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Kultur: Zeichen und Opfer

Thomas Lackmann über die Deutung des ColumbiaUnglücks in Kriegszeiten Wenn dieser Tage einer der 50 Paläste Saddams, ausländische Spezialarbeiter unter sich begrabend, eingestürzt wäre, könnten in der Welt der freien Presse wohl nur wenige Kommentatoren der Versuchung widerstehen, das Unglück als Omen zu interpretieren. Repräsentative Unternehmungen in dramatischen Zeiten produzieren symbolische Ereignisse.

Thomas Lackmann über die Deutung des ColumbiaUnglücks in Kriegszeiten

Wenn dieser Tage einer der 50 Paläste Saddams, ausländische Spezialarbeiter unter sich begrabend, eingestürzt wäre, könnten in der Welt der freien Presse wohl nur wenige Kommentatoren der Versuchung widerstehen, das Unglück als Omen zu interpretieren. Repräsentative Unternehmungen in dramatischen Zeiten produzieren symbolische Ereignisse. Die Mission des Shuttles Columbia fiel, obgleich das Supermacht-Rennen um die „Vorherrschaft“ im All längst beendet scheint, in eine propagandistisch empfindliche Politik-Phase. Selbst wer den militärischen Nutzen ziviler Astronautik ausblendet, erfährt deren Erfolge als Triumph westlicher Technologie. Die amerikanisch-israelische Exkursion signalisierte zudem Bündnistreue. Für Israel, dessen Columbia-Astronaut Relikte aus Konzentrationslagern – die Mondlandungs-Zeichnung eines Kindes, eine gerettete Thora-Rolle – mit an Bord gebracht hatte, symbolisierte dieses Dabeisein, in patriotischer Überhöhung, den Überlebenswillen eines Volkes, das zur Vernichtung verurteilt gewesen war. Manche muslimische Feinde der USA werden ihre Freude über das zukunftsweisende Scheitern, den tödlichen Ausgang des 16-Tage-Fluges, schwer verbergen. Aber Freunde Israels und der USA können ebensowenig umhin, die Zeichen des katastrophalen Unfalls zu deuten.

Wir sehen drei Kondensstreifen, hören Begriffe: „Hitzeschildkachel“, „kein Terror-Anschlag“. Was bedeutet das? Wer lebt, muss Zeichen in ihrem Kontext begreifen. Wir „lesen“ Bilder (halten sie für die Wirklichkeit). Wir lesen Texte, hören den Subtext. Wir interpretieren Ereignisse, projizieren in sie unsere Ängste und Hoffnungen. Im November 1618, zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges, erscheint über Deutschland ein „erschrecklicher Komet. Seine lange Zornrute war weißlich, der Stern aber schwarz und röthlich vermenget.“ Zwei Jahre vor dem Ersten Weltkrieg sinkt der Luxusliner des Fortschrittsglaubens, die „Titanic“. Zwei Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg explodiert in den USA die „Hindenburg“, Nazi-Deutschlands stolzestes Luftschiff. Das Omen sehen nur Pessimisten. Erst im Rückblick offenbart sich das Signal.

Wäre die Weltgeschichte eine Farce, hätte das Shuttle auf einen irakischen Tyrannenpalast stürzen müssen. Wäre sie eine Tragödie, könnte keiner das Unheil stoppen, dessen Vorzeichen am Himmel von Texas standen. Die Zeichendeutung dient der Existenzerhaltung, nicht nur im Verkehr. Außerdem verlangt der sinnlos grausige Tod die (v)erklärende Sinngebung – auch das ist ein Überlebensreflex. „Sie haben ihr Leben geopfert für ihr Land, für die Menschheit,“ sagte der Columbia-Kommandant noch am Jahrestag des Challenger-Unglücks (28.1.) über seine 1986 verbrannten Kollegen. Die Columbia zerbrach auf einem Forschungsflug; gleichwohl klingt der Begriff „ Opfer für die Menschheit“ in diesen Tagen der universalen Güterabwägung sehr irritierend. Das Schreckereignis zufälliger Menschenvernichtung wird absorbiert von der Heldenphrase. Wir selbst sind zu nah dran, um unsere Gegenwart als Farce zu goutieren und, hoffentlich, zu lebendig, sie als Tragödie hinzunehmen. Weltgeschichte ist ein Drama, was heißt: Nichts ist entschieden, das Lesen geht weiter. Die Zeichendeutung bleibt Teil der Kriegsführung.

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