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Kultur: Zauberreich

Die Vaganten eröffnen die Saison mit „La Strada“.

Es ist ein Märchen: Zwei umherziehender Artisten und Komödianten suchen in ihrem schäbigen Alltag nach Glück. Zwei Menschen, die im harten Existenzkampf miteinander auskommen müssen: der knorrige, schon ältere Mann und das naive, noch kindliche Mädchen. Sie brauchen sich, sie finden nicht zusammen, nur in der anderen, geheimnisvollen Welt des Traums, der Sehnsucht, des heimlichen Begehrens. Federico Fellini hat dieses Märchen in seinem Film „La Strada“ (1954) erfunden, jetzt kam es in einer Fassung von Gerold Theobalt auf die Bühne der Vaganten in der Kantstraße, als Eröffnungspremiere in der rundum aufgefrischten und technisch verbesserten intimen Spielstätte (wieder am 21. und 22.9. und 4.-6.10.).

Und es geschieht ein Wunder. Alles ist Fantasie. Die Spieler bauen mit einfachen Gegenständen einen Raum (Bühne: Zoltan Labas) der Erfindungen, der Unwirklichkeit, in dem doch alles greifbar, kräftig und anschaulich ist. Papierschnipsel auf dem Boden dienen als Geld, als Wasser, als Wegzehrung oder als Schutz vor Kälte, ein rustikales, Requisiten aller Art bergendes Podest mit einer Art Segel steht für die wandernde, mit einer Deichsel geschobene und gezogene Spielstätte der Komödianten. Was auch gebraucht wird, es ist derb, gegenständlich, gebrauchsfähig. Wie im Spiel von Kindern erhält alles, was da steht und liegt, eine besondere, geheimnisvolle Bedeutung. Regisseur James Edward Lyons erzeugt eine magisch schwebende Atmosphäre, viele Instrumente erklingen (Musik: Ferdinand von Seebach), voller Kraft und Zärtlichkeit.

Aber ohne die Schauspieler gelänge die Beschwörung dieses Zauberreiches nicht. Frederike Haas zeigt nicht nur die verzehrende Neugier der blutjungen Gelsomina auf die Welt und die Menschen, sie offenbart auch das Aufbegehren, den Trotz hinter stiller, verstörender Ergebenheit. Oliver Marlo als Zampano findet aus rauer Gleichgültigkeit zu einer erst nachdenklichen, dann verbitterten Einsicht in ein armes, vertanes Leben. Wie die beiden Nähe suchen und immer wieder voreinander zurückschrecken, wie da etwas in ihnen lebt, das nicht nach draußen will und darf, prägt sich tief ein. Das Ensemble steht den beiden Protagonisten mit Lust und Disziplin zur Seite. Zum Schluss hin allerdings hat sich der Regisseur zu sehr ins Märchen, in sein Märchen verliebt. Das Spiel verliert an Rhythmus und Intensität. Christoph Funke

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