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Young Euro Classic: Der Wind, das irdische Kind

Das Jovem Orquestra Portuguesa erzählt beim Young-Euro-Classic-Festival von der Entstehung des Klangs. Und es verzaubert mit A-Cappella-Gesang.


Das Orchester summt. A cappella, vierstimmig, Anton Bruckners Chorstück „Locus iste“: Ein surrealer Moment, so etwas ist selten im Sinfoniekonzert, nicht nur bei Young Euro Classic. Die 70 Mitglieder des Jovem Orquestra Portuguesa (JOP) intonieren ihre Zugabe lupenrein, so zart und innig, als sei der Gesang ihr zweites musikalisches Zuhause.

Schon zum Auftakt mit Iván Fischers obligatorischer Festivalhymne hatten die Portugiesen das Publikum überrascht. Die tückische Fanfare, sonst gern von Blechbläsern vorgetragen, wird von den Streichern gespielt, im Mittelteil sorgt die Spiccato-Technik mit auf den Saiten springenden Bögen für einen bezaubernden Sound.

Wie entsteht überhaupt Klang? Die Frage steht im Zentrum des Programms, bei dem auf die „Vorstellung des Chaos“ aus Haydns „Schöpfung“ die Uraufführung von „How To Plant A Sound“ der erst 22-jährigen Komponistin Marta Domingues und Bruckners wuchtige 9. Sinfonie folgen.

Das JOP, zum vierten Mal beim Jugendorchester-Festival zu Gast, ist bekannt für sein soziales Engagement. 2019 war es gemeinsam mit behinderten Menschen in Berlin aufgetreten, diesmal sind fünf Mitglieder des Orquestra dos Navegadores dabei, einem Projekt für sozial benachteiligte Kinder.

Bei der Uraufführung stehen sie mit knallbunten Shirts zwischen den Musikern, mit Tamburin, Rassel, Bürste, Schlüsselbund. Hatte Haydns Ursuppen-Stück – mit dem Assistenzdirigenten Henrique Constancia am Pult, der sich später zu den Cellisten gesellt – noch zu wenig amorph geklungen, lehrt das JOP zusammen mit den Kids das Staunen.

Tambourine-Man. Das Jovem Orquestra Portuguesa mit Verstärkung durch Mitglieder des Orquestra dos Navegadores.
Tambourine-Man. Das Jovem Orquestra Portuguesa mit Verstärkung durch Mitglieder des Orquestra dos Navegadores.

© Mutesouenir/Kai Bienert

Da wird gerührt, gerieselt und geschüttelt, die Kontrabässe dröhnen mit den Bögen unter dem Steg, die Streicher sorgen mit Glissandi und kreiselnden Bögen für V-Effekte. Klang entsteht durch Reibung, Schwingung, gepresste Luft: Es ist, als ob der Wind die Musik im Schleppnetz mit sich trägt. Ein berauschendes Werk.

Gegründet wurde das Orchester 2010 von Pedro Carneiro, der seinen Zweitberuf als Perkussionist beim Dirigieren nicht leugnet. Ein Tänzer am Pult, der die 14- bis 24-jährigen JOP-Mitglieder mit bebender Faust und unermüdlichem Elan animiert. Wobei man sich bei Bruckners Neunter manchmal eine differenziertere Lautstärke wünschte, weniger kantige Akkordblock-Konturen. Schön die leicht verwischte Geigen-None zu Beginn des Adagios, toll auch die ungemein homogenen Schlüsse, die den Saal in einen einzigen nachklingenden Resonanzraum verwandeln. Das entschädigt für so manchen unsauberen Tenorhorn-Einsatz. Ist schließlich irre schwer, das Stück – und warum bitte sollen junge Musiker nicht nach den Sternen greifen.

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