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Kultur: Zeichen und Leichen

Zwei Uraufführungen in Wien: Albert Ostermaiers „Nach den Klippen“ und Klaus Pohls „Der Anatom“

Monologstücke verlocken Regisseure zur bunten szenischen Bebilderung, während sie Schauspieler zur mimisch-gestischen Übertreibung verleiten. Zwei Uraufführungen des Wiener Burgtheaters wirken wie Anschauungsunterricht zu diesem Problem. Während Andrea Breth im Akademietheater mit Albert Ostermaier viele aufgeregte Kunststücke vorführt, lässt Klaus Pohl im Keller der Akademie der Bildenden Künste seinen Schauspieler einfach nur – spielen.

„Männer sind Seefahrer, Frauen sind bezaubernde Rätselwesen, und die abendländische Erzählung vom Liebeszauber und seinen Gegengiften beginnt mit Odysseus. Er macht ihre Geschichte zu seiner Erzählung“, erklärt Albert Ostermaier zu seinem Monolog „Nach den Klippen“. Ostermaier lässt Circe sprechen. Sie ist nicht nur die vom Mann verlassene und in ihrer Liebe unerlöste Frau aus Homers Odyssee, sondern auch die Molly aus James Joyces „Ulysses“ sowie eine Frau von heute, die ihren Odysseus in den U-Bahnschächten der Großstadt sucht.

Martin Zehetgrubers leere Bühne wird umrahmt von unzähligen Telefonnischen mit toten Kommunikationsmaschinen. Auf einer Bank sitzt Circe, als sei sie eingeschlossenen in ihre Geschichte, während ihre Stimme aus dem Off den mit anderen klassischen Geschlechterbeziehungen (zwischen Jason und Medea und Ödipus und Iokaste) verflochtenen Mythos erzählt. Eine überinstrumentierte Kunstanstrengung. Elisabeth Orth, Circe, hat da leider nicht viel zu spielen. Sie redet sich unter wechselnden Perücken durch ihre Geschichte. Dabei wird sie umtanzt von einem ihre Gesten und Posen einübenden jüngeren Alter Ego. Andrea Breth arbeitet mit vielen Lichtwechseln – ein Traum voller Verhörsituationen. Während die Frauen den Text mit dem Buch überprüfen, erstarren die Männer als Skulpturen in Sportlerposen. Die vielen Anspielungen und Andeutungen legen sich wie Mehltau über eine Inszenierung, die letztlich nur als bewegtes Hörstück daher kommt.

Dagegen steigt man aus dem historischen Anatomiesaal der Akademie der Bildenden Künste am Schillerplatz nachher ungemein angeregt hinauf. Das teatrum anatomicum im Keller des Gebäudes stammt aus dem Jahr 1877. Hier arbeitet der Anatom Dr. Adler seit dreißig Jahren, und jetzt das: Der 58-Jährige ist von Entlassung bedroht. Deshalb bleibt er über die normale Arbeitszeit hinaus, um ein kämpferisches Zeichen zu setzen.

„Wo ist denn der Mundboden?“, und „wo kommt der Augapfel her?“. Der Mann, der im Hörsaal im weißen Kittel hantiert, sorgt für Ordnung auf dem Katheder hinterm marmornen Seziertisch. Allerdings, nur nicht zu schnell soll es gehen, sagt er seiner Studentin, dem Fräulein Johanna Pamperl, „wir sind in Wien“. Natürlich sind die gesuchten anatomischen Einzelteile Wachspräparate, versichert Dr. Adler den Zuhörern. Er hat stets „in der Liebe und in den aufgebrochenen Brustkörben die Stelle gesucht, wo der Körper mit der Seele kommuniziert.“ Für den Anatomen ist eine Leiche ein toter Mensch, „da gibt es nichts zu verteidigen“. Und „der Schrecken ist die einzige Möglichkeit", nur die Arbeit bleibt als Verteidigung gegen die Herzensangst.

Der Schauspieler, Regisseur und Autor Klaus Pohl hat mit Ignaz Kirchner diesen melancholischen Monolog einstudiert. Mit dem „Anatom" hat er keine große Kunst, aber doch einen guten Spieltext für einen Schauspieler geschaffen – den Ignaz Kirchner wunderbar nutzt. Der Schauspieler wirft sich nicht in die Rolle, sondern schlüpft ganz allmählich in die Figur. Er setzt weder direkt auf Wirkung, noch auf Pointen, sondern durchforscht Text und Figur, bis er diese ganz ausfüllt. Direkt vor dem Publikum doziert er über Präparate, Formaldehyd-Konservierung, Tröpfelbad und den Mythos vom Leichengift. Ganz nebenher nutzt Ignaz Kirchner die beständige Suche nach seinem Hut, mit dem er tiefste Gedanken urplötzlich unterbricht, herrlich komisch als Charakterisierung einer pedantischen Figur.

Wenn Dr. Adler die Platte des Seziertisches von eingebildeten Flecken befreit, steckt im vorsichtigen Wischen viel Zärtlichkeit, und wenn er sich mit seinem Kittel als Tanzpartnerin im Arm über seine Tanzbegeisterung auslässt, flammt gegen das resignative „Die Zeit ist vorbei“ noch einmal Hoffnung auf. Schließlich akzeptiert er, dass die moderne Technik über ihn hinweg geht. Den Kündigungsbrief steckt er ungeöffnet in die Tasche. Wie der wunderbare Ignaz Kirchner den nicht allzu starken Text von Klaus Pohl mit präziser, beiläufig scheinender Charakterisierung lebendig macht, das lässt diesen Abend zu einem großen Erfolg für den Schauspieler werden.

Hartmut Krug

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