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Glasbruch. Die Arbeit "A Hole" (2010), dahinter die sieben Mäntel von "Coats" mit Einschusslöchern.

© Haunch of Venison

Yoko Ono: Ein bisschen Weltfrieden

Yoko Ono träumt in ihrer spektakulären Schau bei Haunch of Venison Berlin vom Ende der Gewalt. Einige Werke können die Besucher selbst bearbeiten.

Ein Schuss, ein Loch. Die Kugeln haben ihre Spuren hinterlassen – im Jägersumhang, auf der Mönchskutte, im militärischen Dress. Schwer hängen die Tuchmäntel an unsichtbaren Fäden von der Decke. Im Halbdunkel der Galerie wirken sie wie Männer ohne Kopf und Füße. Düstere Gestalten. Und dennoch seltsam körperlos zwischen all den Menschen, die durch die Räume von Haunch of Venison streifen.

Am Eingang baumelt, ebenfalls an dünnen Seilen, ein Dutzend Helme. Ein Mobile, das man streifen muss, um in die Ausstellung von Yoko Ono zu gelangen. Die Kopfbedeckungen hängen mit der offenen Seite nach oben, und jedem, der Fotografien aus der Nachkriegszeit kennt, fallen die Bilder wieder ein – von umfunktionierten Helmen, die als Kochtöpfe oder Suppenschüsseln dienten.

Es herrscht Krieg im Werk der weltberühmten Künstlerin, die doch eigentlich seit Jahrzehnten für Frieden demonstriert. Zuerst gemeinsam mit John Lennon und später, nach dem gewaltsamen Tod ihres Mannes 1980, als jene autonome Konzeptkünstlerin, die sie schon vor ihrer legendären Beziehung war. 1966 begegnete sich das Paar in einer Londoner Galerie, ein Jahr zuvor hatte Ono in New York die Performance „Cut Piece“ aufgeführt. Ein Stück, für das sie die anwesenden Besucher bat, ihr mit Scheren die Kleidung vom Körper zu schneiden, bis die Haut sichtbar war. Jeder der Anwesenden hatte die Wahl: eine Grenze der Intimität zu übertreten oder das zweifelhafte Angebot abzulehnen. Am Ende war die Künstlerin nackt.

Diese Einsicht in die ewige Anwesenheit von Macht, Gewalt und Hilflosigkeit begleitet seither ihr Werk. Bis nach Berlin, wo die 77-Jährige für ihre jüngste Installation alle Register zieht, um die entsprechenden Gefühle zu erzeugen. Im Halbdunkel fühlt man sich Skulpturen wie „Coats“ oder „Helmets“ ausgeliefert. Obwohl sich die unbemannten Mäntel höchstens um die eigene Achse drehen, sobald sie jemand berührt, wirken sie bedrohlich. Ihre staubigen Einschusslöcher wecken unangenehme Assoziationen. Die Helme wiederum, die erst wie lustige, schwarze Kugeln von der Decke schweben und in denen himmelblaue Puzzleteile als „Pieces of Sky“ zur Mitnahme liegen, verlieren alles Leichte, sobald man vor Yoko Onos Projektion in der Ausstellung steht: Auf der größten Wand der Galerie dokumentiert ein verpixelter Schwarz-Weiß-Film aus dem Internet, wie Soldaten auf dem Boden liegende Gefangene erschießen. Die Szene bleibt vage und ist dennoch in all ihrer Brutalität erkennbar.

„Das Gift“ heißt jene spektakuläre Installation, in der sich alle Arbeiten zu einer Gesamtansicht vereinen. Und wie ein langsames Gift sickert die Botschaft ins Bewusstsein, dass Gefahr von allen Seiten droht. „A Hole“, das zentrale Werk der Schau, symbolisiert diese Tatsache: Ein großes Glas mit einem imposanten Einschussloch fordert den Besucher mit eingravierten Worten auf, von einer Seite auf die andere zu wechseln und so den Standpunkt zu ändern. Damit man weiß, wie es sich anfühlt, entweder Opfer oder Täter zu sein.

Was außerhalb der Galerie wie ein naiver Appell klingt, entwickelt vor Ort magische Anziehungskraft. Nur so ist zu erklären, dass bei Haunch of Venison eine fast hektische Betriebsamkeit herrscht. Wo immer Yoko Ono das Publikum zur Partizipation aufruft, steht schon ein Besucher und erfüllt diesen Wunsch. Wechselt den Standort, vernäht die zerfetzte Leinwand der großen Wandarbeit „Heal“ mit groben Stichen oder pinnt Notizen auf „Memory of Violence“, eine Serie von Berliner Stadtplänen, auf denen die Künstlerin gern jene Orte markiert sähe, an denen Gewalt geschehen ist. Immer nach der Maßgabe: Was du loswerden kannst, beschwert dich nicht länger. Auch wenn die Beiträge mitunter in Albernheiten münden: Die Resonanz wenige Tage nach Ausstellungseröffnung ist überwältigend und lässt sich nicht allein mit Yoko Onos Starqualitäten erklären.

„Wer sich den Frieden vorstellt, kann nicht töten“, sagt die Künstlerin und meint das bitterernst. Spöttische Volten oder gar Ironie sucht man in ihren Statements vergeblich. Und vielleicht gründet ihre Anziehungskraft in dieser Geradlinigkeit, die sich Ono trotz Ruhm und Reichtum bewahrt hat. Sie jongliert mit abgenutzten Begriffen wie Frieden, Heilung, Freiheit. Trotzdem glaubt man ihr und ist sogar zu einem Geschenk bereit: Im Obergeschoss der Galerie wartet „Berlin Smile“ auf das nächste Lächeln, das einer vor der Kamera in jene Dauerprojektion einspeist, die in kurzen Abständen schon unzählige lächelnde Berliner zeigt. Bloß der Besen von „Shattered Glass“ lehnt schon den ganzen Nachmittag arbeitslos an der Wand, weil niemand den Galerieboden ausfegen mag. Dabei gäbe es auch dafür auf dem Sektor der Performance prominente Vorbilder ...

Haunch of Venison, Heidestr. 46; bis 13. November, Di–Sa 11–18 Uhr.

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