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Kultur: Zärtlicher Abschied

KLASSIK

Der Postbahnhof am Ostbahnhof bietet nicht nur trendige Loftatmosphäre und gute Akustik. Es ist auch ein assoziationsreicher Ort, denn der letzte Zug ist dort schon lange abgefahren, Schienenstücke ragen dekorativ aus der Bodenverkleidung. Ein geeigneter Ort also, um Klängen des Vergehens zu lauschen. Im Rahmen des Zeitfenster-Festivals, der Biennale Alter Musik, die am Sonntag zuende ging, wählt der Regisseur Derek Gimpel den Postbahnhof zur Inszenierung von Musik im Schattenreich: Gérard Griseys Schwanengesang „Quatre Chants pour franchir le Seuil“ (vier Lieder, um die Schwelle zu überschreiten), das letzte Werk des früh Verstorbenen, steht im Mittelpunkt des Abends, der alte und neue Musik konfrontiert.

Dieses Stück vermag anzurühren. Gleich der erste Satz zeigt sich als porzellanene Klangskulptur, schlicht und doch vielfältig durchwirkt, in trübem Licht eine unsäglich sanfte Bewegung nach unten beschreibend. Traumwandlerisch singt Sylvia Nopper den mit Vierteltönen gespickten Solopart zu den Klängen des Klangforum Wien , gehüllt in Taubenblau und sparsame Lichteffekte.

Es ist eines jener Stücke, die man der Konzertroutine entreißen möchte. Neunzig Minuten Musik, Abwechslung, Kontrast, so wollen es die ehernen Gesetze der Konzertplanung. Gelegentlich sollte man da ausbrechen. Einfach mal ein Stück wie dieses einsam nur für sich stehen lassen, vielleicht die Texte – es sind Worte der Entrückung und in der musikalischen Darbietung nicht verständlich – vorher vorlesen lassen. Nicht, dass die anderen Stücke des Abends nicht hörenswert gewesen wären. Alexander Goehrs „Shadowplay“ überzeugte da ebenso wie Alte Musik von Matthias Weckmann und Claudio Monteverdi. Und doch geht ein solches Mischprogramm mit Video, Theater und Raumwechsel unweigerlich auf Kosten der Konzentration.

Ulrich Pollmann

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