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Kultur: Wüster Wahn

liebt das Chaos in Nähe und Ferne Das sollten sich Romane öfter fragen: „Fühl ich mein Herz noch jenem Wahn geneigt?“ Und dann sollten sie sich Georgiern, Trinkern und Geisterfahrern widmen.

liebt das Chaos in Nähe und Ferne Das sollten sich Romane öfter fragen: „Fühl ich mein Herz noch jenem Wahn geneigt?“ Und dann sollten sie sich Georgiern, Trinkern und Geisterfahrern widmen. So wie Gabriele Riedles delirierender „Versuch über das wüste Leben“ (Eichborn). Um solche Romane zu schreiben, darf man nicht auf der heimatlichen Ackerkrume hocken bleiben, sondern muss seine Weltanschauung aus der Anschauung der Welt beziehen. Wie Riedle, die reisende Reporterin und Schriftstellerin. Das Tohuwabohu, das sie auf 300 Seiten anrichtet, hat es in sich. Am Amazonas, wo „die Welt alle Festigkeit verloren hat“, passiert es: Da verfällt eine Großstädterin einem mysteriösen „Er“. Der schickt sie in ein norddeutsches Waldidyll mit zwielichtigen Wesen. Von dort geht es auf die Galapagos-Inseln, wo Darwin über die Entstehung der Arten nachdachte. Unterwegs kreuzen große Ideen: Evolution, Freundschaft, Verrat sowie „unsere globalisierten Seelen, die im Leeren hängen“ – und das in einer Prosa, in der das Wüste von scharfer Überlegung grundiert ist. Es lohnt sich, morgen im Literaturhaus (20 Uhr) gemeinsam mit Riedle zu sondieren, was vom 20. Jahrhundert übrig bleibt.

In den Reihenhaussiedlungen des Ruhrgebiets der 60er Jahre müsste man eher vom verwüsteten Leben sprechen. Denn das Bergarbeiterdasein verläuft in geregelten Bahnen. Es verbraucht sich unmerklich beim Abbezahlen der Raten für Fernseher und Couch. Der 12jährige Julian aber, eine zarte Kinderseele, wird von tausend unbegriffenen Sehnsüchten gemartert. Irgendwo lauert es, das wilde Leben. Und Ralf Rothmann verwandelt die Sozialgeschichte des Ruhrgebiets in reine Poesie. In „Junges Licht“ (Suhrkamp) erzählt er das Ende dieser Kindheit als Chronik einer angekündigten Katastrophe. Und zwar am 5.12. (20 Uhr) in der Akademie der Künste .

Aus der „Wüstenei“ der Uckermark schickt einer der klarsichtigsten und provokativsten Autoren seine Romane und Theaterstücke. Botho Strauß war einmal der „Gegenwartsnarr“ und hat sich mit dem „Anschwellenden Bocksgesang“ zwischen alle Stühle gesetzt. Aber das Sezieren von Medienkalkül, Rationalitätswahn und Zweierbeziehungen („Frau mit Telefon“ und „Mann mit leerem Stuhl“) gehört schon lange zu seinen Stärken. Nun, da Strauß sechzig wird, gibt der Dramaturg Thomas Oberender den schönen Band „Unüberwindliche Nähe“ (Verlag Theater der Zeit) heraus und präsentiert ihn mit Matthias Hartmann und Hermann Beil am Sonntag in einer Matinee des Berliner Ensembles (11 Uhr).

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