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Bob Marley 1977 im Rainbow Theatre in London.

© Reuters

Würdigung von Gentleman zum 75. Geburtstag: Bob Marley ist mehr als der Rasta mit dem Joint im Mundwinkel

Heute wäre Bob Marley 75 Jahre alt geworden. Der deutsche Reggae-Musiker Gentleman verneigt sich vor einer Ikone der Musikgeschichte.

Der Kölner Musiker Gentleman, bürgerlich Tilmann Otto, ist der erfolgreichste Reggae-Musiker Deutschlands. Im Herbst geht er mit seiner Band auf Tour und spielt am 1. Oktober in der Berliner Columbiahalle. Die Würdigung wurde von Hannes Soltau aufgezeichnet.

Es gibt wohl keinen Künstler, der mich schon so lange und so intensiv begleitet wie Bob Marley. Seine Musik läuft bei mir oft und regelmäßig, und so wird das wohl auch mein Leben lang bleiben. Ich war zwölf, als er das erste Mal für mich in Erscheinung trat, mein Nachhilfelehrer René und mein Bruder spielten mir seine Platten vor. Schon damals spürte ich diesen besonderen Vibe.

Da waren der einprägsame Rhythmus und die ausgefeilten Melodien. Wir saßen kurz darauf bei meinem Jugendfreund John zu Hause vor den Boxen und haben Bobs Songs auseinandergenommen. Die Basslines gingen in die Magengrube und haben uns umgehauen. Die Aufnahmen hatten einen unfassbaren Soul.

Kurz danach begann meine Skater- Phase. Das Album „Kaya“ lief auf der Kölner Domplatte in Dauerrotation. Roots-Reggae und Punk waren unser Soundtrack. Ich habe damals viele Parallelen zwischen den zwei Genres erkannt. Das war rebellische Musik gegen das Establishment, die jenen Menschen eine Stimme gab, die in der Realität oftmals keine hatten.

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Bob verkörperte die Widersprüche seiner Zeit

Aber natürlich musste ich im Privaten auch gegen mein Elternhaus rebellieren. Die Plattensammlung dort war von Abba und Bläck Fööss dominiert. Bob war die musikalische Untermalung zu meinem Ausbruch, ich verbinde seine Musik mit diesem Gefühl, dass es mehr gibt als die Fremdbestimmtheit als Kind. „Turn your lights down low“ lief dann passenderweise bei meiner ersten Freundin.

Und als ich später aus Gründen der Selbsterfahrung nach Indien ins Ashram reiste, hat Bob Marley mich begleitet. Auch weil er für mich einen Musiker verkörperte, der sein Leben lang selbst auf der Suche war. Und ohne diesen Forschergeist wäre Reggae vielleicht nie entstanden, schließlich hat Bob ihn maßgeblich mitgeformt. Es gab auf Jamaika vorher traditionell Mento und Ska. Er und der Produzent Lee „Scratch“ Perry haben alles eine Spur langsamer gespielt. Und plötzlich entstand dabei dieser hypnotische Vibe.

In seiner Person verkörperte Bob die Widersprüche seiner Zeit. Sein Vater war weißer Engländer, seine Mutter war eine schwarze Jamaikanerin. Im Armenviertel Trenchtown dürfte das für ihn nicht leicht gewesen sein. Man kann in Jamaika die Jahrhunderte der Sklaverei nicht einfach ausblenden, Hautfarbe spielt dort auch heute noch eine Rolle. Doch wenn ich als Europäer ernsthaft Interesse an der jamaikanischen Kultur bekunde, bekomme ich dort heute meist viel Liebe.

Bob Marley 1973 in London.
Bob Marley 1973 in London.

© Dennis Morris/Fifty-Six Hope Road Music Ltd./Reuters

Er genießt global ein hohes Ansehen

Seine Botschaft ist in allen Ländern angekommen, er genießt global ein hohes Ansehen. Vermutlich ist er der weltweit bekannteste Musiker aller Zeiten. Als ich in Äthiopien unterwegs war, kannten alle Bob, aber die Beatles eher nicht. Egal, wohin ich in meinem Leben reiste: Im Zweifel konnten sich alle auf Bob Marley einigen. Und das gilt auch generationenübergreifend. Das Greatest-Hits-Album „Legend“ von 1984 ist immer wieder in den Charts. Auch junge Menschen scheinen seine Platten noch zu feiern.

Natürlich sind darunter auch Menschen, die im Sommer an der Strandbar Cocktails trinken und Bob Marley hören möchten, weil er ihnen den Soundtrack für eine gute und unbeschwerte Zeit liefert. Das mag ich nicht verurteilen – doch seine Botschaft geht weit über das Amüsement hinaus. Viel weiter als „Sun is Shining“. Er schrieb eben auch „I Shot the Sheriff“, war der Komponist von sozialkritischer Musik, die sich stets gegen die Unterdrückung des Menschen und gegen Ungerechtigkeit richtete.

Trotzdem war seine Botschaft eine von Hoffnung, Einheit und Liebe. Ich habe nie jemanden erlebt, der seine Musik hörte und dabei aggressiv war. Dabei war Bob stets realitätsnah und trotzdem unheimlich lebensbejahend. Kein Musiker hat seine Lieder in Moll mit so viel Optimismus verbunden. Auch mir gab er in schwierigen Lebensphasen immer Kraft und Motivation. Und wenn es nur darum ging, mein Haus aufzuräumen.

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Ein unfassbar talentierter Musiker und Songschreiber

Heute umgibt seine Person eine Aura des unantastbaren Mythos, er ist eine Legende, die sich wunderbar als Merchandise vermarkten lässt. Er lacht uns von T-Shirts und Postern entgegen. Dieser Personenkult war mir immer fremd. Das hätte er doch als bescheidener Mensch, der er nun einmal war, auf gar keinen Fall gewollt. Auch weil so viele seiner Inhalte auf der Strecke bleiben. Das Image vom strahlenden Rastamann mit dem Joint im Mundwinkel wird ihm nicht gerecht. Bob Marley ist mehr als Dreads und Cannabis. Und er hat sicherlich auch Schattenseiten, sein nicht unproblematisches Verhältnis zu Frauen zum Beispiel.

Ich habe 2016 ein Album mit seinem Sohn Ky-Mani Marley aufgenommen, bin mehrere Male mit Bobs ehemaliger Backgroundsängerin Marcia Griffiths getourt. Durch ihre Erzählungen ist der Mensch für mich vor den Mythos gerückt. Was am Ende der Gespräche mit Wegbegleitern übrig blieb, ist der Kern seines Lebens: Er war ein unfassbar talentierter Musiker und Songschreiber. Dieses Talent lebt in vielen seiner Kinder fort. Ob man Damian, Ziggy oder Stephen zuhört – das Gen für das Timbre in seiner Stimme hat Bob offensichtlich weitergegeben.

Und er muss eine unheimlich sensible Person gewesen sein, ein zutiefst spiritueller Mensch. Auch ich bin gläubig. Und selbst wenn ich mir als weißer Mittelstands-Europäer niemals anmaßen würde, mich als Rastafari zu bezeichnen, so erkenne ich in seiner Botschaft doch das Göttliche. Diese Schwingungen. Ich stehe auf den Geist in seinen Liedern und mag es, wenn ich beim Zuhören Gänsehaut bekomme.

Bob Marley während eines Fußballspiels in Kingston, Jamaika.
Bob Marley während eines Fußballspiels in Kingston, Jamaika.

© Peter Murphy/Fifty-Six Hope Road Music Ltd./Reuters

Die Idee des Liberalismus und von Diversität in seiner Musik

Mit 45 Jahren und nach Jahrzehnten der Auseinandersetzung mit Bobs Musik verstehe ich die Bedeutung mancher Textzeilen erst heute. Die Zeit von Mitte der 1960er bis Anfang der 1980er Jahre war offensichtlich eine deutlich politischere. Junge Menschen sprachen mehr über das Weltgeschehen. Doch gerade jetzt, wo wir wieder merken, welche Kraft das Wort hat, ist es ein Trost, zu wissen, dass Bob Marleys Botschaft fortlebt und noch immer eine durchweg positive Nachricht transportiert.

Er hat gezeigt, welche Kraft Musik haben kann, schaffte es, politische und soziale Lager zusammenbringen. 1976 wollte er auf Einladung der sozialdemokratischen People’s National Party (PNP) ein Friedenskonzert spielen. Es sollte ein Zeichen gegen die politische Gewalt auf der Insel sein. Drei Tage vorher wurden er und seine Frau in seinem Haus von Unbekannten angeschossen. Und trotzdem spielte er ein Konzert von 90 Minuten. Zwei Jahre später schaffte er es tatsächlich, verfeindete Politiker auf der Bühne zum Händedruck zu bewegen. Die Gewalt in Jamaika nahm danach deutlich ab.

Manche mögen sagen, dass es angesichts heutiger Probleme naiv klingt, aber für mich wird die Idee des Liberalismus und von Diversität in seiner Musik manifest. Viel zu früh riss ihn der Krebs aus dem Leben. Im kommenden Jahr ist Bob Marley bereits seit 40 Jahren tot. Seine Ideen aber dürfen niemals sterben.

Tilmann Otto

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