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Kultur: Wundertüte

Schostakowitsch komplett vom Mandelring Quartett.

Halb ist sie Heilige Messe, halb ein Marathon: die Aufführung sämtlicher Schostakowitsch-Streichquartette durch das Mandelring Quartett im Radialsystem. Der Saal lauscht andächtig, man sieht Partiturseiten auf Miniaturbildschirmen glänzen und hört mit Beklemmung, wie selbst leiseste Huster mit erbosten Bemerkungen aus dem Publikum selbst sanktioniert werden. Doch tatsächlich – was das vielfach preisgekrönte Mandelring Quartett mit straffem, wenig mystifizierendem Ton bietet, also die Geschwister Sebastian Schmidt, Nanette Schmidt (beide Violine), Bernhard Schmidt (Violoncello) und Roland Glassl (Viola), möchte man unbedingt in aller Genauigkeit hören.

Wohl kein anderer Komponist des 20. Jahrhunderts hat sich mit solcher Inbrunst dem Streichquartettwesen zugewandt wie Schostakowitsch mit seinen insgesamt fünfzehn Quartetten, kein anderer von Anfang an so viel Schönheit und Klage, Brüchigkeit und Aggressivität in die Gattung getragen wie er. Bis auf die zweite Violine, die Schostakowitsch nicht mit gleicher Fürsorglichkeit zu bedenken scheint, zieht er alle Instrumente immer wieder in die Solo-Position, so im zweiten Satz von Nr. 2, wo Sebastian Schmidt sich der sanft akkordierenden Gruppe mit einem Quasi-Rezitativ voranstellt, ein wegen dieser Aufteilung und der unversehens einsetzenden Kadenzen der unteren Stimmen ganz rätselhafter Satz. Typisch ist andererseits das kaum abgetrennte Miteinander von drittem und viertem Satz in Nr. 3, ein lautes, starkes, dicht gearbeitetes Finale, das schließlich vom Pianissimo aus unhörbar in die totale Stille übergehen wird. Ein, zwei Quartette lang wirken die Kompositionen noch wie eine Wundertüte der heiteren Art, mit höchstens zufälligen Anklängen an Trauer und Elegie. Mit dem dritten Quartett von 1946 gewinnt der Abend an Tiefe, mit dem vierten ist bereits ein erstes Schlingern der Kondition zu vernehmen, sowohl im Quartett als auch beim Publikum. Eine Pause wird angesagt – und elf weitere Quartette harren da noch ihrer Aufführung, in der Nacht, am kommenden Tag. Christiane Tewinkel

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