in späteren Büchern nicht getrübt, obwohl Peter Rühmkorf im Alterswerk etwas zu ausgiebig auf kalauernde Altherrenerotik zurückgriff, wie zuletzt im dieses Frühjahr erschienenen Gedichtband „Paradiesvogelschiß“. Dort finden sich dann aber auch wieder locker dahingeworfene Selbstaussagen, die auf die Ohnmacht des einst ehrgeizigen politischen Gedichts abzielen: „Das Zeitgedicht, das Zeitgedicht, / so schnell wie Zeitung kann es nicht, / weil wo es sich mit Sinn verfaßt, / ist schnell der Drucktermin verpaßt, / oweh!“ Oder: „Im Augenblick wird KOMIK großgeschrieben. / No Problem, weil: wir liefern nach Belieben.“

Dies blieb seit je die Tonlage in allen seinen literarischen Kabinettstückchen: das melodiöse Ineinander von Feierlichkeit und Ironie, die Gleichzeitigkeit von Pathos und Frivolität, Romantik und vulgärem Zwischenruf. Seine Gedichte flankierte der poeta doctus mit scharfzüngigen Essays, die bis heute das größte Schatzkästlein der zeitgenössischen Lyriktheorie bilden. Und beben die Gedichtbücher und eloquenten Essays trat bei Rühmkorf zunehmend das Aphorismen-Flechtwerk seiner Aufzeichnungen und Tagebücher.

In seinem Gedichtbuch „Wenn – aber dann“ aus dem Jahr 1999 hat Peter Rühmkorf vorsorglich um einen Platz in seiner literarischen Ahnengalerie gebeten: „Wünsch mir im Himmel einen Platz / (auch wenn die Balken brächen) / bei Bellman, Benn und Ringelnatz / und wünschte, dass sie e i n e n Satz / in e i n e m Atem sprächen: / nimm Platz!“ Es bestehen kein Zweifel daran, dass er diesen Platz jetzt wird einnehmen können. Am Sonntagabend ist der 78-jährige Peter Rühmkorf in seinem Haus in Schleswig-Holstein an den Folgen einer Krebserkrankung gestorben.

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