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Nesma Abdel Aziz stand beim Auftritt des Arab Youth Philharmonic Orchestra im August 2013 am Marimbaphon.

© KAI BIENERT/MUTESOUVENIR

Young Euro Classic Festival: Töne des Friedens

Mit dem erneuten Auftreten des Arab Youth Philharmonic Orchestras unterstreicht das Young Euro Classic Festival die grenzüberschreitende und versöhnende Rolle von Musik und öffnet seinen Musikern Perspektiven.

Dieser Text muss mit einem Thema beginnen, das erst mal ziemlich wenig zu tun hat mit Sommerkultur, der Vorstellung heiteren Kunstgenusses unter flirrender Sonne, überhaupt mit aller Musik.

Der Bürgerkrieg hält Syrien nun schon seit fünf Jahren im Würgegriff, ein brutaler Albtraum, der nicht endet. Hunderttausende haben ihr Leben verloren, Millionen sind geflüchtet, das Land und seine antiken Städte liegen in Trümmern. Der Konflikt bedroht inzwischen die Stabilität des ganzen Nahen Ostens, vor allem des Iraks, der Türkei und Saudi-Arabiens. Und er zerstört einen kompletten Kulturraum.

In so einer weltpolitischen Situation lässt das Konzert eines Orchesters, das sich aus jungen arabischen Musikern zusammensetzt, natürlich aufhorchen. Viele Klassikfans dürften mit Spannung den Auftritt des Arab Youth Philharmonic Orchestras (AYPO) erwarten – am 20. August beim Festival Young Euro Classic vom 17. August bis 3. September im Konzerthaus am Gendarmenmarkt. Die meisten Musiker studieren an den Konservatorien ihrer Länder, sie stammen aus 13 arabischen Staaten, darunter Irak, Jordanien, Ägypten, Libyen. Und Syrien.

Das erinnert ein wenig an das von Edward Said und Daniel Barenboim gegründete West-Eastern Divan Orchestra, ist aber als Projekt ungleich fragiler. Nichts ist selbstverständlich an diesem Orchester, das 2006 von Fawzy El-Shamy, dem ehemaligen Dekan des Konservatoriums Kairo, ins Leben gerufen wurde. Jede Zusammenkunft ist hart erkämpft, zuletzt konnte des AYPO nur noch selten auftreten. Die Anreise nach Berlin muss jedes Mitglied selbst bezahlen, Festival und Auswärtiges Amt übernehmen die Unterbringung. In den Herkunftsländern zu proben ist unmöglich.

Was geht: eine Probenphase in Berlin eine Woche vor dem Konzert, und zwar im Hildegard-Wegscheider-Gymnasium in Grunewald. Wird man der Interpretation anhören, unter welchen Bedingungen sie entstand?

Viel biblisches und andalusisches Kolorit

Auf dem Programm steht Orientalisches, unter anderem eine Uraufführung von Amir Khalaf, geboren 1981 in Kairo. Die ägyptische Hauptstadt ist sowieso vertreten: Ali Osman, Komponist des 2007 entstandenen Stücks „Fusion“ lebt hier, und auch Mezzosopranistin Gala El Hadidi, die dem Ensemble der Semperoper Dresden angehört, stammt aus Kairo. Sie wird zwei Nummern aus Bizets „Carmen“ und eine Arie aus Saint-Saëns Oper „Samson und Dalila“ singen.

Viel biblisches sowie andalusisches (und damit arabisches) Kolorit also, kontrastiert von der deutschen Romantik in Brahms zweiter Sinfonie.

Dirigieren wird Heinz Buhlmann. Er erinnert sich, wie er das AYPO 2013 geleitet hat, als es schon einmal Gast bei Young Euro Classic war: „Alle sind damals wahnsinnig mitgegangen, waren enorm ehrgeizig und engagiert, haben auch abends im Hotel weitergeprobt – zum Ärger der anderen Gäste.“

Für manchen hat es sich gelohnt: Konzertmeister Karim Saleh spielt inzwischen in der Orchesterakademie der Berliner Philharmoniker. Und Bassist Raed Jazbeh hat in Bremen das Syrien Expat Philharmonic Orchestra gegründet, in dem aus Syrien geflohene Profimusiker so etwas wie eine künstlerische Heimat finden können.

Natürlich steht ein Orchester wie das Arab Youth Philharmonic besonders im Fokus. Aber es bestreitet nur eines von 19 Konzerten. Der Rest des Programms – Kerngedanke von Young Euro Classic ist es weiterhin, im spielfreien Sommer Jugendorchester aus aller Welt nach Berlin zu holen – verspricht wieder viel.

Die Luft im Saal zittert vor Enthusiasmus

Eröffnet wird das von Gabriele Minz gegründete Festival am 17. August vom European Union Youth Orchestra. Das passt, denn auch die EU ist ja zur Zeit ein bedrohtes Gebilde, und alles, was sie in ein positives Licht rückt, ist zu begrüßen. Dazu ein Schwerpunkt im süd- und osteuropäischen Raum mit Orchestern aus Kasachstan, Rumänien, Bulgarien, Russland oder Estland, kombiniert mit prominenten Künstlern: Choreograph John Neumeier kommt mit dem Bundesjugendballett, Bariton Christian Gerhaher mit dem Gustav Mahler Jugendorchester, Cellist Gautier Capuçon zum Finale am 3. September mit dem Orchestre Français des Jeunes.

Mit Truls Mørk und Johannes Moser sind noch zwei weitere Top-Cellisten eingeladen, außerdem die Dirigenten Christoph Eschenbach, Philippe Jordan und David Zinman.

Young Euro Classic lebt seit Jahren von der gleichen Aura, dem gleichen Zauber, und das, obwohl – oder gerade weil – sich bei den Ritualen nichts ändert: Festivalhymne, Sonnenblumen und die launigen Reden von Paten, die mal mehr, mal weniger gelungen auf die Konzerte einstimmen. Die sind meist ausgelassen und gleichen kleinen Weltreisen, da jedes Orchester neben klassischem Repertoire auch Spezialitäten aus seiner Heimat mitbringt.

Wo sonst kann man Aram Chatschaturjans Violinkonzert Seit' an Seit mit Schuberts zweiter Symphonie hören (Kasachstan, am 23. August)? Oder die „Thrakischen Tänze“ von Petko Staynov (Bulgarien, 27. August)?

Die angehenden Profis lassen Akkorde krachen, spielen manchmal holprig, meist erstaunlich gut, die Luft auf dem Podium und im Saal zittert vor Enthusiasmus. Und immer schwingt da der Gedanke mit, so ein Festival könnte vielleicht doch auch politisch Dinge ins Rollen bringen. Könnte dazu beitragen, dass – wenn sich so viele junge Leute die Klinke in die Hand geben, begegnen und irgendwie ja auch austauschen – ein bisschen weniger Gewalt und Kriege in der Welt sind.

Aber selbst wenn das nicht mehr sein sollte als eine hübsche Illusion, kann man sich über etwas freuen: über in der Regel verdammt gut gespielte Musik nämlich.

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