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Kultur: Zdenka Fantlová liest in der Berliner Heinrich-Böll-Stiftung

Eine junge Frau sitzt während einer Theateraufführung im Publikum und beginnt laut zu weinen. Die Zuschauer sind irritiert.

Eine junge Frau sitzt während einer Theateraufführung im Publikum und beginnt laut zu weinen. Die Zuschauer sind irritiert. Manche zischen: Ruhe! Bis irgendjemand aus dem Publikum sie beruhigt und hinausführt. Doch diese Szene sollte sich jeden Abend wiederholen. Es war Zdenka Fantlovás allererste Rolle. Der Kabarettist Josef Lustig hatte sie gefragt, ob sie weinen könne. Eine Frage, die ihr, just an diesem Ort gestellt, doppelt seltsam erscheinen musste - in einer Stadt, in der Realität und Alptraum so ununterscheidbar geworden waren: in Terezín (Theresienstadt). 200 Menschen starben dort täglich.

Für den Propagandafilm "Der Führer schenkt den Juden eine Stadt" sowie den Inspektionsbesuch des Internationalen Roten Kreuzes 1944 verwandelte man das Lager in ein monströses Potemkinsches Dorf und zwang die Gefangenen, als Statisten mitzuwirken. Ein normales Leben mit gefüllten Geschäften, Kaffeehausbesuch und Konzertabend wurde vorgegaukelt. "Unter dem Galgen sollte man noch tanzen und singen", schreibt Zdenka Fantlová in ihrer Autobiografie "In der Ruhe liegt die Kraft, sagte mein Vater".

Zdenka Fantlová, geboren in Blatná, zwischen Pilsen und Prag gelegen, wurde im Januar 1942 mit ihrer Familie in dieses "Vorzeigelager" der Nazis deportiert. Sie war zwanzig Jahre alt und verliebt. Viele bedeutende Künstler waren in Terezín. Die Kinderoper "Brundibár" wurde aufgeführt, Victor Ullmann komponierte den "Kaiser von Atlantis". Für die Häftlinge waren diese Aufführungen mehr als nur eine willkommene Abwechslung, für viele waren sie so wichtig wie die tägliche Brotration, denn die Musik, das Theater, die Kunst, all dies erhielt ihren Glauben an die Menschlichkeit aufrecht. Vielleicht half die Schauspielkunst Fantlová in gewisser Weise, zu überleben, weil sie ihr die Kraft gab, Distanz zu gewinnen: zu sich selbst, aber auch zu ihren Peinigern. Ihr Buch kommt ebenfalls ganz ohne Pathos und Anklage aus. Fantlová konzentriert sich darin allein auf das Wesentliche. Nach dem Krieg war sie in Australien eine erfolgreiche Schauspielerin. Heute lebt sie, eine Frau mit überwältigender Vitalität, in London. Nach dem, was sie erlebt habe, sagte sie einmal, sei sie 250 Jahre alt, in ihrer Seele aber noch immer achtzehn. In der Gedenkstätte von Auschwitz findet sich ein Koffer mit ihrem Namen. Dieser blieb. Ihre Familie, ihr Verlobter, sie wurden alle umgebracht. Nach Auschwitz kamen die Todesmärsche, schließlich lag sie mit Typhus im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Aber sie hat überlebt, weil, wie sie sagte, sie immer nur die Sterne gesucht habe.Heute um 19 Uhr liest Zdenka Fantlová in der Galerie der Heinrich-Böll-Stiftung, Hackesche Höfe, Rosenthaler Str. 40/41, Berlin-Mitte. Ihre Erinnerungen sind zum Preis von 42 Mark im Bonner Weidle Verlag erschienen.

Tomas Fitzel

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