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Kultur: Zarter Traum

Rückgänge und Höchstpreise: Überraschungen prägen die Herbstauktionen der Villa Grisebach.

So stürmisch wie der Anflug der Krähen auf das verschneite Winterfeld war auch das Interesse, das Otto Dix’ „Sonnenaufgang“ im Vorfeld der 200. Auktion der Villa Grisebach geweckt hatte. Allein sieben ausländische Telefonbieter waren angemeldet – einer gar aus Beirut. Vielleicht wäre die mit Öl gemalte Papierarbeit zum Rekordlos avanciert. Doch sie wurde zurückgezogen. Dahinter stehen in der Regel weniger rühmliche Anlässe. Im Falle des 1913 entstanden Dix-Bildes war der Rückzug allerdings ein erfreulicher.

1920 hatte der Künstler es dem Stadtmuseum Dresden geschenkt. Von den Nazis enteignet, gelangte das Gemälde nach dem Zweiten Weltkrieg in diverse deutsche Privatsammlungen. Nun kehrt der „Sonnenaufgang“ nach mehr als 75 Jahren zurück an den Ort, den Dix bestimmt hatte. Am Vortag der Versteigerung einigte sich das Dresdener Museum mit den Vorbesitzern auf einen Kaufpreis von 650 000 Euro – gestemmt mithilfe der Kulturstiftung der Länder sowie privater Stiftungen. Das ist mehr als das Doppelte der ursprünglichen Taxe, aber laut Bernd Schultz weit weniger, als eine Versteigerung eingebracht hätte.

Womit Otto Muellers „Zwei Mädchen“ ihre Spitzenposition unter den Ausgewählten Werken aufrechterhalten konnten: Ein aus Norddeutschland angereister Herr bewilligte 1,18 Millionen Euro. Während sich die Daimler AG, aus der Andy Warhols „Friedrich der Große“ kam, mit dem unteren Limit von 600 000 Euro zufriedengeben musste (sämtliche Preise ohne Aufgeld).

Für Höchstspannung sorgte ein „Rückenakt“ der lange verkannten Lotte Laserstein. Wie der flirrend delikate Pinselstrich die Bewegung des Handtuchs einfängt, den zarten Flaum der Schulterpartien geradezu greifbar werden lässt, das zählt wohl zum Erotischsten, was dieses Genre hervorgebracht hat. Entstanden 1931 – zwei Jahre, bevor die Nationalsozialisten die jüdische Künstlerin ins Exil trieben –, zeigt der Akt Lasersteins unvergleichlichen Stil. Bei einer unteren Schätzung von 40 000 Euro stiegen gleich mehrere Saalbieter bei 100 000 Euro aus. Zwei Telefone lieferten sich fortan einen fesselnden Schlagabtausch um das Bildnis der Traute Rose. Jene Laserstein-Muse, die auch auf dem monumentalen „Abend über Potsdam“ verewigt ist, das seit 2010 zum Bestand der Neuen Nationalgalerie gehört. Die Berliner Privatsammlung, in die der Rückenakt einst direkt von der Künstlerin gelangte, darf sich über einen stolzen Hammerpreis von 280 000 Euro freuen, bewilligt aus Belgien und vom Publikum mit kräftigem Applaus bedacht.

Beachtliche Zuwächse verbuchten unter anderem auch Franz Nölkens „Sitzender Akt“ bei 105 000 Euro und ein spätes Stillleben von Karl Schmidt-Rottluff (252 000 Euro), dessen 1919 gemalte „Frauen am Meer“ die Erwartungen mit 480 000 Euro erfüllten. Um Karl Hofers „Mädchen sich kämmend“ kämpfte ein Schweizer im Saal hartnäckig bis 284 000 Euro. Fast das Doppelte der Taxe. Das gewährte ebenso ein süddeutscher Bieter für Emil Noldes „Zwei bärtige Männer (Apostel)“. Der Zuschlag erfolgte hier erst bei 550 000 Euro, einem Höchstpreis für ein Aquarell des Expressionisten.

Allerdings verbuchte die lebhafte Abendveranstaltung auch einige empfindliche Rückgänge. Darunter Oskar Schlemmers eigentlich museale „Figur auf grauem Grund“ sowie schlicht Überbewertetes von Max Pechstein, Ernst Heckel oder Ernst Wilhelm Nay.

Die Orangerie-Premiere wurde von einer wiederentdeckten Luisen-Büste geadelt. Den Entwurf hatte Christian Daniel Rauch geliefert, ausgeführt wurde das Marmorporträt 1804 von unbekannter Hand. Eine „große deutsche Institution“ erhielt den Zuschlag bei 305 000 Euro. Das Publikum, das die kunsthandwerklichen Preziosen sehr wählerisch aufnahm – das griechische Altertum konnte ebensowenig reüssieren wie manch nobles Schmuckstück oder KPM-Porzellan –, zollte der neu eingerichteten Sektion am Ende dennoch Beifall.

Schließlich waren auch die ersten Auktionen der im Vorjahr neu eingeführten Kunst des 19. Jahrhunderts auf gemischtes Interesse gestoßen. Mit ihrer dritten Ausgabe hat sich die von Florian Illies verantwortete Abteilung etabliert. Der Saal war bis auf den letzten Stehplatz voll, die Zuschlagsquote von rund 80 Prozent und erkleckliche Steigerungen hoben das Ergebnis auf mehr als 1,3 Millionen Euro.

Wir wissen nicht, ob die Dame mit dem seligen Lächeln Friedrich Wilhelm Kloses „Schreibkabinett des Prinzen Wilhelm und der Prinzessin Marianne im Königlichen Schloss Berlin“ eingeliefert hat. Die 23 000 Euro, die das Aquarell anstelle von 8000 Euro eingespielt hat, wären ja ein Anlass gewesen. Denn zuvor war Eduard Gaertners „Indisches Kabinett des Prinzen Waldemar“ aus demselben süddeutschen Privatbesitz und mit Wittelsbach-Provenienz von 25 000 auf 82 000 Euro geklettert. Den ersten Platz im 19. Jahrhundert behauptete mit 240 000 Euro Max Liebermanns Pastell „Holländisches Hirtenmädchen“.

Die Fotografie erzielte mit knapp 740 000 Euro ein Ergebnis um die Vorabschätzung. Die höchsten Zuschläge gab es einmal mehr für Peter Beard, gefolgt von einem Selbstporträt Robert Mapplethorpes. Ein großformatiges Architekturfoto von Hiroshi Sugimoto wurde mit 60 000 Euro im Rahmen der ausgewählten Werke versteigert.

Insgesamt bescherten die ersten vier von acht Auktionen der Villa Grisebach inklusive Aufgelder 13,5 Millionen Euro. Womit bereits zur Halbzeit annähernd das Gesamtergebnis der Frühjahrsstaffel erreicht ist.

Villa Grisebach, Fasanenstraße 25. Versteigerung Third Floor: Heute, 11 Uhr und 14.30 Uhr.

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