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Kultur: Wüste Bilder und Voyeuristische Lüste

"Wüste Bilder" sagte einmal die Übersetzerin von Pierre Klossowski bei Rowohlt, als sie seine Bilder sah. Klossowski gefiel das Wort so gut, dass er es immer wieder vor sich hinsprach.

"Wüste Bilder" sagte einmal die Übersetzerin von Pierre Klossowski bei Rowohlt, als sie seine Bilder sah. Klossowski gefiel das Wort so gut, dass er es immer wieder vor sich hinsprach. Wüst, das kommt von Wüstling: Sadomasochistische Szenen, Sodomie, entblößte Frauen, Hermaphroditen, lüsterne Alte und androgyne Knaben, das sind die Themen in Klossowskis Bildern.

Klossowski, Jahrgang 1905, hatte schon früh zu zeichnen angefangen, fand aber zunächst nur als Literat Anerkennung. Seine erste, private Ausstellung hatte Klossowski erst 1957 im Atelier seines jüngeren Bruders Balthasar, der als Balthus berühmt-berüchtigt wurde. Erst 1967 hatte die Öffentlichkeit wieder Gelegenheit einen Blick auf das bildnerische Schaffen eines Mannes zu werfen, der gemeinhin als Schriftsteller galt. Klossowski schrieb Bücher wie "Sade, mon prochain", "Nietzsche und der circulus vitiosus deus" oder "Der Baphomet", arbeitete zusammen mit Georges Bataille an der Zeitschrift "Acéphal", hielt Vorträge am Collège de sociologie, übersetzte Hölderlin, Kafka und Nietzsche ins Französische und verkehrte in Paris mit allen namhaften Intellektuellen.

Wahrscheinlich wird sich das preußisch-protestantisches Publikum mit diesen "Compositionen", wie Klossowski seine Bilder nennt, schwer tun, hatte er doch schon bei seiner ersten musealen Ausstellung 1981 bedauert, daß sie im protestantischen Bern stattfand und nicht im nahen, katholischen Fribourg. Klossowskis katholische Prägung ist unübersehbar. In jungen Jahren studierte er Theologie, war sogar vorübergehend Klosternovize. Heiligenlegenden und biblische Themen tauchen in seinem Bildern immer wieder auf, allerdings zu einer Art von privater Mythologie ausgesponnen: Da gibt es einen koketten jungen David, der vor König Saul die Harfe spielt (57 000 Mark), einen nackten Tell als Triptychon vor, während und nach dem Apfelschuss (72 500 Mark) und die "Scène de jeune Ogier et du commandeur de St. Vit" (53 000 Mark), auf dem ein nur bestrumpfter Hermaphrodit von einem Alten begrapscht wird.

"Pathophanie" nennt Klossowski solche Phantasmen, die er gleichsam mit dem Bild zu exorzieren sucht, indem er sie mit tausendfachen Streicheleinheiten, etwas linkisch mit dem Buntstift lebensgroß aufs Papier bringt. Es sind Motive, die Sünde, Laster und Häresie brauchen, um in der Tabu-Überschreitung Lust zu erfahren. Manie und Ekstase sind aber nur schwer kommunizierbar. Den Reiz dieser Darstellungen wird wohl am stärksten erfahren, wem solcherart Phantasien selbst nicht unbekannt sind.

Der zweite Teilnehmer dieser Doppelausstellung bei Borgemeister ist ein obskurer N.d.BÉ, ein unbekannter italienischer Maler, von dem selbst der Galerist nicht viel mehr als die Lebensdaten kennt. Auch bei ihm wird das sexuelle Motiv mehr oder minder deutlich ins Bild gesetzt, etwa als hinzugefügte Schilfrohrkolben in der Kopie von van Goghs Sonnenblumen, als Affen an den Beinen einer Nackten im Stile Picabias oder in der ostentativen Nacktheit eines Schweinchen namens Tex (je 6000 Mark). Bei Tex handelt es sich um eine comic-artige rosa Sau, der vor Lüsternheit die Zunge aus dem Maul hängt. Ganz schön versaut, dieser N.d.BÉ. Natürlich sind diese Bilder künstlerisch alles andere als wertvoll. Reizend werden sie, weil der Maler sich nicht scheut, seine Gier ins Bild zu setzen und uns damit zu Voyeuren macht. Beide, Klossowski wie N.d. BÉ, rühren an Tabus und streifen das Obszöne. Bildermachen wird zur Operation, um sich zu befriedigen und zu befreien. Das Bild ist daher nicht nur Fiktion sondern reales Zeugnis menschlicher Obsession, "phantasmatischer Zwang", wie Klossowski das nennt.Galerie Rainer Borgemeister, Rosenthaler Straße 40/41, bis 15. April; Dienstag bis Freitag 14-19 Uhr, Sonnabend 12-17 Uhr.

Ronald Berg

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