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Fetzige Klänge. Trompeterin der Nationalen Jugendphilharmonie der Türkei.

© Fotografen Kai Bienert/ Young Euro Classic

Young Euro Classic: Berghain der analogen Musik

Die Nationale Jugendphilharmonie der Türkei heizt beim Festival "Young Euro Classic" ein. Ihre Stücke erzählen auch von den Konflikten des Landes.

Die Nationale Jugendphilharmonie der Türkei hat sich für das Festival „Young Euro Classic“ ein tanzbares Programm ausgesucht: Dirigent Cem Mansur beginnt mit Modest Mussorgskis Vorspiel „Der Jahrmarkt von Sorotschinzy“, einem melodischen Stück, das mit seinen lauten Paukenschlägen, spöttischen Verdichtungen und überraschenden Synkopen diesen polternden Abend repräsentiert. Im Zentrum steht Rhythmus, Spontaneität und Spaß.
Andererseits wird der Zuhörer das Gefühl nicht los, dass diese jungen, strahlenden Musiker zwischen 16 und 22 Jahren, die zu ihrem ersten Berliner Auftritt ins

Konzerthaus am Gendarmenmarkt gereist sind, die Bedrohung der Harmonie ebenfalls immer wieder zum Ausdruck bringen. Das merkt man vor allem bei der Uraufführung von „Hafriyat – Earthwork“, einem kurzen, kernigen Stück der 30-jährigen Komponistin Sinem Altan, die zum Studieren von Ankara nach Berlin gezogen ist. Es ist ein wuchtiges Werk, voller Getose und Geraune, voller Schläge und Tritte. Es protestiert und mahnt und ist doch betörend schön. Im Programmheft heißt es dazu, der innere Schrei des Werks symbolisiere die Dialektik der Natur. Ungesagt aber bleibt, dass es auch ein Stück über die Lage der Türkei im Jahr 2015 sein könnte, wo die Angst vor einem Bürgerkrieg den Alltag überschattet. Dazu spricht niemand, auch nicht der Pate des Abends und Merkels rechte Hand, Regierungssprecher Steffen Seibert. Stattdessen bleibt die Brüchigkeit der Musik – etwa in Claude Debussys „Ibéria“ aus „Images“, wo sich der prekäre Moment in den „Düften der Nacht“ oder „Am Morgen des Festes“ verschanzt.

Cem Mansur weiß sein Orchester mit klarer Hand zu leiten. Doch man spürt auch die Freiheit, die er den Musikern lässt. Die Streicher begeistern mit einem saftigen Ton, der sich in die breiten Klänge der Bläser mischt. Gerade in dem rhythmisch ausbalancierten Zusammenspiel der einzelnen Instrumente zeigt sich die Stärke dieses Orchesters. Das erweist sich auch bei Strawinskys Petruschka: Jeder Hammerschlag, jedes Raunen, jeder Oboenpfiff sitzt, sodass sich eine volksfesthafte Klangkulisse ausbreitet, die an eine Party erinnert, die schon morgen vorbei sein könnte. Aber ist das nicht die perfekte Symbiose aus Berlin und Istanbul? Die Jugendphilharmonie der Türkei wirkt jetzt wie ein Berghain der analogen Musik. Sitzen bleiben – unmöglich. Tomasz Kurianowicz

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